| # taz.de -- Empfehlungen des Wissenschaftsrates: Fakten anstatt Falschinformati… | |
| > Das Positionspapier zur Wissenschaftskommunikation ist enttäuschend. | |
| > Dabei ist es notwendiger denn je, die Fakten von Fake News zu trennen. | |
| Bild: So einfach ist es wiederum auch nicht, denn Wissenschaft lebt von der Deb… | |
| Berlin taz | Wie sich die Wissenschaft mit der Welt außerhalb des | |
| Elfenbeinturms verständigt, war in der zurückliegenden Legislaturperiode | |
| ein Dauerthema für die Politik. Bundestag, Ministerium, Akademien – alle | |
| haben sich mit der „Wissenschaftskommunikation“ beschäftigt, Schwächen | |
| benannt und Lösungsvorschläge formuliert. In dieser Woche war der | |
| [1][Wissenschaftsrat] an der Reihe: [2][Sein Positionspapier] ist | |
| allerdings eines der schwächsten der gesamten Debatte – die | |
| Ermüdungseffekte der Dauerdiskussion lassen sich nicht kaschieren. Deutlich | |
| wird das bei den Themen Plattformregulierung und Wissenschaftsjournalismus. | |
| So weist das ranghöchste Beratungsgremium für die Wissenschaftspolitik von | |
| Bund und Ländern in seiner 97 Seiten umfassenden Stellungnahme darauf hin, | |
| dass die digitale Transformation des Mediensystems in Deutschland nicht nur | |
| die Möglichkeiten der Wissenschaft verändert hat, mit der Gesellschaft in | |
| Verbindung und kommunikativen Austausch zu treten, sondern auch | |
| problematische demokratiepolitische Folgewirkungen hervorgerufen hat. | |
| Ein eigenes Kapitel ist dem „Strukturwandel der öffentlichen Kommunikation“ | |
| gewidmet, der stark vom Vordringen der sozialen Medien geprägt ist. | |
| Auswirkungen sind nicht nur die ökonomische Bedrohung der herkömmlichen | |
| analogen Massenmedien und auf digitalen Plattformen mit algorithmisch | |
| gesteuerter Information das Entstehen von „Filterblasen“, die zu einer | |
| Spaltung der Gesellschaft führen. | |
| „Auf gesellschaftlicher Ebene kann die selektive Rezeption von | |
| Informationen dazu führen, dass sich in fragmentierten Teilöffentlichkeiten | |
| Vorurteile verfestigen, Einstellungen radikalisieren und | |
| Auseinandersetzungen polarisieren“, stellt der Wissenschaftsrat fest. „Mit | |
| zunehmender Dringlichkeit stellt sich daher auf nationaler und | |
| internationaler Ebene die Frage, mit welchen medienrechtlichen Instrumenten | |
| die Macht privater digitaler Plattformen so beschränkt werden kann, dass | |
| die demokratische Öffentlichkeit gestärkt wird“. Eine bemerkenswert | |
| kritische Äußerung für ein Gremium, das zur Hälfte aus Wissenschaftlern und | |
| aus Vertretern der Wissenschaftspolitik besetzt ist. | |
| Zu einer konkreten Empfehlung hat sich der Wissenschaftsrat allerdings | |
| nicht vorgewagt. „Die Bearbeitung übergeordneter Fragen von Medien- und | |
| Demokratiesicherung sollte Gegenstand weiterer wissenschaftlicher wie | |
| politischer Beratungen sein, da allein auf die Wissenschaft beschränkte | |
| Maßnahmen eine erfolgreiche Wissenschaftskommunikation auf Dauer kaum | |
| sicherstellen können“, heißt es entschuldigend. | |
| ## Empfehlungen nicht umgesetzt | |
| Dazu muss man wissen, dass die Debatte vor vier Jahren schon weiter war. | |
| 2017 legten [3][die deutschen Wissenschaftsakademien, unter ihnen Acatech | |
| und die Leopoldina], Empfehlungen für den Bereich „Wissenschaft, | |
| Öffentlichkeit, Medien“ (WÖM) vor. Schon damals wurde für medienrechtliche | |
| Eingriffe plädiert: „In die Regulierung sind auch Plattformen für Social | |
| Media einzubeziehen, da sie relevant für die demokratische Öffentlichkeit | |
| sind (Meinungsmacht)“, lautete die Forderung. Eine dafür vorgeschlagene | |
| Expertengruppe wurde aber nie eingesetzt. | |
| Auch bei der Bewertung des Wissenschaftsjournalismus hat der | |
| Wissenschaftsrat nichts Neues zu bieten. Konstatiert wird das bekannte | |
| Auseinanderdriften von PR und Journalismus. „Während wissenschaftliche | |
| Einrichtungen ihre Presse- und Öffentlichkeitsarbeit in den vergangenen | |
| Jahren ausgebaut und professionalisiert haben, ist der | |
| Wissenschaftsjournalismus von Einsparmaßnahmen vor allem im Bereich der | |
| Printmedien bedroht“, wird festgestellt. Und weiter: „Diese Verschiebung | |
| des Kräfteverhältnisses, die durch die Covid-19-Pandemie beschleunigt | |
| wurde, ist weder im Interesse des Wissenschaftssystems noch der | |
| Wissenschaftspolitik.“ | |
| Es könne nämlich, so die Begründung, in der Wissenschaftskommunikation | |
| „nicht auf eine unabhängige Instanz verzichtet werden, die zwischen | |
| Wissenschaft und Öffentlichkeit vermittelt“ und Entwicklungen in der | |
| Wissenschaft „auch kritisch begleitet“. Bei solcher Relevanz des | |
| Wissenschaftsjournalismus könne darum „nicht nur auf kommerzielle | |
| Geschäftsmodelle vertraut“ werden, sondern nötig seien „ergänzend | |
| öffentliche Mittel“. | |
| An dieser Stelle könnte es interessant werden im Ratspapier, aber es folgen | |
| nur kleinteilige Vorschläge, auf die auch schon die Expertengruppe | |
| factorywisskomm von [4][Bundesforschungsministerin Anja Karliczek] in | |
| diesem Sommer gekommen war. Darunter die Förderung von Rechercheverbünden, | |
| die Stärkung des datenbasierten Journalismus und die Erweiterung fachlicher | |
| Orientierungen. | |
| Zur Erinnerung: Die WÖM-Gruppe der Akademien war 2017 bereits weiter. Sie | |
| empfahl den „Aufbau einer redaktionell unabhängigen bundesweiten | |
| Wissenschaftskommunikations- und Informationsplattform, deren Inhalte für | |
| ein breites Publikum verständlich sind“. Die journalistisch besetzte | |
| Redaktion dieser Internetplattform müsse „staats- und | |
| wissenschaftsorganisationsfern institutionalisiert unter einem | |
| Herausgebergremium arbeiten können“. Auch diese Idee einer grundlegend | |
| neuen Publikationsstruktur im Internetzeitalter wurde von niemand | |
| aufgegriffen. Inzwischen gibt es allerdings auch Anzeichen dafür, dass sich | |
| eine solche Plattform aus dem Webangebot des öffentlich-rechtlichen | |
| Wissenkanals „ARD-alpha“ bilden könnte. | |
| Weil für solche Plattformen oder andere journalistische Publikationsformate | |
| größere finanzielle Räder zu drehen wären, richtet der Wissenschaftsrat an | |
| den Bund und die Länder die Empfehlung, „verfassungskonforme Möglichkeiten | |
| der Ausgestaltung von Förderstrukturen für Qualitätsjournalismus zu | |
| prüfen“. | |
| Auch hier tritt das Beratungsgremium auf der Stelle, statt einen Schritt | |
| nach vorne zu machen. Denn die dahinterstehende Befürchtung, eine | |
| öffentliche Presseförderung stehe im Widerspruch zur Pressefreiheit im | |
| Grundgesetz und mache Presse unfrei – ein Standard-Argument von Ministerin | |
| Karliczek bis zuletzt –, gilt aus juristischer Sicht als gegenstandslos. | |
| So gelangt ein Gutachten des Gießener Verfassungsrechtlers Steffen Augsberg | |
| zu dem Ergebnis: „Die staatliche Förderung des Wissenschaftsjournalismus | |
| ist verfassungskonform“. Laut Augsberg wäre eine staatliche Förderung „da… | |
| begründet, wenn das privatwirtschaftliche Refinanzierungsmodell des | |
| Wissenschaftsjournalismus derart beschädigt ist, dass substanzielle | |
| Verluste bei Qualität und Ausmaß hochwertiger | |
| Wissenschaftsberichterstattung drohen“. | |
| ## Desinformation ist kein neues Phänomen | |
| Diese Sachlage ist aus Sicht des Berufsverbands der | |
| Wissenschaftsjournalisten, der Wissenschaftspressekonferenz (WPK) | |
| inzwischen längst eingetreten, weshalb sie das Gutachten im Frühjahr in | |
| Auftrag gegeben hatte. | |
| Nicht ausgeschlossen, dass von dem Förderregen – wenn er denn kommt – auch | |
| wissenschaftsjournalistische Graswurzelprojekte profitieren können. Ihnen | |
| zollt der Wissenschaftsrat in seinem Papier durchaus Respekt, wenn er auf | |
| eine der Grundfunktionen von Journalismus zu sprechen kommt, nämlich die | |
| Fähigkeit, Fakten von Falschinformation zu trennen. Diese Kompetenz ist in | |
| der neuen Mediensituation aber immer schwerer zur Geltung zu bringen. | |
| „Das Phänomen der Desinformation ist nicht neu“, schreibt der | |
| Wissenschaftsrat, „erreicht aber durch digitale Plattformen, insbesondere | |
| über Social Media, eine massive Verstärkung und zuvor nicht gekannte | |
| Verbreitung“. In der Covid-19-Pandemie habe sich gezeigt, „welche | |
| Persistenz Falschinformationen in einem labilen journalistischen | |
| Medienumfeld entwickeln“ und wie deren „nahezu ungebremste digitale | |
| Verbreitung im Internet beziehungsweise den Social Media die öffentliche | |
| Meinungsbildung beeinflussen“ können. Vor diesem Hintergrund empfiehlt der | |
| Rat, „Initiativen und Einrichtungen, die neue Finanzierungsmodelle für | |
| einen unabhängigen Online-Qualitätsjournalismus erproben und digitale | |
| Innovationen entwickeln, besonders anzuerkennen“. | |
| Aber wie? Vielleicht hat die neue Bundesregierung die Antwort. | |
| 4 Nov 2021 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Lehren-aus-der-Coronapandemie/!5743582 | |
| [2] https://www.wissenschaftsrat.de/download/2021/9367-21.html | |
| [3] /Wissenschaftskommunikation-verbessern/!5422188 | |
| [4] /Vermittlung-von-Wissenschaft/!5779429 | |
| ## AUTOREN | |
| Manfred Ronzheimer | |
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