| # taz.de -- Szenarien für Deutschland: Wo geht’s zur Zukunft? | |
| > Die Initiative „D2030“ hat acht deutsche Zukunftszenarien vorgestellt. | |
| > „Stärke durch Vielfalt“ bekam den weitaus größten Zuspruch. | |
| Bild: Es bleibt kaum Zeit zum Handeln: Der Inselstaat Kiribati ist vom Anstieg … | |
| Was morgen kommt, hatten Klaus Burmeister und Beate Schulz-Montag, | |
| Zukunftsforscher in Köln und Berlin, schon längere Zeit professionell im | |
| Blick. So am [1][Zukunfts-Thinktank Z-punkt] oder als Dozenten des | |
| [2][Zukunftsstudiengangs der Freien Universität Berlin.] | |
| Vor vier Jahren fiel ihnen aber auf: „Es gibt eigentlich kein umfassendes | |
| Szenario zur Zukunft Deutschlands, das alle Fächergrenzen überschreitet“, | |
| formuliert es Schulz-Montag. Die Idee für eine Zukunftslandkarte von | |
| Deutschland im Jahr 2030 war geboren. Seitdem arbeiteten die beiden an | |
| ihrem [3][Projekt „D2030“], knüpften ein großes Netzwerk aus | |
| professionellen Zukunftsakteuren und privaten Zukunftsinteressierten, das | |
| jetzt auf einer Konferenz in Berlin seine Ergebnisse präsentierte. | |
| Entrollt wurde die Landkarte eines künftigen Deutschland, genauer: acht | |
| unterschiedlicher Deutschlands, um auf dieser Basis zu diskutieren, welchen | |
| Weg die Gesellschaft einschlagen soll und welche Schritte es dorthin | |
| braucht. „Ein zukunftsblindes Weiter-so kam für uns jedenfalls nicht | |
| infrage“, sagt Beate Schulz-Montag. | |
| Der letzte große Entwurf, den es davor gab, war [4][„Zukunftsfähiges | |
| Deutschland“], der im Jahr 2008 vom Wuppertal-Institut für Klima, Umwelt, | |
| Energie zusammen mit den Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) | |
| und der Evangelischen Kirche formuliert wurde. Das umfassende | |
| Nachhaltigkeitsszenario, das viele notwendige „Wenden“ (Energiewende, | |
| Verkehrswende, Agrarwende) vorzeichnete, hat aber erstaunlicherweise nie | |
| eine Aktualisierung erfahren. | |
| Die private D2030-Initiative – deren eigene Zukunft, da ohne öffentliche | |
| Förderung, anfangs selbst unsicher war – traf letztlich auf eine breite | |
| Unterstützung. Sieben Unternehmen gaben finanzielle Unterstützung. Acht | |
| Beiräte wurden benannt, ein Kernteam von 21 Personen gebildet, außerdem 200 | |
| „Zukunftsbotschafter“ entsandt, die für einzelne Fachfragen zur Verfügung | |
| standen. | |
| ## Diskurs über Zukunft | |
| In zwei Onlinekonsultationen gaben 300 Teilnehmer 4.000 Beiträge ein. Der | |
| Newsletter hat 700 Bezieher. Ein intensiver Zukunftsdiskurs kam zustande. | |
| „Heute können wir sagen“, bilanziert Klaus Burmeister, „die Mühe hat si… | |
| mehr als gelohnt.“ | |
| Acht Zukunftszenarien wurden entworfen, die sich zwischen den Extremen Ich- | |
| oder Wir-Orientierung sowie weltoffen oder abgeschottet verorten. Drei | |
| Szenarien beschreiben unter dem Titel „Spurtreue Beschleunigung“ die | |
| Fortschreibung des heutigen Zustands in den Varianten „Wohlfühl-Wohlstand“, | |
| „Spaltung trotz wirtschaftlichem Erfolg“ und „unaufhaltsamer Abstieg“. | |
| Die drei Szenarien verbindet eine Orientierung auf Globalisierung (mit | |
| Liberalität, Zuwanderung, Offenheit für Wandel und einer | |
| Pro-Europa-Einstellung) mit einer dominanten Ausrichtung auf Materialismus | |
| und persönlich-individuelle Vorteile („Ich-Orientierung“). | |
| Eine zweite Gruppe von ebenfalls drei Szenarien mit dem Titel „Neue | |
| Horizonte“ verbindet die gleiche Haltung zur Globalisierung und Offenheit | |
| mit der Präferenz einer Wir-Gesellschaft, die zugleich ökologisch | |
| nachhaltig ausgerichtet ist. Diese Zukunftsentwürfe tragen die Namen: | |
| „Spielräume für die Zivilgesellschaft“, „Stärke durch Vielfalt“ und | |
| „Renaissance der Politik“. | |
| Zwei weitere Entwürfe sind auf der Seite der Antiglobalisierung | |
| angesiedelt: In diesen Abgrenzungsszenarien herrschen Protektionismus, | |
| Regulierung, Traditionsorientierung und Autarkie. Die ökologische | |
| Wir-Variante verkörpert das „Suffizienz“-Modell der aktuellen | |
| Nachhaltigkeitsdiskussion: Genügsamkeit und Postwachstum. Das andere, | |
| ich-orientierte Szenario mit dem Titel „Alte Grenzen“ wird im politischen | |
| Raum besonders von der AfD propagiert. | |
| ## Ungewissene Zukunft | |
| Und welche dieser Zukunftsentwürfe hat die höchste Wahrscheinlichkeit, in | |
| 13 Jahren zur Realität zu werden? Das kann die D2030-Zukunftslandkarte zwar | |
| nicht beantworten, aber zumindest die heutigen Präferenzen hat das | |
| Szenarioteam von Karlheinz Steinmüller (Z_punkt The Foresight Company) und | |
| Alexander Fink [5][(ScMI Scenario Management International)] ermittelt. Mit | |
| 77 Prozent votierten die D2030-Teilnehmer der Onlinebefragung für das | |
| Szenario „Stärke durch Vielfalt“ als die wünschenswerteste aller möglich… | |
| Zukünfte. Kernelemente dieses „Vielfalts-Szenarios“ sind eine erneuerte, | |
| soziale Marktwirtschaft und „Zuwanderung als Chance für die offene | |
| Gesellschaft“. | |
| Auf den zweiten Platz mit 70 Prozent kommt das „Freiheits-Szenario“ | |
| („Spielräume für die Zivilgesellschaft“), das die Anhänger der digitalen | |
| Transformation bevorzugen. Die grüne Suffizienz-Utopie eines | |
| Ökoregionalismus kommt mit 42 Prozent Zustimmung auf Platz 5. Interessant | |
| sind die Meinungen zu den beiden Abstiegsszenarien: Gewünscht werden sie | |
| von maximal 6 Prozent der Teilnehmer, aber für möglich gehalten werden sie | |
| von 45 beziehungsweise 48 Prozent. Dagegen wird dem „Verzichts-Szenario“ | |
| mit 22 Prozent die geringste „Nähe zur erwarteten Zukunft“ attestiert. | |
| Die Zukunft kann aber auch schneller kommen, als man denkt. Das Szenario | |
| „Alte Grenzen“ wird so beschrieben: „Digitalisierung und globale | |
| Verwerfungen erschüttern Deutschlands Wirtschaftsmodell. Die Gesellschaft | |
| zieht sich ins Nostalgisch-Traditionelle zurück und schottet sich ab. Die | |
| Digitalisierungverlierer erliegen der Versuchung einfacher Lösungen der | |
| Re-Nationalisierung.“ Kein attraktiver Entwurf für ein Deutschland 2030. | |
| Frappierend: Ersetzt man das Wort „Deutschland“ durch „USA“ erhält man… | |
| Gegenwartsbeschreibung der Vereinigten Staaten nach der Wahl von Donald | |
| Trump zum US-Präsidenten. | |
| ## Neuer Schub für die Debatte | |
| Mit ihrer Landkarte wollen die D2030-Macher der Zukunftsdebatte und dem | |
| Zukunftsbewusstsein in Deutschland einen neuen Schub geben. Weitere Ideen | |
| sind in Planung, so etwa ein „Zukunfts-Index“ nach dem Muster des | |
| ifo-Geschäftsklima-Index, der die Zukunftsfähigkeit des Landes auf einen | |
| Blick erfassbar macht. „Wir brauchen noch viele solcher neuer Ideen“, sagt | |
| Klaus Burmeister. „Damit sich die gesellschaftlichen Akteure im Sinne von | |
| Robert Jungk bei der Zukunftsgestaltung selbst unterstützen.“ | |
| In der Debatte der Konferenz wurden weitere Anregungen gegeben. Die | |
| Präsidentin des [6][Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung | |
| (WZB),] Jutta Allmendinger, beklagte eine „fehlende Ernsthaftigkeit der | |
| öffentlichen Diskurse“ über Themen mit Zukunftsrelevanz. Wichtig sei die | |
| Erhaltung und Neuetablierung von „sozialen Marktplätzen“, wo Menschen aus | |
| unterschiedlichen sozialen Schichten zusammenkommen und sich austauschen | |
| können. | |
| Der Züricher Physiker [7][Dirk Helbing] verwies auf den Zeitdruck, unter | |
| dem durch die Bedrohung des Klimawandels gehandelt werden müsse. Bisher | |
| habe Wissenschaft und Innovation dazu gedient, das bestehende System zu | |
| verbessern. „Wir brauchen aber jetzt system-verändernde Innovationen“, | |
| erklärte Helbing. | |
| 23 Jul 2017 | |
| ## LINKS | |
| [1] http://www.z-punkt.de/ | |
| [2] http://www.ewi-psy.fu-berlin.de/v/master-zukunftsforschung/index.html | |
| [3] https://www.d2030.de/ | |
| [4] https://wupperinst.org/p/wi/p/s/pd/384/ | |
| [5] http://www.scmi.de/de/ | |
| [6] https://www.wzb.eu/de | |
| [7] http://www.coss.ethz.ch/people/helbing.html | |
| ## AUTOREN | |
| Manfred Ronzheimer | |
| ## TAGS | |
| Zukunft | |
| Nachhaltigkeit | |
| Schwerpunkt Klimawandel | |
| Schwerpunkt Coronavirus | |
| Forschungsministerium | |
| COP21 | |
| Schwerpunkt Klimawandel | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Zukunftsforscher korrigieren Prognosen: Ein Virus verändert die Zukunft | |
| Die Zukunftsforscher von D2030 haben ihre Prognosen einem | |
| „Corona-Stresstest“ unterzogen. Der Optimismus schwindet. | |
| Niko Paech über Postwachstum und Corona: „Nicht mehr zurück ins Hamsterrad�… | |
| In der Zwangspause vom Leistungsstress erkennen viele Menschen die Vorteile | |
| einer entschleunigten Gesellschaft, sagt Wachstumskritiker Niko Paech. | |
| Expertentrat für künftige Entwicklungen: Der dritte Blick in die Zukunft | |
| Der vom Forschungsministerium eingesetzte Zukunftsrat soll die Politik in | |
| Zukunftsfragen unterstützen. Es geht vor allem um langfristige Trends. | |
| Fidschi-Inseln und das Klimaabkommen: „Wir haben Trump schon eingeladen“ | |
| Die Republik Fidschi braucht das Paris-Abkommen zum Überleben. | |
| Botschafterin Nazhat Shameem Khan über Aussteiger Trump und | |
| Zukunftsszenarien. | |
| Klimarat schlägt Alarm: Revolution oder Katastrophe | |
| Ein interner Bericht des Weltklimarats IPCC ist pessimistisch: Viele | |
| Probleme sind technisch zu lösen, Geld ist auch genug da – allein der | |
| politische Wille fehlt. | |
| SERIE BERLIN 2020 (TEIL 1): Wohnen: Willkommen im urbanen Dorf | |
| Wie wir in zehn Jahren wohnen, weiß die Immobilienwirtschaft offenbar am | |
| besten. In den Innenstädten wird das Wohnen zur begehrten Ware, in anderen | |
| Quartieren rückt man enger zusammen. Die Kluft wächst. |