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# taz.de -- Zukunftsforscher korrigieren Prognosen: Ein Virus verändert die Zu…
> Die Zukunftsforscher von D2030 haben ihre Prognosen einem
> „Corona-Stresstest“ unterzogen. Der Optimismus schwindet.
Bild: Die Klimakrise wird das beherrschende Thema der Post-Corona-Zeit sein
Berlin taz | Zukunft hat zu Jahresbeginn immer eine besondere Konjunktur.
Was steht zu erwarten? So fragen sich viele und nehmen „wissenschaftliche
Ferngläser“ zur Hand, um eine faktenbasierte Vorausschau auf das Kommende
zu richten. Wie sehr die Zukunftsabschätzung aber auch in die Irre führen
kann, zeigt sich zwölf Monate später beim bilanzierenden Blick in den
„Rückspiegel“. Häufig hat sich die Realität kaum um die Befolgung der
Prognosen gekümmert.
Gerade in Pandemiezeiten – in der ein unvorhergesehener „schwarzer Schwan“
namens „Corona“ die Welt auf den Kopf stellt – ist die Zukunftsforschung
ein kniffliges Geschäft. Eine Gruppe alternativer Futurologen hat es
dennoch gewagt und unterschiedliche Entwicklungsszenarien auf ihre
Plausibilität abgeklopft.
Die Gruppe um die Berliner [1][Zukunftsforscher Klaus Burmeister,]
Alexander Fink und Beate Schulz-Montag hatten bereits 2017 mit ihrem Verein
[2][„D2030 – Deutschland neu denken“] eine breit angelegte Prognose für …
20er Jahre erstellt, die sie nun, unter veränderten Rahmenbedingungen, auf
den Prüfstand gestellt haben. „Corona-Stresstest“ nennen sie ihre
Update-Studie, um mit ihr die Frage zu beantworten: Welche Zukunft
gestattet uns das Virus? Was kommt nach der Pandemie?
In seiner Expertenbefragung vor vier Jahren hatte das D2030-Team – das
seine Untersuchung ohne Auftrag auf der Grundlage von Spenden finanzierte –
acht sehr unterschiedliche mögliche „Zukünfte“ für die Bundesrepublik
identifiziert und sie nach Plausibilität und Wünschbarkeit sortiert. Als
wenig wahrscheinlich wurden die Szenarien „Bewusste Abkoppelung“ und „Alte
Grenzen“ gewertet, in der etwa die Abschottung in der Zuwanderung oder
wirtschaftliche Autarkie und Selbstversorgung die politischen Leitlinien
darstellen. Stärker als in Deutschland wurden damals, 2017, in den USA
unter Donald Trump solche Retro-Tendenzen zur tatsächlichen Polit-Maxime.
Für Deutschland wurden die beiden Szenariengruppen „Spurtreue
Beschleunigung“ – nach der Devise „Weiter so wie bisher, nur etwas flotte…
– und „Neue Horizonte“, unter anderem mit der Zukunftsvariante „Spielr�…
für die Zivilgesellschaft“, entworfen. Beide Alternativen standen in
gewisser Weise im September 2021 mit der Bundestagswahl zur politischen
Entscheidung an, mit bekanntem Ergebnis. Die Fortsetzung des
„Wohlfühl-Wohlstands“ – so der Titel eines D2030-Szenarios – nach
Merkel’schem Muster wurde abgewählt, um stattdessen „Mehr Fortschritt“ zu
riskieren.
## Positiver Strukturwandel erwartet
Dazwischen sauste im März 2020 der Corona-Hammer nieder. In zwei
Befragungsschleifen suchten die Berliner Zukunftsforscher zu ermitteln, was
sich dadurch für ihre Prognosen veränderte. In einem ersten „Stresstest“
wurden im Frühjahr 2020 insgesamt 117 Zukunftsexperten einvernommen. Drei
Viertel von ihnen sprachen sich für einen „optimistischen Entwicklungspfad“
aus und erwarteten einen „positiven Strukturwandel nach der Corona-Krise“.
Ein Jahr später, im Sommer 2021, hatte sich bei der nichtrepräsentativen
Befragung von weiteren 175 „Zukunftsexperten und Zukunftsinteressierten“
das Meinungsbild bereits gedreht. Nun sahen nur noch 37 Prozent in der
Post-Corona-Zeit einen „Strukturwandel kommen, der zu mehr Nachhaltigkeit
und Gemeinwohl“ führt. Die Mehrheit dagegen, 58 Prozent, hielt die
„Rückkehr zur alten Normalität“ für plausibler.
In der Interpretation der Befragungsergebnisse blickt das D2030-Team in
eine stärker polarisierte Zukunft. „Bestätigt hat sich die Befürchtung aus
frühen Corona-Phasen, dass starke Wertekonflikte in der Gesellschaft
aufbrechen werden“, fasst Klaus Burmeister einen neuen Trend zusammen. „So
wurde während oder durch die Corona-Krise die vormalige Dominanz globaler
und offener Ansätze gebrochen – selbst bei der gewünschten Zukunft haben
regressive Sichtweisen erkennbar zugelegt.“
Auch hätten sich „eine Reihe von Hoffnungen aus der frühen Corona-Zeit eben
nicht erfüllt“, darunter die Stärkung hochqualitativer Medienangebote, die
Auflösung des Gegensatzes von Wirtschafts- und Umweltinteressen sowie die
„breitere Erprobung von neuen Formen von Gemeinschaft und kultureller
Offenheit“. Stattdessen entstand die „Querdenker“-Bewegung und eine weit
verbreitete Impfskepsis.
Alles schlechter durch Corona? Keineswegs, relativiert der neue
Zukunfts-Befund von D2030. Die Mehrzahl der Deutschen habe während der
Coronakrise auch positive Erfahrungen gemacht. Stichworte sind Homeoffice,
Impfinnovationen, Solidarität, Digitalisierung. „Mit Corona haben sich auch
positive Entwicklungen verfestigt, beispielsweise die Erschließung
ländlicher Räume und die Stärkung hochwertiger Produkte aus regionalen
Kreisläufen“, heißt es in der Bilanz.
Darüber hinaus seien auch Befürchtungen wie einer starke Wirtschaftskrise
oder einem vollständigen Zusammenbruch des Gesundheitssystems ausgeblieben.
Auf mittlere Sicht hat die D2030-Gruppe zwei klare Zukunftstrends
ausgemacht. Zum einen werde die Klimakrise, die durch Corona
zwischenzeitlich zurückgedrängt wurde, „das beherrschende Thema der
Post-Corona-Zeit sein“. Zum zweiten seien die Veränderungen der
Arbeitswelt durch Corona beschleunigt worden. Hier werde sich – durch
räumlich verteilte und digitalisierte Arbeit – eine „neue Normalität“
einstellen.
## Unbequeme Wahrheiten
Zukunftsgestaltung in gesellschaftlichem Maßstab braucht eine gemeinsame
Vision. Für die D2030-Gruppe können dies weiterhin die
„Neue-Horizonte“-Szenarien bilden, als „die eindeutigen Wunschbilder für
die Zukunft“. „Die breite Akzeptanz auch unbequemer Wahrheiten, neuer
Spielregeln und veränderter Politikansätze sowie der Wunsch nach
gesellschaftlichem Konsens und konkreten Umsetzungspfaden spricht für eine
intensivere Diskussion dieser Szenarien auf Basis einer erweiterten
Perspektive“, betont Klaus Burmeister.
Gerade im politischen Gestaltungsraum seien neue Diskursformate dringender
denn je. „Es besteht der Wunsch, dass politische Entscheidungen stärker auf
wissenschaftlichen Erkenntnissen aufsetzen, strategischer und langfristiger
angelegt sind – und dass sie ehrlicher und professioneller kommuniziert
werden“, so ein Befund des Corona-Stresstests.
Vielfach gewünscht würden neben neuen Foren und neuen Diskursformaten auch
vielfältige Elemente direkter Demokratie. „Politiker müssen Fehler machen
dürfen, sollten aber auch lernen, fundiert zu experimentieren.“ Eine neue
Annäherung zwischen Gesellschaft und Politik müsse angebahnt werden, denn
die derzeitige Parteienstruktur werde „durchgängig als kritisch
beschrieben“.
## Gemeinsame Basis schaffen
Es gibt fünf große Themen, die laut D2030 beim weiteren Zukunftsdiskurs im
Mittelpunkt stehen sollten: Das sind neben Klima und Nachhaltigkeit die
Bildung, soziale Gerechtigkeit, Demokratie sowie Deutschlands Rolle in der
Welt. Bei der Gestaltung des Diskurses komme es darauf an, „die
gesellschaftliche Diskursfähigkeit zu verbessern und (wieder) eine
gemeinsame Basis zu schaffen – also den Umgang mit Fake News zu beachten“.
Im Licht der jüngsten politischen Entwicklung, dem Amtsantritt der
Ampelregierung, hat sich bei den zivilgesellschaftlichen Zukunftsfahndern
der D2030-Gruppe wieder ein positiver Grundton eingestellt. „Besonders
erfreulich ist, dass sich im Grundverständnis [3][des Koalitionsvertrages]
alle drei von uns beschriebenen Hebel für eine positive Entwicklung
wiederfinden“, heben sie in einer aktuellen Bewertung der
Regierungsvereinbarung hervor.
Diese drei Zukunftshebel lauten: „komplexe Fragen akzeptieren und
strategisch denken, alte Denkgrenzen überwinden und vernetzt denken sowie
mehr Experimente wagen und zukunftsoffen denken“. Zukunftsforscher
Burmeister: „Dies lässt uns hoffen, dass wir uns nach Corona wieder mehr
intellektuellen und experimentellen Freiraum für die Wirtschaft und
Gesellschaft nehmen können.“
14 Jan 2022
## LINKS
[1] /Expertentrat-fuer-kuenftige-Entwicklungen/!5626556
[2] /Szenarien-fuer-Deutschland/!5426527
[3] /Einigungen-der-Ampel-Parteien/!5817741
## AUTOREN
Manfred Ronzheimer
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Schwerpunkt Klimawandel
Zukunft
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Forschung
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Zukunft
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