# taz.de -- Corona und die Stadt der Zukunft: Holt euch die Stadt zurück! | |
> Die Geschäfte in den Innenstädten haben Probleme: Gut so. Denn der | |
> Lockdown ermöglicht, darüber nachzudenken, was die City in Zukunft | |
> ausmachen soll. | |
Bild: Schick ist Bremens Einkaufsmeile gleich am Markt. Bloß am anderen Ende s… | |
BREMEN taz | Hing das braune Packpapier hier schon vergangenen Februar im | |
Schaufenster oder haben die es erst an die Scheiben geklebt, als die Seuche | |
schon umging? Die Obernstraße in Bremen, das ist die Haupteinkaufsmeile, | |
wobei Meile natürlich viel zu viel ist: Es sind keine 500 Meter. | |
Vorn am Eingang, wenn man von Rathaus, Roland, Markt und Dom her kommt, dem | |
historischen Kern, prangt der Karstadt-Tempel von 1932, ein respektabler | |
Nachkömmling jener Epoche, in der die Kathedralen des Konsums die Citys | |
Europas neu definierten. | |
Hinten, am anderen Ende trägt sie den kuriosen Namen Hutfilterstraße. Da | |
gibt’s Euroshop, einen Döner und eine Apotheke. Dazwischen sind ein paar | |
Modekaufhäuser, oder die entsprechenden Klotz-Immobilien mit den | |
einschlägigen Fensterfronten. Die sind beklebt: Die einen von außen, mit | |
kreisförmigen roten Riesenstickern, die weiterhin Preissenkungen von 30 bis | |
50 Prozent versprechen. | |
Aushänge verkünden, dass nach der Pandemie sofort wieder aufzumachen | |
geplant sei, man aber jetzt und hier, wie in ganz Deutschland, den Laden | |
geschlossen habe, und zwar nicht, weil es Pflicht ist, sondern „weil | |
Verantwortung und Solidarität jetzt zählt“. | |
## War's Corona oder Management? | |
Das ist keine Regierungserklärung, sondern der Infoschrieb einer Modekette: | |
„Die Gesundheit unserer Mitarbeiter und Kunden sowie ein solidarisches | |
Miteinander stehen für uns […] an erster Stelle“, zum Glück, denn der | |
Umsatz sinkt seit Jahren, von über 200 Richtung 150 Millionen. Außerdem | |
gibt’s noch die Adresse des Onlineshops. | |
Die anderen haben das Glas von innen mit weißer Makulaturtapete verklebt, | |
die Namensschilder demontiert, jeden Hinweis darauf beseitigt, dass sie mal | |
da waren. Und dann und wann ein rot-weiß-rotes [1][Absperrband]. War hier | |
nicht vor Corona die Modekette Laura ansässig? Oder war es Zara? Oder | |
Pimpinella? Oder eine Schuhhändlerfiliale? Entsteht hier schon ein neues | |
Tedi oder wird es noch ein Outlet-Store als Zwischenstopp? Hat die | |
Infektion den Kaufhof dahingerafft oder war es doch nur die Misswirtschaft? | |
Letzteres gilt immer, oder genauer: Die großen Ketten, deren Kaufhäuser das | |
Stadtzentrum noch beherrschen, haben gern die Pandemie als Chance genutzt, | |
um fast ohne Schaden fürs Image die Standorte, die nicht profitabel genug | |
schienen, aufzugeben. | |
Wenn es eine Strategie gibt, dann die auf großer und billiger Fläche in | |
Stadtnähe mit viel Parkplätzen – oder alles nur online zu verticken. Die | |
Taktik ist: Erst laut jammern, um auszuloten, ob sich Subventionen ergeben, | |
und wenn nein: schnell weg und Schadenersatz fordern. | |
In Bremen wird das dann von der Opposition, die das Sprachrohr einer | |
maximal ideenarmen Handelskammer gibt, als Politikversagen gegeißelt. Die | |
SPD, die Marx fürchtet und Sozialismus für ein Schimpfwort hält, barmt, | |
dass all das ja sehr schlimm ist und man es auch gern anders hätte, und | |
Linke und Grüne suchen Leute, die sich eine fancy Zwischennutzung einfallen | |
lassen. | |
## Grüne suchen fancy Zwischennutzung | |
Und alle fühlen sich dann bestätigt durch empirische Forschungen, die | |
feststellen, dass „nach wie vor der Einkaufsbummel das Motiv Nr. 1“ sei, | |
„um in die Bremer Innenstadt zu kommen“: Kunststück, wenn es da nix anderes | |
zu tun gibt als zu shoppen. Dass eine Studie des Instituts für | |
Handelsforschung Köln daraus aber glaubt ableiten zu müssen, dass im | |
Einzelhandel „das größte Verbesserungspotenzial“ fürs Bremer Zentrum lie… | |
scheint eine doch sehr rückwärtsgewandte Zukunftsforschung. | |
Es ist sinnvoll, daran zu erinnern, dass auch das Paradigma Einkaufsstadt | |
so alt nicht ist: Es hat die City als Ort von Handwerks- und | |
differenzierten Märkten im 19. Jahrhundert überschrieben – durch trutzige | |
Konsumburgen. Packende [2][Romane] haben aus dieser Entwicklung ihren Stoff | |
gewonnen – erst Émile Zolas „Paradies der Damen“, dann, fürs | |
nachzüglerische Deutschland, der Kaufhausroman [3][W.A.G.M.U.S., die | |
Husumer Großschriftstellerin Margarethe Böhme]. Die Händler waren die | |
Treiber der Entwicklung. Sie waren die Herren der Stadt und des Erdkreises. | |
Sie waren scheiße, aber auch kühn. | |
## Die Stadt neu denken | |
Die Gegenwart sucht noch ihre Chronist*innen. Sie sucht auch noch die | |
Held*innen und Kollektive, die mutig voranschreiten und City nicht aus | |
dem Bestand einfach fortschreiben. Die Gegenwart sucht noch ihre Tendenz, | |
also eine neue Funktion des Zentrums, eine Antwort auf die Frage: Was | |
wollen wir mit der Stadtmitte anfangen und warum ist sie dafür gut | |
geeignet? | |
Darauf muss es mehr Antworten geben als zusätzliche Straßenmöblierung und | |
was mit Kultur. Jetzt ist der Zeitpunkt, nach ihnen zu suchen, das | |
Beharrungsvermögen der Pfeffersäcke zu ignorieren, das nur dazu führt, dass | |
Geld in welke Strukturen gepumpt wird, die es auch ohne Corona keine zehn | |
Jahre mehr gemacht hätten, und die man ersetzen müsste. Es geht jetzt | |
darum, die Stadt neu zu denken. | |
Denn sonst kommt [4][Tedi]. | |
16 Feb 2021 | |
## LINKS | |
[1] https://de.wikipedia.org/wiki/Das_Karussell | |
[2] https://fr.wikipedia.org/wiki/Au_Bonheur_des_Dames | |
[3] https://www.verlagsgruppe.de/produktdetails/product/boehme-margarete-wagmus… | |
[4] https://www.tedi.com/ | |
## AUTOREN | |
Benno Schirrmeister | |
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