# taz.de -- Expertentrat für künftige Entwicklungen: Der dritte Blick in die … | |
> Der vom Forschungsministerium eingesetzte Zukunftsrat soll die Politik in | |
> Zukunftsfragen unterstützen. Es geht vor allem um langfristige Trends. | |
Bild: In Science-Fiction-Filmen ist die Zukunft schon zu sehen. Nachbau von Fri… | |
Berlin taz | Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) | |
bezeichnet sich gern als das „Zukunftsministerium“ der deutschen | |
Bundesregierung. Was bedeutet, in der Forschungsadministration länger als | |
nur eine Legislaturperiode vorauszudenken und zu planen. In diesem Monat | |
hat das BMBF einen neuen Zukunftsbeirat eingesetzt, in dem externe Experten | |
nach den großen Langfristtrends Ausschau halten sollen. Es ist der dritte | |
„Foresight“-Zyklus, den das Ministerium gestartet hat, mit einigen | |
Neuerungen, darunter die Eindeutschung der Aktion: Anstelle des | |
internationalen Fachbegriffs „Foresight“ wird nun von „Vorausschau“ | |
gesprochen, sogar mit eigener Webseite: [1][www.vorausschau.de] | |
Der semantische Kniff soll auch die Öffnung zur Gesellschaft signalisieren, | |
die dem Vorsitzenden des neuen „Zukunftskreises“, Armin Grunwald, sehr | |
wichtig ist. Der Physiker und Philosoph leitet hauptamtlich das Institut | |
für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse am Karlsruher Institut for | |
Technoloy (KIT) sowie das [2][Büro für Technikfolgenabschätzung beim | |
Deutschen Bundestag (TAB)]. „Wir dürfen die Zukunft nicht einzelnen | |
Disziplinen überlassen“, sagt Grunwald. „Weil die Zukunft eine | |
Gestaltungsaufgabe ist, brauchen wir unterschiedliche Perspektiven, damit | |
wir nicht einseitig in eine Richtung marschieren, sondern die Gesellschaft | |
als Ganzes abbilden.“ | |
Die 17 Mitglieder des Zukunftskreises um Grunwald und der Co-Vorsitzenden | |
Cornelia Daheim – Akteure aus Wirtschaft, Forschung, Kultur und | |
Zivilgesellschaft – sollen in den nächsten drei Jahren den | |
Vorausschauprozess als zentrales Beratungs- und Inspirationsgremium des | |
BMBF in Zukunftsfragen unterstützen. Sie sollen zukünftige Entwicklungen | |
bis zum Ende der 2030er Jahre nicht nur beschreiben, sondern auch ihre | |
möglichen Konsequenzen sichtbar machen. | |
Zu den Expertinnen und Experten gehören unter anderem die Leiterin des | |
Fraunhofer Centers for Responsible Research, Martina Schraudner, Björn | |
Theis als Leiter der „Foresight“-Abteilung beim Chemie-Konzern Evonik bis | |
hin zum [3][Inhaber der größten Science-Fiction-Bibliothek Europas mit Sitz | |
in Wetzlar, Thomas Le Blanc.] Erstmals ist mit ihm auch ein Vertreter der | |
„narrativen Zukunft“ in den Kreis der Futuristen aufgenommen worden – wohl | |
auch deshalb, weil auf dem Wege der Science Fiction in Buch und Film, in | |
Erzählungen von Jules Verne bis zur „Star Wars“-Saga und dem der deutschen | |
Raumpatrouille „Orion“, eingängige Zukunftsbilder die meisten Menschen | |
erreichen. | |
Neu ist die Einrichtung eines „Zukunftsbüros“ durch einen externen | |
Dienstleister. Nach der Ausschreibung des BMBF vom 12. März 2019 soll das | |
Zukunftsbüro den Zukunftskreis der Experten unterstützen und „als | |
Impulsgeber sowie Foresight-Akteur fungieren“. Die genauere | |
Aufgabenbeschreibung lautet: „Das Zukunftsbüro identifiziert und entwickelt | |
in einem Themen-Scanning zukünftig relevante Themen und führt ausgewählte, | |
vertiefende Foresight-Aktivitäten durch“. Dabei gehe es um technologische | |
und gesellschaftliche Themenfelder. | |
## Die großen „Megatrends“ | |
Auf der Webseite vorausschau.de werden zwar keine Angaben über das | |
Zukunftsbüro gemacht, dafür aber die großen „Megatrends“ genannt, auf die | |
der Blick gerichtet wird: von den anthropogenen Umweltbelastungen, | |
demographischer Wandel, Urbanisierung, digitaler Transformation und | |
veränderten Arbeitswelten bis hin zu Business-Ökosysteme mit neuen | |
Geschäftsfeldern sowie ausdifferenzierte Lebenswelten. | |
„Das Zukunftsbüro ist in die Netzwerke der strategischen Vorausschau sowie | |
den wissenschaftlichen Diskurs eingebunden und hat gemeinsam mit dem vom | |
BMBF für die Unterstützung bei strategischen Aufgaben in den Bereichen | |
Strategie, Innovationspolitik, Strategische Vorausschau sowie Daten- und | |
Analysegrundlagen für Bildung und Forschung beauftragten Projektträger die | |
notwendige Infrastruktur sicherzustellen“, wird der Auftrag des neuen | |
Akteurs vom Ministerium weiter beschrieben. Der aktuelle Prozess der | |
„Strategischen Vorausschau“ des BMBF läuft von 2019 bis 2022 und ist mit | |
insgesamt 6,5 Millionen Euro ausgestattet. | |
Als erstes großes Zukunftsthema werden sich Zukunftskreis und Zukunftsbüro | |
mit der Frage befassen: Wie werden sich die Wertvorstellungen der Menschen | |
in Deutschland entwickeln? Das Zukunftsbüro, das nach Aussage von | |
Bundesforschungsministerin Anja Karliczek „halbjährlich eine Trendliste | |
erarbeitet“, ist auch mit der Ausarbeitung einer „Werte-Studie“ befasst. | |
Erste Ergebnisse werden für Anfang 2020 erwartet. Die Umfrage zur | |
Datenerhebung wurde vom Meinungsforschungsinstitut Civey im Auftrag des | |
BMBF an zwei Tagen Ende August 2019 im Kontakt mit 2.500 Befragten | |
durchgeführt. | |
„Wir möchten wissen, ob und wie sich der innere Kompass der Menschen | |
verändert und was das für unsere zukünftige Gesellschaft und unser | |
Zusammenleben bedeutet“, formulierte die Ministerin das Erkenntnisinteresse | |
der Studie. „Was wird die heute junge Generation ihren Kindern mitgeben?“ | |
Ihrem Ministerium sei es „wichtig, einen offenen Diskurs über die | |
Herausforderungen, Chancen und Risiken, die sich aus den großen | |
Zukunftsfragen ergeben, anzuregen und zu fördern“, so Karliczek. Dazu auch | |
sei das in diesem Monat eröffnete Futurium, das Haus der Zukünfte, in | |
Berlin eingerichtet worden. | |
Die Zukunft hat auch eine Vergangenheit, etwa in Gestalt der vorherigen | |
Foresight-Programme des BMBF. Der Ingenieur und Zukunftsforscher Axel Zweck | |
vom VDI Technologiezentrum in Düsseldorf war maßgeblich am letzten Zyklus | |
der strategischen Zukunftsschau beteiligt, der 2015 endete. Was wurde mit | |
dem Blick in die ferne Zukunft für die Verbesserung der aktuellen | |
Forschungspolitik bewirkt? Zweck sieht Wirkungen in drei Bereichen. So habe | |
sich die Vorhersage, dass die Digitalisierung nicht nur einige Branchen | |
betreffen, sondern alle wirtschaftlichen und später auch gesellschaftlichen | |
Bereiche durchdringen werde, sehr schnell in Realität umgesetzt. | |
Auch die „autonomen Systeme“ – Anfang des Jahrzehnts wollten die | |
Zukunftsforscher noch nicht von „Künstlicher Intelligenz“ sprechen – sei… | |
dabei, ihre vorhergesagte Relevanz faktisch einzulösen. Dies werde in | |
Deutschland von einer verstärkten ethischen Debatte über die | |
gesellschaftlichen Folgen begleitet. | |
Zum dritten sei auch das Petitum seiner Foresight-Gruppe, dass es weniger | |
um die Vorbereitung technischer als vielmehr soziotechnischer Innovationen | |
gehen müsse, im Ministerium aufgegriffen worden. Zweck: „Wir hatten | |
versucht, deutlich zu machen, dass bei der Entwicklung von Technik auch | |
immer die sozialen Effekte mitbedacht werden müssen“. | |
Kritischer sieht dagegen der Berliner Zukunftsexperte Klaus Burmeister, | |
Mitautor der Studie „Deutschland D2030“, die innerministerielle Wirkung. | |
Die ersten beiden Foresight-Zyklen seit 2007 seien „hinter ihren | |
Möglichkeiten und Erwartungen zurückgeblieben“, ist seine Meinung. Bereits | |
ihre organisatorische Konstruktion weise Defizite aus, da die | |
Foresight-Vorschläge nur „als add-ons und nicht als integrierter | |
Bestandteil der strategischen Ausrichtung des BMBF“einbezogen werde, | |
urteilte Burmeister gegenüber der taz. „Zukunftsforschung hat auch nach | |
zwei Zyklen keinen geachteten oder anerkannte Stellung in der Wahrnehmung | |
des BMBF“. | |
Wirklich ernst genommen werden dagegen die Big Player der Forschung wie die | |
Fraunhofer Gesellschaft, die Max-Planck-Gesellschaft oder die Akademie der | |
Wissenschaften acatech. | |
Foresight brauche „Mut und Unabhängigkeit“, postuliert Burmeister, „Ob d… | |
in einem Ministerium realisiert werden kann, muss bezweifelt werden“, setzt | |
er hinzu. Foresight, die Vorausschau in die Zukunft, müsse Diskurse führen | |
und Themen besetzen. Burmeister: „Hierzu braucht es eine | |
Wissenschaftskommunikation auf der Höhe der Zeit“. | |
28 Sep 2019 | |
## LINKS | |
[1] http://www.vorausschau.de/ | |
[2] https://www.tab-beim-bundestag.de/de/ | |
[3] https://www.phantastik.eu/138-vita/218-thomas-le-blanc | |
## AUTOREN | |
Manfred Ronzheimer | |
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