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# taz.de -- Homophobie in Ungarn: Orbáns Spiel mit den Farben
> Viktor Orbán macht weiter Stimmung gegen queere Menschen. Welche Vorteile
> er sich davon verspricht und warum europäische Solidarität wichtig ist.
Bild: Es gibt auch das bunte, tolerante Ungarn, wie hier bei einer Drag-Show in…
BUDAPEST taz | Eindrucksvoll ist es nicht gerade, aber die Botschaft kommt
an. Das Stadion des Fußballvereins Ferencváros Budapest wird hinter einer
riesigen Adlerstatue rot beleuchtet, die Vereinsfarben sind sowieso Grün
und Weiß. So erstrahlt die Arena an der Ausfallstraße zum Flughafen in den
Nationalfarben Ungarns. Ausgedacht hat sich das Klubpräsident Gábor
Kubatov. Er ist gleichzeitig Viktor Orbáns Mann fürs Grobe und
Vorstandsmizglied der stellvertretender Vorsitzender der Regierungspartei
Fidesz.
Da aber auch die meisten anderen ungarischen Fußballvereine im Besitz der
Orbán-Oligarchie sind, wurde die symbolische Geste schnell überall im Land
nachgeahmt. In Miskolc, Veszprém und Debrecen – und natürlich machte
[1][auch der Heimatverein des ungarischen Ministerpräsidenten] mit. Der
Vizemeister der ungarischen Liga ist in dem rund 1.800 Einwohner großen
Dorf Felcsút zu Hause, sein Stadion hat Platz für 3.500 Zuschauer.
Doch das in den ungarischen Nationalfarben angestrahlte Stadion in Felcsút
werden am vergangenen Mittwoch nur wenige Menschen gesehen haben. Die
überwiegende Mehrheit guckte die Fußball-Europameisterschaft, genauer
gesagt das Spiel zwischen Deutschland und Ungarn, das am selben Abend in
der Allianz Arena in München stattfand.
Doch vorher hatte es jede Menge Stress gegeben. Denn eigentlich hätte die
Arena zum Zeichen der Solidarität mit der ungarischen LGBTIQ*-Community in
den Farben des Regenbogens leuchten sollen, doch dann hatte es die Uefa
unter großen Protesten verboten.
## Schwul, das sind die anderen
Viktor Orbán postete übrigens kurz nach dem vorzeitigen Aus für die
ungarische Nationalmannschaft Fotos seines Heimatvereins in den Farben Rot,
Weiß, Grün. Und wäre er nicht so besessen von Fußball, weshalb ihn die
Niederlage geradezu kirre machen muss, könnte er sich eigentlich riesig
freuen. Denn: Es läuft gerade prächtig für ihn im Streit um [2][das neue
ungarische Anti-LGBTQI-Gesetz] – und [3][München] hat da mitgeholfen.
Denn während als Reaktion auf das Uefa-Verbot mit einem Mal überall
Regenbogenflaggen zu sehen waren, konnte Orbán sich mit seiner
Nationalflagge gewissermaßen als gallisches Dorf inszenieren, das als
einziges vor den Forderungen der LGBTIQ*-Community nicht einknickt. „Wir
Ungarn sind tolerant gegenüber Homosexuellen“, sagte er noch vor einem Jahr
und deutete damit an: Sein Volk sei heterosexuell, schwul seien die
anderen. Er stehe für Normalität, und in Europa müsse man heutzutage mutig
sein, um das auszusprechen. Er sei ein Freiheitskämpfer, nicht nur für die
Ungarn, sondern für alle Nationen dieses Kontinents.
„Populisten lieben nur jene Krisen, die sie selbst geschaffen haben“, sagte
der bulgarische Politiloge Iwan Krastew einmal – und das passt zu Viktor
Orbán. Er braucht den Streit um dieses geradezu böswillige
Anti-LGBTQI-Gesetz. Denn er stand in den letzten Monaten unter Druck. Seine
Pläne, mit ungarischen Steuergeldern eine chinesische Eliteuniversität zu
bauen, stießen auf unerwarteten Widerstand, die Spätfolgen der Pandemie
sind wirtschaftlich noch deutlich spürbar und die zersplitterte Opposition
scheint vereint.
Außerdem wird Viktor Orbán [4][das Schicksal seines Politikfreundes
Benjamin Netanjahu] genau verfolgt haben. Nach zwölf Jahren war Schluss,
weil acht israelische Parteien, darunter auch die Partei der Siedler und
der israelischen Araber, sich geeinigt haben, ihn endlich loszuwerden. Und
auch für den ungarischen Ministerpräsidenten ist das verflixte zwölfte Jahr
nun angebrochen, in dem seine Gegner gerade jede Meinungsverschiedenheit
hintanstellen, nur um ihn endlich abwählen zu können. Linke, Grüne,
Liberale, sie alle machen selbst mit Jobbik gemeinsame Sache, einer zuletzt
etwas gemäßigter gewordenen, aber dennoch rechtsextremen Partei.
Vermutlich war die Spaltung der Opposition auch das wichtigste Ziel dieses
homophoben Gesetzes. Und es hat ja auch geklappt: Jobbik hat das Gesetz im
Parlament mitgetragen, die anderen Oppositionsfraktionen blieben der
Abstimmung fern. Seitdem zitiert die Regierungspresse genüsslich alle aus
dem linken Lager, die jetzt die Zusammenarbeit mit Jobbik aufkündigen
wollen.
Orbán hat aber auch andere Gründe, die Debatte um LGBTQI-Rechte weiter zu
befeuern. Für ihn ist es nämlich ein strategischer Nachteil, dass die EU
das Land bis zu den Parlamentswahlen im April 2022 doch noch bestrafen
könnte. Denn einmal läuft auf EU-Ebene gerade eine Verfahren zum Entzug des
Stimmrechts gegen Ungarn, zum anderen droht der neue
Rechtsstaatsmechanismus, mit dem die EU die Subventionen kürzen kann, wenn
sie rechtsstaatliche Prinzipien verletzt sieht. Also sorgt Orbáns Regierung
jetzt schon für eine Ausrede: Die Schwulenlobby habe Brüssel unter
Kontrolle, sie wolle verhindern, dass Ungarn seine Kinder besser schützt.
Der ungarische Ministerpräsident provoziert seit Jahren. [5][Geflüchteten
wurde die Verpflegung in den Transitzonen verweigert], NGOs wurden mit
einer Strafsteuer belegt, einem der letzten unabhängigen Sender wurde die
Frequenz entzogen und gleichgeschlechtliche Paare können de facto nicht
mehr adoptieren.
Dieses Mal ist aber etwas neu. Die Fidesz-Partei ist nämlich dabei, neue
Partner für eine Fraktion im Europäischen Parlament zu suchen. Sie verließ
die Europäische Volkspartei und will jetzt einen populistischen Block
bilden. Orbán selbst will dabei die Führung übernehmen und kann mit dem
neuen Anti-LGBTQI-Gesetz natürlich bei allen erhofften Partnern punkten.
Aber es gibt auch die Betroffenen, etwa die ungarische LGBTQI-Community.
Und dort ist die deutsche Sympathiebekundung in Form der vielen
Regenbogenflaggen gut angekommen, sagt Luca Dudits, die Geschäftsführerin
der NGO „Háttér Társaság“. Sie fügt jedoch hinzu, dass es noch besser …
wenn den symbolischen Gesten praktische Schritte folgen würden. „Wenn
Angela Merkel in Gesprächen mit Viktor Orbán ist, sollte sie das homophobe
Gesetz ansprechen und politischen Druck ausüben.“
Ihre NGO kämpft mit anderen Vereinen trotz Verabschiedung des Gesetzes
weiter, indem sie etwa Kampagnen wie #nemvagyegyedül (auf Deutsch: Du bist
nicht allein) gestartet haben, um ungarischen LGBTQI-Menschen zu zeigen,
dass sie ein wertvoller Teil der Gesellschaft sind.
## 5.000 auf der Straße
„Viele Leute fragen mich, warum wir das immer noch tun, das Gesetz ist
verabschiedet, der Präsident hat es unterschrieben. Was wir aber erreichen
wollen, ist ein gesellschaftlicher Wandel. Es ist nutzlos, ein homophobes
Gesetz zu haben, wenn die Mehrheit der Ungarn nicht damit einverstanden
ist“, sagt Dudits – und fügt hinzu, dass es in Ungarn eine noch nie
dagewesene Solidarität gegeben hat: 5.000 Menschen haben gegen das
homophobe Gesetz demonstriert, viele haben ihre Profilbilder bei Facebook
in Regenbogenfarben umgestellt und mehr als 160 Organisationen und
Unternehmen haben sich für die homosexuelle Gemeinschaft eingesetzt.
„Mehrere meiner Klienten haben mir erzählt, dass sie Kraft aus den
Protesten schöpfen, aus dem Einstehen für sie in den sozialen Medien“,
bestätigt Csilla Faix-Prukner, eine auf LGBTQI-Themen spezialisierte
Psychologin. Seit das homophobe Gesetz verabschiedet wurde, werde in ihrer
Therapie viel darüber gesprochen. Sie habe festgestellt, dass einige ihrer
Kunden wütend sind, während andere eher an ihrem Land verzweifeln. Viele
hätten das Gefühl, dass sie Ungarn verlassen müssen.
Es scheint so, als habe Orbán sein Ziel erreicht. Doch die homophobe
Propaganda ist auch ein Wagnis. Jetzt kommt es auf die Opposition an, ob
sie sich von ihm spalten lässt. Gerade macht es den Eindruck, als würde sie
sich wegducken, damit der Sturm vorüberzieht. Doch ihr Bündnis ist von so
vielen Unterschieden geprägt, dass einer mehr auch keinen so großen
Unterschied macht. Orbán muss abtreten, dann sehen wir weiter, sollte ihr
Motto sein.
26 Jun 2021
## LINKS
[1] /Autor-Paul-Lendvai-ueber-Orbans-Ungarn/!5744774
[2] /Ungarns-LGBTQ-Vereine-bedroht/!5777914
[3] /Debatte-um-EM-Regenbogenfarben/!5782703
[4] /Ende-der-Aera-Netanjahu-als-Premier/!5778533
[5] /Ungarns-Transitknaeste/!5684682
## AUTOREN
Márton Gergely
Dóra Matalin
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Ungarn
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