# taz.de -- Neues Abfallwirtschaftskonzept: „Wir wollen mehr über Müll rede… | |
> Das Parlament beschließt ein neues Müll-Konzept für Berlin. | |
> Grünen-Umweltpolitiker Georg Kössler über Aufklärung beim Bio-Müll und | |
> die Einwegabgabe. | |
Bild: Vielleicht kommt die BSR ja morgen | |
taz: Herr Kössler, 180 Seiten hat das [1][Abfallwirtschaftskonzept (AWK)], | |
das am Donnerstag beschlossen werden soll. Was steht denn da Bahnbrechendes | |
drin, dass Sie es sogar umfänglich auf Instagram bewerben? | |
Georg Kössler: Erst einmal stellt das AWK dar, wie in den nächsten 10 | |
Jahren die Entsorgungssicherheit sichergestellt wird, welche Anlagen wir | |
haben, welche gebaut werden müssen. Neu und bahnbrechend ist der | |
Aktionsplan hin zur Zero-Waste-City. Dabei sind Abfallwirtschaftskonzepte | |
keine Gesetze und können nicht eingeklagt werden. Aber sie sind ein von | |
Senat und Parlament beschlossener Fahrplan. | |
„Null Abfall“, ist das nicht viel zu hoch gegriffen? Dass es gar keinen | |
Abfall mehr gibt, ist doch auf absehbare Zeit gar nicht erreichbar. | |
Die Definition von Zero Waste ist auch nicht wortwörtlich, aber man strebt | |
dieses Ziel an – durch einen bewussteren Umgang mit Abfall, indem man | |
versucht, ihn zu hundert Prozent als Ressource zu begreifen. Das Schöne | |
ist, dass unter diesem Begriff gerade eine ganze Bewegung heranwächst, vom | |
Repair-Café bis hin zu jungen Eltern, die Mehrwegwindeln ausprobieren … das | |
ist hip und cool, und auf dieses Momentum wollen wir draufsatteln. | |
Was sind da konkrete Maßnahmen im AWK? | |
Ein Beispiel: Bis 2025 soll es kein Einweggeschirr mehr bei öffentlichen | |
Veranstaltungen und bei privaten Veranstaltungen auf öffentlichen Flächen | |
geben. Und es geht weiter, von der besseren Sperrmüllabholung über die | |
Herstellung von Stadtmöbeln aus Rezyklat bis zu Gebrauchtwarenkaufhäusern | |
in jedem Bezirk. Damit wird das Ganze lebensnäher als bisher. Für viele | |
Menschen ist es ja immer noch so: Der Müll wird abgeholt und ist dann | |
einfach weg und aus dem Sinn. Wir wollen nicht nur Müll vermeiden, sondern | |
auch mehr darüber reden, ein Bewusstsein schaffen. | |
Kein Einwegmüll mehr bei öffentlichen Veranstaltungen, warum ist denn das | |
nicht schon längst so? | |
Ein Knackpunkt bei der Umsetzung ist die Personalausstattung der | |
Verwaltung. Bisher ist beispielsweise das Abfallreferat in der | |
Senatsumweltverwaltung massiv unterbesetzt, da muss beim nächsten | |
Doppelhaushalt nachgelegt werden. Es gibt aber noch mehr Gründe, warum so | |
etwas dauert. Ich habe in den vergangenen Jahren abgefragt, wie die | |
Freibäder das mit dem Einweggeschirr handhaben. Manche wie das Prinzenbad | |
in Kreuzberg haben das schon untersagt, bei anderen ist es wegen laufender | |
Pachtverträge kompliziert. Auch deshalb gibt es jetzt die Deadline 2025, | |
dann können neue Verträge entsprechend gestaltet werden. | |
Waren nicht viele bisherige Bemühungen der Umweltverwaltung in Sachen | |
Einweg-Vermeidung eher symbolisch? Wie die Initiative „Better World Cup“, | |
bei der jede und jeder den eigenen Coffee-to-go-Becher mitbringen soll? Am | |
Ende machen das doch die Wenigsten. | |
Also hier in Neukölln sehe ich, dass ein Großteil der Cafés jetzt | |
Mehrwegbecher für den Coffee to go eingeführt hat. Das ging in den letzten | |
ein, zwei Jahren relativ fix. Ich möchte das natürlich in der ganzen Stadt | |
sehen. | |
Neukölln ist halt hip, in anderen Bezirken verfängt das wohl weniger. | |
Naja (lacht), aber die EU wird auch langsam hip und die nächste | |
Bundesregierung hoffentlich auch. Die EU hat die allerdümmsten | |
Einwegplastik-Produkte bereits verboten, und ich erwarte, dass sie in den | |
kommenden Jahren weitere untersagen wird, etwa beschichtete Kaffeebecher. | |
Die Bundesregierung hat beschlossen, dass Anbieter von Essen zum Mitnehmen | |
ab 50 Quadratmetern Fläche eine Mehrwegalternative anbieten müssen. Und | |
auch, wenn das dann bei einigen erst einmal nur so aussehen wird, dass eine | |
Mehrwegverpackung in der Ecke steht, die man kaufen kann – da kommt etwas | |
in Bewegung. Wir wollen diese Bewegung maximal ausreizen. Ich denke, genau | |
wie die Umweltverbände, dass eine kommunale Einwegabgabe dafür nötig ist. | |
Ist die Einwegabgabe Teil des Abfallwirtschaftskonzepts? | |
Indirekt, weil wir noch abwarten wollen. Tübingen ist diesen Weg gegangen | |
und wird jetzt verklagt – das Ergebnis dieses Rechtsstreits warten wir nun | |
erstmal ab. Aber es braucht einfach ein richtiges Preissignal. Die 20 Cent, | |
die man spart, wenn man seinen eigenen Becher mitbringt, reichen offenbar | |
noch nicht. | |
Was schwebt Ihnen da vor? | |
Ich hielte 50 Cent wie in Tübingen für angemessen. | |
Lassen Sie uns über den Hausmüll sprechen, all das, was in der schwarzen | |
Tonne und anschließend größtenteils in der Müllverbrennung landet. | |
Richtig, die meisten Maßnahmen im AWK zielen auf diese 0,8 Millionen Tonnen | |
Haus- und Gewerbemüll, also den klassischen Restmüll. | |
Diese Menge soll laut AWK bis 2030 im bestmöglichen Szenario um 18,7 | |
Prozent schrumpfen – auch da ist die Null ja noch in weiter Ferne. | |
Aktuell haben wir über 200 Kilo Hausmüll pro Kopf und Jahr, aber wenn man | |
sich andere Städte und Regionen in Europa ansieht, kann man auf die Hälfte | |
kommen. Die italienische Provinz Treviso oder Ljubljana machen das mit | |
innovativem Abfallmanagement vor. Wir im Abgeordnetenhaus haben hier das | |
AWK nachgeschärft, das eine Reduktion auf 180 Kilo bis 2030 vorsah. Jetzt | |
sind es 150 Kilo pro Kopf und Jahr, das wäre schon ein deutlicher Rückgang. | |
Den ersten Schritt sind wir schon mit der flächendeckenden Einführung der | |
Biotonne gegangen, da warten wir jetzt auf die ersten Daten. Noch stecken | |
über 40 Prozent Organik im Hausmüll, aber da bringen uns Aufklärung und | |
Beratung ein großes Stück weiter. | |
Naja, wenn fast die Hälfte des Hausmülls eigentlich in die Biotonne gehört, | |
liegt das oft auch daran, dass die Biotonnen in einem erbärmlichen Zustand | |
sind und viele keine Lust haben, die überhaupt aufzumachen. Braucht es da | |
nicht andere technische Lösungen? | |
Es gibt da Versuche, ja, aber das kostet dann auch wieder eine Menge Geld. | |
Wichtiger ist Aufklärung: dass alle verstehen, dass es Sinn macht, den | |
Biomüll zu sammeln. Selbst in meinem Freundeskreis kommt immer wieder die | |
Frage auf: Wird nicht am Ende eh alles zusammengeworfen? Nein, wird es | |
nicht. Der Biomüll wird in Ruhleben vergoren, es wird Biogas daraus | |
produziert, und in der Bilanz sind die Müllautos der BSR damit klimaneutral | |
unterwegs. Das ist ein vorbildliches Kreislaufprinzip. Uns war es wichtig, | |
der BSR ins Stammbuch zu schreiben, dass sie eine zweite Vergärungsanlage | |
baut. Jetzt kommt sie auch, mal sehen, wie schnell. Ebenso wichtig ist es | |
sicherzustellen, dass keine offene Kompostierung mehr durch die BSR | |
stattfindet, bei der die Klimagase einfach entweichen. Zum Glück ist die | |
neue Vorsitzende Frau Otto gegenüber dem Klimathema sehr aufgeschlossen. | |
[2][Der BUND fordert] schon länger, „Pay-as-you-throw“-Systeme einzuführe… | |
also technische Lösungen, bei denen jeder Haushalt die Gebühren quasi pro | |
Müllbeutel entrichtet und dadurch viel gezielter sparen kann. In | |
Deutschland ist das Prinzip noch absolut exotisch. Was halten Sie davon? | |
Das ist ein Ansatz, zu dem uns bislang einfach Daten fehlen, aber als | |
Zero-Waste-City sollte man es ausprobieren. Wir haben deshalb ein | |
Pilotprojekt in einer Großwohnsiedlung ins AWK geschrieben. In großen | |
Gebäuden macht es auch am ehesten Sinn, das auszuprobieren. Ein anderer | |
Ansatz, für den es ebenfalls ein Pilotprojekt geben wird, ist der einer | |
Abfallrechnung. Da bekommen alle mit den Nebenkosten aufgeschlüsselt, was | |
die Müllentsorgung kostet, und da wird schnell klar: Wenn ihr konsequent | |
trennt, könnt ihr diese oder jene Summe sparen. | |
Bei 20 oder 30 Mietparteien … | |
… ist das natürlich schwierig, aber in Häusern mit 8 oder 10 Mietparteien, | |
die sich vielleicht auch persönlich kennen, kann das funktionieren. | |
Was ist eigentlich mit dem Plastikmüll, der über das Duale System gesammelt | |
wird? Vieles davon wird nicht recycelt, sondern ebenfalls verbrannt, und | |
ein großer Teil wird exportiert. | |
Da ist für uns leider erst einmal nicht viel zu machen, denn das ist nicht | |
landesrechtlich reguliert. Das Problem der Abfallexporte muss national und | |
global angegangen werden. | |
Sie haben schon die Gebrauchtwarenkaufhäuser erwähnt, wo Möbel oder | |
Elektrogroßgeräte einen neuen Lebenszyklus antreten. Aber gehen Sie mal auf | |
einen Recyclinghof und schauen, wie das Zeug im Sekundentakt in die | |
Container rauscht. Da bekommt man schnell Zweifel, dass sich das in | |
größerem Maßstab umleiten lässt. | |
Wir sehen einen Trend, dass Leute Sachen wiederbenutzen. Sei es, weil sie | |
sich neue Dinge nicht leisten können, sei es, weil sie es hip finden oder | |
aus Nachhaltigkeitsgründen. Das läuft zum Teil eher versteckt über Dienste | |
wie Ebay Kleinanzeigen, aber auch mehr und mehr in | |
Gebrauchtwarenkaufhäusern. Zwei haben wir schon: den Pop-up-Store am | |
Hermannplatz und die [3][NochMall in Reinickendorf]. Bis 2025 wollen wir | |
mindestens vier, bis 2030 in jedem Bezirk eines haben. Gerne auch in | |
Verbindung mit einem Unverpackt-Lebensmittelladen oder einem Repaircafé. | |
Wir nennen das „Warenhaus der Zukunft“. | |
Läden wie „Original Unverpackt“ gibt es schon ein paar, aber ich wage die | |
Behauptung, dass ihr Anteil am Lebensmittelumsatz in Berlin sich nicht mal | |
im Promillebereich bewegt. Wenn man nur auf einen Bewusstseinswandel setzt, | |
kann das ewig dauern. Haben wir so viel Zeit? | |
Solche Läden sind Vorreiter, die uns zeigen, wie Einkaufen ohne | |
Einwegverpackungen funktionieren kann, da kann man das ausprobieren. Die | |
machen auch Fehler und lernen daraus, und am Ende adaptieren auch größere | |
Ketten einiges davon. Zumindest Müsli und Nudeln werden auch schon in | |
vielen Bioläden unverpackt angeboten. Das ist ein erster Schritt, und | |
irgendwann gibt es keine Ausrede mehr, dass es nicht geht. Aber ja, wir | |
können nicht abwarten, bis alle den Vorreitern gefolgt sind. Irgendwann | |
muss die Politik sagen: Es ist machbar, sinnvoll und wird nun zum Standard. | |
Allerdings ist auch hier die Bundesebene gefragt. | |
Was sagt das AWK zum Thema Sperrmüll? Nicht nur in Neukölln steht der ja | |
viel zu oft auf dem Gehweg herum. | |
Die meisten Menschen in Berlin haben kein eigenes Auto, für die ist das ein | |
richtiges Problem. Manche warten dann, bis der Keller vollgelaufen ist, und | |
hoffen, dass es beim Umzug niemand merkt, oder sie stellen es auf die | |
Straße. Oft bedient sich ja auch jemand, aber viel zu oft funktioniert es | |
eben nicht. Wir wollen jetzt die Sperrmüllabgabe im Rahmen von Kiezfesten | |
ermöglichen, in Neukölln gibt es das bereits. Es gibt auch schon die Zusage | |
der BSR, die Abholung kostenfrei zu machen. Ziel ist ein Tauschmarkt mit | |
anschließender Sperrmüllabholung in jedem Kiez alle zwei Jahre. Das haben | |
wir ins AWK geschrieben, und es ist ein Kompromiss zwischen den harten | |
Positionen – dass die Leute gefälligst alles selber zum Recyclinghof fahren | |
sollen oder dass alles kostenlos zu Hause abgeholt wird. | |
Es drang immer mal wieder durch, dass Sie sich mit den | |
Koalitionspartnerinnen am meisten über das Thema Müllverbrennung gestritten | |
haben. Eigentlich ist die „thermische Verwertung“ doch viel besser und | |
sauberer als ihr Ruf. | |
Das ist eine Frage der Sichtweise. In Ruhleben haben wir tatsächlich eine | |
relativ moderne Verbrennungsanlage. Aber auch Müll verursacht | |
CO2-Emissionen, fast vergleichbar mit denen eines Gaskraftwerkes. Gut ist | |
die Verbrennung, solange der Müll ohnehin anfällt und Kohle ersetzt. Aber | |
wenn der Strom- und Wärme-Mix mit der Zeit immer sauberer wird, kann man | |
das nicht mehr gegenrechnen. Deswegen wollen wir perspektivisch aus der | |
Müllverbrennung aussteigen, und als Grüne hätten wir uns auch bis 2030 eine | |
Verringerung gewünscht. | |
Und das Ergebnis? | |
Wir haben lange gerungen und jetzt einen Kompromiss gesetzt. Bis 2030 wird | |
die Müllverbrennung in Ruhleben auf 580.000 Tonnen gedeckelt – dann sinkt | |
sie. | |
17 Jun 2021 | |
## LINKS | |
[1] https://www.berlin.de/senuvk/umwelt/abfall/konzept_berlin/ | |
[2] https://www.bund-berlin.de/themen/klima-ressourcen/abfall/ | |
[3] https://www.nochmall.de/ | |
## AUTOREN | |
Claudius Prößer | |
## TAGS | |
Abfallwirtschaft | |
Müll | |
Kreislaufwirtschaft | |
Mülltrennung | |
Wir retten die Welt | |
Müll | |
Verpackungsmüll | |
Zero Waste | |
Neukölln | |
Recycling | |
Abfallwirtschaft | |
BSR | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Alte Möbel auf der Straße: Der Sperrmüll der anderen | |
Alte Möbel rauszustellen, statt sie zu entsorgen, hat Tradition – nicht nur | |
in Berlin. Doch genau so achtlos funktioniert die Umweltpolitik im Großen. | |
Bundestag beschließt Sonderabgabe: Einwegplastik wird teurer | |
Es kostet jedes Jahr Hundert Millionen Euro, weggeworfene Plastikbecher und | |
Zigarettenkippen zu entsorgen. Jetzt sollen die Hersteller zahlen. | |
Zero Waste in Friedrichshain-Kreuzberg: Let’s talk about Müll | |
Vom großen Müll-Ausstieg kann in Berlin nicht die Rede sein. Und nette | |
Mehrwegkampagnen wie in Friedrichshain-Kreuzberg reichen einfach nicht aus. | |
Zero Waste-Konzept: „Da gibt es keine Abwehrhaltung“ | |
Friedrichshain-Kreuzbergs grüne Bürgermeisterin Clara Herrmann über die | |
Müllvermeidungsstrategien ihres Bezirks. | |
Müll in Neukölln: Jeder Müllhaufen kostet 375 Euro | |
1,2 Millionen Euro kostet es Neukölln, illegalen Müll zu entsorgen. Mit | |
einer Schilderaktion möchte der Bezirksbürgermeister das ändern. | |
Export von Plastikabfall: Müll für die Welt | |
Durch Corona geht der Plastikverbrauch wieder in die Höhe. Viel davon wird | |
nach Asien verschifft – über die norddeutschen Häfen. | |
Abfallwirtschaft am Limit: Brenzlige Situation beim Müll | |
In deutschen Müllverbrennungsöfen landet zu viel Abfall, der eigentlich | |
recycelt oder kompostiert werden sollte. Die Kapazitäten sind darum | |
erschöpft. | |
„Zero Waste“ in Berlin: Nicht für die Tonne, aber … | |
Der BUND kritisiert das Abfallwirtschaftskonzept des Senats: Das Planwerk | |
sei zu unverbindlich und nicht konkret genug. |