| # taz.de -- Gemeinsamer Kandidat gegen Orbán: Opposition in Ungarn vereint | |
| > Bei der Parlamentswahl im April will Péter Márki-Zay gegen Viktor Orbán | |
| > antreten. Der Konservative soll frustrierte Fidesz-Wähler überzeugen. | |
| Bild: Kandidat der Opposition: Péter Márki-Zay auf einer Wahlkampfveranstaltu… | |
| Budapest taz | Der Konservative Péter Márki-Zay wird die ungarische | |
| Opposition im kommenden April in die Wahlen gegen Premier Viktor Orbán | |
| führen. Der Bürgermeister des südungarischen Städtchens Hódmezővásárhely | |
| ging als Sieger aus einer Stichwahl hervor. In der vergangenen Woche | |
| konnten sich die ungarischen Wählerinnen und Wähler in einer bisher | |
| einmaligen Vorwahl in zwei Etappen zwischen ihm und der Sozialdemokratin | |
| Klára Dobrev von der Demokratischen Koalition (DK) entscheiden. Schon vor | |
| dem Ende der Auszählung der über 660.000 Stimmen gratulierte Dobrev ihrem | |
| Rivalen und sagte ihm ihre uneingeschränkte Unterstützung zu. | |
| Im April 2022 wird in Ungarn ein neues Parlament gewählt. Erstmals seit der | |
| nationalkonservative Populist Viktor Orbán 2010 durch einen Erdrutschsieg | |
| das Kommando übernahm, rechnet sich die Opposition Chancen aus, den | |
| zunehmend autoritären Regierungschef abwählen zu können. Das Rezept lautet | |
| Einheit. Deshalb haben sich alle sechs im Parlament vertretenen | |
| Oppositionskräfte von der Sozialistischen Partei (MSZP) und der DK über die | |
| liberale Momentum und die grüne LMP bis zur rechten Jobbik | |
| zusammengeschlossen. Sie haben sich verpflichtet, in den Wahlkreisen | |
| jeweils den aussichtsreichsten Kandidaten oder die Kandidatin gegen die | |
| regierende Fidesz zu unterstützen. | |
| Diese Taktik hatte schon 2018 funktioniert, als in Hódmezővásárhely | |
| Nachwahlen für das Bürgermeisteramt anstanden. Der Sieg des parteilosen | |
| Márki-Zay markierte so etwas wie einen Wendepunkt. Ein Jahr später konnte | |
| sich der grünliberale Gergely Karácsony bei den Kommunalwahlen in Budapest | |
| durchsetzen. Er regiert in einer Allianz aus Grünen, Sozialdemokraten und | |
| Liberalen und hat die Hauptstadt zu einer Art Gegenentwurf zum illiberalen | |
| Modell von Orbán gemacht: modern, weltoffen, sozial und grün. | |
| Die Koalition habe sich in der Praxis bewährt, sagt Vizebürgermeisterin | |
| Kata Tüttő von der DK. Deshalb ist sie zuversichtlich, dass die Opposition | |
| – trotz aller inhaltlichen Differenzen – auch auf nationaler Ebene | |
| regierungsfähig sein werde. Karácsony durfte sich gute Chancen auf die | |
| Kandidatur ausrechnen. Nach der ersten Runde der Vorwahlen lag er | |
| allerdings nur an zweiter Stelle hinter Klára Dobrev. Die Vizepräsidentin | |
| des EU-Parlaments erfreut sich zwar hoher Beliebtheitswerte, bietet aber | |
| der aggressiven Propaganda der Regierung eine offene Flanke. | |
| Sie ist nämlich mit dem ehemaligen Premier Ferenc Gyurcsány verheiratet, | |
| der zu den meistgehassten Personen in Ungarn zählt. Seine heimlich | |
| aufgenommene „Lügenrede“ bei einer Parteiversammlung der | |
| sozialdemokratischen MSZP hatte 2006 gewalttätige Unruhen ausgelöst und den | |
| Weg für den triumphalen Wahlerfolg von Viktor Orbán bereitet. Er gab darin | |
| zu, dass seine Partei die Wahlen nur dank systematischer Lügen über den | |
| Zustand des Landes gewonnen hätte. Auch ihren Großvater, einen hohen | |
| kommunistischen Parteifunktionär, würde man Klára Dobrev vorhalten. | |
| ## Der Konservative ist kein Provinz-Ei | |
| Nach einigem Zögern stellte der Budapester Bürgermeister Gergely Karácsony | |
| seine eigenen Ambitionen zurück und verzichtete zugunsten des | |
| drittplatzierten Márki-Zay auf die Teilnahme an der Stichwahl. Sein Kalkül: | |
| der Konservative könne eher frustrierte Orbán-Wähler überzeugen als die | |
| Sozialdemokratin. | |
| Péter Márki-Zay ist weder verdächtig, Ungarn in ein Sündenbabel zu | |
| verwandeln, wie Orbán immer wieder vor der Opposition warnte, noch, ein | |
| kommunistisches Regime einführen zu wollen. Als sich der politisch | |
| unerfahrene Ökonom in seiner Heimatgemeinde um das Bürgermeisteramt bewarb, | |
| beschrieb er sich selbst als „rechten Christen und enttäuschten | |
| Fidesz-Wähler“. Er teile die Ideologie keiner der fünf Parteien, die seine | |
| Kandidatur unterstützten. Als er ins Rathaus einzog, fand er einen | |
| Korruptionsskandal um Orbáns Schwiegersohn vor, machte den Gemeindehaushalt | |
| transparent und deckte geheime Zahlungsflüsse auf. | |
| Der 1972 in Hódmezővásárhely geborene Katholik heiratete seine | |
| Schulfreundin, die Physikerin Felícia Vincze, mit der er sieben Kinder in | |
| die Welt setzte. Anders als der erste Eindruck suggerieren mag, ist er aber | |
| kein Provinz-Ei. Neben Wirtschaftswissenschaften und Elektrotechnik hat er | |
| Geschichte studiert. Er promovierte an der katholischen | |
| Péter-Pázmánny-Universität in Budapest und suchte sein Glück zunächst in | |
| Kanada und den USA, wo er Autos und Telefone verkaufte. Nach seiner | |
| Rückkehr heuerte er in der Stadt Szeged bei der Elektrizitätsgesellschaft | |
| an, wo er für strategische Planung und Kundendienstmanagement zuständig | |
| war. Nebenbei unterrichtete er Betriebswirtschaft an der Uni Szeged. | |
| Die hohe Beteiligung an der Vorwahl sowie Umfragen unabhängiger Institute | |
| lassen die Opposition nun hoffen. Zuletzt lagen Fidesz und die Opposition | |
| Kopf an Kopf. Márki-Zay rief nach der Wahl zur Geschlossenheit auf: „Wir | |
| haben eine Schlacht gewonnen, aber der Krieg kommt erst.“ | |
| 18 Oct 2021 | |
| ## AUTOREN | |
| Ralf Leonhard | |
| ## TAGS | |
| Ungarn | |
| Viktor Orbán | |
| Parlamentswahlen | |
| Fidesz-Partei | |
| Ungarn | |
| Viktor Orbán | |
| Ungarn | |
| Schwerpunkt Krisenherd Belarus | |
| Europäische Union | |
| Schwerpunkt Coronavirus | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Leichtes Spiel für Premier Orbán: Ungarns machtlose Opposition | |
| Ungarns Oppositionsbündnis ist nach der Niederlage im April zerfallen. | |
| Premier Orbán profiliert sich völkisch rechtsextrem, seine Gegner zerlegen | |
| sich. | |
| Ungarn hetzt und kooperiert mit der EU: Orbáns Pfauentanz | |
| Ungarns rechtspopulistischer Regierungschef spielt ein doppeltes Spiel. | |
| Einerseits hetzt er gegen die EU, andererseits zeigt er sich kooperativ. | |
| Demonstrationen in Budapest: Ungarn braucht Helden | |
| Zehntausende Orbán-Anhäger jubeln am Samstag dem ungarischen Premier zu. | |
| Eine Gegenkundgebung der Opposition fällt deutlich kleiner aus. | |
| Migrationspolitik an EU-Außengrenze: Dänemark folgt Orbáns Vorbild | |
| Kopenhagens sozialdemokratische Regierung liefert Litauen gefährlichen | |
| Klingendraht für die Grenze zu Belarus. Auch sonst steht sie für strikte | |
| Abschottung. | |
| Katarina Barley über Rechtspopulismus: „Orbán ist beim Geld zu treffen“ | |
| Katarina Barley (SPD) findet die EU gegenüber den Autokraten in ihren | |
| Reihen zu zaghaft. Hoffnung macht, dass sie den Geldhahn zudrehen kann. | |
| Ungarns autoritäre Staatsumbildung: Orbáns Wort ist jetzt Gesetz | |
| Ungarns Ministerpräsident Orbán wettet schon jetzt darauf, dass die | |
| Pandemie Autokraten wie ihn begünstigt. |