# taz.de -- Katarina Barley über Rechtspopulismus: „Orbán ist beim Geld zu … | |
> Katarina Barley (SPD) findet die EU gegenüber den Autokraten in ihren | |
> Reihen zu zaghaft. Hoffnung macht, dass sie den Geldhahn zudrehen kann. | |
Bild: Eindeutige Fanäußerung in der Bonner Altstadt zur Uefa-Entscheidung | |
taz: Frau Barley, die Uefa hat verboten, beim EM-Spiel gegen Ungarn das | |
Stadion in München in Regenbogenfarben zu tauchen. War das feige? | |
Katarina Barley: Dieses Verbot war ein aktiver politischer Akt. Die Uefa | |
hat sich damit positioniert – gegen Menschenrechte und Vielfalt. | |
Verstößt das ungarische Transgender-Homo-Gesetz gegen EU-Recht? | |
Ja, es verstößt gegen fundamentale europäische Werte. Zu den wichtigsten | |
Grundsätzen in der EU zählen persönliche Freiheit und das | |
Diskriminierungsverbot. Das gilt auch für die sexuelle Orientierung. | |
[1][Victor Orbán hat eine Agenda]: Minderheitenschutz als Angriff auf die | |
Mehrheitsgesellschaft darzustellen. Das tun Rechtsextreme weltweit. Es ist | |
natürlich Unsinn – die Freiheit dieser Menschen nimmt niemand anderem etwas | |
weg. | |
In Westeuropa hält man das Gesetz für skandalös, in Ostmitteleuropa nicht. | |
Ist das ein Kulturkampf West gegen Ost? | |
Bei der Frage nach der Ehe für alle ist Europa tatsächlich in Ost und West | |
gespalten. [2][Zu einem Kulturkampf machen es allerdings erst die | |
populistischen Regierungen], indem sie ein Horrorszenario von Sexorgien bis | |
Kindesmissbrauch aufbauen. Das betrifft im Übrigen nicht nur LGBTIQ-Themen. | |
Auch die Istanbul-Konvention, die sich dem Schutz vor häuslicher Gewalt | |
widmet, soll nach deren Propaganda Familien zerstören. Thinktanks wie Ordo | |
Juris in Polen orchestrieren Empörung, Proteste und politischen Druck, | |
ähnlich wie die Methoden von Steve Bannon, der Trumps Stil prägte. Dem | |
müssen wir uns entschieden entgegenstellen. | |
Wenn Westeuropa als Lehrmeister bei Minderheitenrechte auftritt, nutzen | |
Orbán und die PiS das aus … | |
Was soll denn die Alternative sein? Dass wir Menschenrechte, Demokratie und | |
Rechtsstaatlichkeit verhandelbar machen, weil einige Länder von Autokraten | |
regiert werden? Alle Länder haben sich mit dem Beitritt zur Union auf deren | |
Grundwerte verpflichtet. Deren Auslegung obliegt am Ende dem Europäischen | |
Gerichtshof. Auch das haben alle akzeptiert. Wer das infrage stellt, greift | |
nicht Westeuropa an, sondern die Grundlagen unserer Zusammenarbeit. | |
In Polen, Ungarn und Slowenien werden die Unabhängigkeit der Justiz und die | |
Pressefreiheit eingeschränkt. Wo ist derzeit die größte Gefahr? | |
Wir sind lange über den Punkt hinaus, einzelne Maßnahmen herauszugreifen. | |
Beispiel Ungarn: Die Medien sind komplett in der Hand der regierungstreuen | |
Stiftung Kesma. Das Wahlrecht ist so modifiziert, dass Orbán im Verhältnis | |
zu den Stimmen überproportional Sitze im Parlament erhält. Inzwischen hat | |
er an allen entscheidenden Stellen Posten mit Getreuen besetzt, die solange | |
im Amt bleiben, bis eine Nachfolge mit Zweidrittelmehrheit gewählt wird. | |
Dieses Verfahren gilt auch für ein Komitee aus drei Personen, das den | |
Haushalt genehmigen muss. Lehnt es zweimal ab, kann der Präsident Neuwahlen | |
ausrufen. Orbán behält damit seinen Einfluss, selbst wenn er die nächste | |
Wahl verlieren sollte. Orbán tritt die wichtigsten Grundsätze der | |
Demokratie mit Füßen – dass Macht zeitlich befristet sein muss und | |
Regierende einer wirksamen Kontrolle unterliegen müssen. | |
Und was hilft gegen diesen verfestigten Autoritarismus à la Orbán? Wenn die | |
EU den Geldhahn zudreht? | |
Die EU hat Mechanismen für solche Fälle. Vor allem die | |
Vertragsverletzungsverfahren vor dem Europäischen Gerichtshof, die schon | |
oft erfolgreich waren. Aber auch die neue Rechtsstaatlichkeitsverordnung, | |
die finanzielle Sanktionen möglich macht. | |
Ist die ein scharfes Schwert der EU? | |
Die Verordnung ist leider weniger scharf ausgefallen, als das Parlament es | |
gefordert hat. Die Mitgliedstaaten haben es unter dem Druck der polnischen | |
und ungarischen Regierungen eingeschränkt, so dass nur Verstöße gegen die | |
Rechtsstaatlichkeit erfasst werden können, die sich auf das europäische | |
Budget auswirken. Korruption fällt darunter, auch die Unabhängigkeit der | |
Justiz ist dadurch geschützt. Bei Minderheitenrechten wird es schon | |
schwieriger. Aber dafür haben wir die [3][Vertragsverletzungsverfahren vor | |
dem EuGH]. Die dauern halt etwas länger. Man muss es eben nur tun – daher | |
unser Druck auf die Kommission. | |
Hat die EU zentrale Fehler gemacht beim Umgang mit Orbán & Co? | |
Die Kommission ist viel zu zögerlich. Mehr als zehn Jahre hat sie Orbán bei | |
seinem Treiben zugeschaut – immer gedeckt von der konservativen | |
Parteienfamilie EVP, allen voran CDU und CSU. Und sein Beispiel macht | |
Schule, wie man an Sloweniens EVP-Ministerpräsident Janez Janša sieht, der | |
nach Orbán-Manier die freien Medien in seinem Land einschüchtert und zum 1. | |
Juli die EU-Ratspräsidentschaft übernimmt. Armin Laschet hat ihn erst diese | |
Woche ohne kritische Worte empfangen. Gegenüber der ausgetretenen Fidesz | |
sind zumindest die Worte jetzt schärfer geworden. Allerdings lassen die | |
Taten immer noch auf sich warten. Orbán ist zutiefst korrupt, sehr viel | |
Geld verschwindet in den Taschen seiner Familie und Freunde. Beim Geld ist | |
er also empfindlich zu treffen. | |
Ist Ungarn in zehn Jahren noch in der EU? | |
Die Ungarn sind ein freiheitsliebendes Volk. Nur sie können das | |
entscheiden. | |
24 Jun 2021 | |
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## AUTOREN | |
Stefan Reinecke | |
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