Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Zero Waste-Konzept: „Da gibt es keine Abwehrhaltung“
> Friedrichshain-Kreuzbergs grüne Bürgermeisterin Clara Herrmann über die
> Müllvermeidungsstrategien ihres Bezirks.
Bild: Überfüllte Mülleimer in Kreuzberg
taz: Frau Herrmann, der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg bietet Cafés und
Restaurants bis Ende Oktober die Möglichkeit, Tische dort aufzustellen, wo
sonst am Straßenrand Autos parken. Diese Sondernutzung des öffentlichen
Straßenlandes kostet nur eine kleine Verwaltungsgebühr, hat aber unter
anderem zur Voraussetzung, dass der Betrieb sich verpflichtet, kein Essen
in Einweggeschirr abzugeben. Also Müllvermeidung mit einem Trick?
Clara Herrmann: Es ist eine unserer Maßnahmen zur Müllvermeidung, und die
halten wir angesichts der Müllberge im Bezirk für zentral. Wir können nicht
länger nur darüber diskutieren, wie wir den Müll aus unseren Parks und
Spielplätzen wegbekommen, wir müssen dafür sorgen, dass dieser Müll gar
nicht erst entsteht. Das ist die nachhaltigste Lösung, die gleichzeitig das
Klima und die Ressourcen schützt.
Lässt sich das bei Gastronomiebetrieben überhaupt kontrollieren?
Wahrscheinlich ist es in der Realität nicht möglich, immer alles
kontrolliert zu bekommen. Es entfaltet aber trotzdem eine Wirkung – und im
Grunde zeigen wir Wege auf, die die Gastronomie über kurz oder lang sowieso
gehen muss. Ab dem kommenden Jahr ist für Gastronomie ab einer bestimmten
Betriebsgröße gesetzlich vorgeschrieben, dass auch Mehrweglösungen
angeboten werden müssen. Im Übrigen stoßen wir in den Gesprächen mit den
Gewerbetreibenden auf offene Ohren. Da gibt es keine Abwehrhaltung, die
machen sich selbst schon viele Gedanken über mehr Nachhaltigkeit, weil auch
die Kundinnen und Kunden sich das wünschen.
Friedrichshain-Kreuzberg hat ein eigenes Zero-Waste-Konzept. Da stehen
viele spannende Ideen drin, wie sich Müllmengen im öffentlichen Raum
reduzieren lassen. Aber vieles ist noch nicht umgesetzt, etwa die
Einführung einer Abgabe auf Einwegverpackungen.
Berlin ist eben eine Einheitskommune, insofern kann diese Debatte nur
landesweit geführt werden. Aber wir beteiligen uns daran und geben das
klare Signal, dass wir die Lenkungswirkung einer solchen Abgabe brauchen,
schon angesichts der Kostenexplosion bei der Reinigung des öffentlichen
Raums. Andere Kommunen sind ja schon weiter in der Diskussion, in Tübingen
gibt es dazu bereits rechtliche Grundlagen.
Das Land Berlin fährt seit Jahren eher symbolische Kampagnen, wie „Better
World Cup“ gegen die Nutzung von Einwegbechern für Coffee-to-go.
Ich denke schon, dass auch das etwas verändert und dass die KundInnen
zunehmend nach Mehrweglösungen fragen. Wir haben ein Beratungsprojekt für
die Gewerbetreibenden im Friedrichshainer Samariterkiez, und die haben
tatsächlich ein großes Interesse daran, welche Alternativen es gibt – bis
hin zu ganz praktischen Fragen, ob die jeweiligen Mehrwegbecher oder
-behälter zu den angebotenen Getränken oder Speisen passen. Dieses Jahr
werden wir auch am Boxhagener Platz und der Admiralbrücke Mehrweg bewerben.
Bei vielen ist die Müllvermeidungs-Moral nach zwei Jahren Pandemie ziemlich
eingerissen, oder täuscht der Eindruck?
Nein, das ist definitiv so, wir sehen ja an den Kosten für die Reinigung
der Grünanlagen, wie die Vermüllung zugenommen hat. Das liegt natürlich
auch an der intensiveren Nutzung dieser Flächen in der Pandemie, als es
teilweise nur noch möglich war, sich zum Spazierengehen zu treffen und das
Essen eben mitzunehmen. Für uns bedeutet das, dass wir noch stärker auf
Alternativen setzen müssen.
Müll ist ein besonderes Problem bei öffentlichen Veranstaltungen, aber die
meisten sind in den letzten Jahren ja ausgefallen. Wie sieht es bei den
Wochenmärkten aus?
Da sind wir schon ganz schön weit gekommen. Auf dem Markt am Chamissoplatz
produzieren die Händlerinnen und Händler schon jetzt sehr wenig Müll. Die
haben jahrelange Erfahrung und stehen im Austausch mit der Anwohnerschaft.
Das geht so weit, dass NachbarInnen die Grünabfälle mitnehmen, um sie an
ihre Kaninchen zu verfüttern. Auch hier arbeiten wir mit zweierlei:
einerseits mit Auflagen, andererseits mit Beratungsangeboten. Natürlich hat
die Pandemie uns da ein bisschen ausgebremst – was noch ansteht, ist ein
Erfahrungsaustausch unter den BetreiberInnen, den wir organisieren wollen.
Neukölln führt regelmäßig Sperrmüllmärkte zusammen mit der BSR durch. Wann
kommt das in Friedrichshain-Kreuzberg?
Wir machen das auch schon, vielleicht reden wir nur noch nicht genug
darüber (lacht). Vorletztes Jahr haben wir damit angefangen, es wurde sehr
gut angenommen und wir wollen es auch dieses Jahr wieder anbieten. Ich
halte es für ein sehr gutes niedrigschwelliges Angebot, wenn Leute ihren
Sperrmüll quasi vor die Tür bringen können und nicht zum Recyclinghof
fahren müssen. Das ist nicht mit zusätzlichen Emissionen verbunden. Viele
haben auch gar kein Auto.
Und noch ein schönes Beispiel aus dem Zero-Waste-Konzept: „Pfandringe“ oder
Pfandkästen, die an oder neben Mülleimern angebracht werden und in die man
Pfandflaschen so entsorgen kann, dass sie für SammlerInnen leicht
zugänglich sind. Warum gibt es die immer noch nicht?
Dazu haben wir im Vorjahr ein Pilotprojekt mit einem Kooperationspartner
gestartet. Auch mit der BSR haben wir über das Thema schon gesprochen. Die
waren aber sehr verhalten. Sie haben die Befürchtung, dass die Leute Müll
hineinstecken, der dort nicht hineingehört, oder Scherben herumliegen
werden. Darum probieren wir es jetzt in unserer Grünanlage aus und schauen,
welche Erfahrungen wir machen.
24 Mar 2022
## AUTOREN
Claudius Prößer
## TAGS
Zero Waste
Müll
Friedrichshain-Kreuzberg
Müll
taz-Adventskalender
Wassermangel
Kolumne Flimmern und Rauschen
Verpackungsmüll
Müll
Friedrichshain-Kreuzberg
Abfallwirtschaft
Zero Waste
## ARTIKEL ZUM THEMA
Lebensmittel zum Mitnehmen: Zu wenig Mehrweg gegen Müllberg
Seit Januar gilt: Wer Lebensmittel to go verkauft, muss auch
Mehrweggeschirr anbieten. Doch Umweltverbände kritisieren die Umsetzung.
Weihnachten für umme (1): Süßer die Sägen nie klingen …
taz-Adventskalender: Im Augenblick ist es fast unmöglich, Brennholz zu
kaufen. Wer trotzdem noch einen Kachelofen hat, muss erfinderisch sein.
Illegale Deponie nahe der Tesla-Fabrik: Auf einem Berg von Müll
Ein ausgeklügelter Deal sollte eine von Brandenburgs größten illegalen
Müllkippen verschwinden lassen. Das droht jetzt überraschend zu scheitern.
Nachhaltigkeit bei den Öffentlich-Rechtlichen: Mein Haus, mein Boot, mein Dien…
Die Öffentlich-Rechtlichen haben oft kein Konzept für den ÖPNV. Nur eine
Landesanstalt zahlt ihren Beschäftigten das Jobticket.
Zero Waste in Friedrichshain-Kreuzberg: Let’s talk about Müll
Vom großen Müll-Ausstieg kann in Berlin nicht die Rede sein. Und nette
Mehrwegkampagnen wie in Friedrichshain-Kreuzberg reichen einfach nicht aus.
Mehrweg-Kampagne in F'hain-Kreuzberg: Mühsam nährt sich der Mehrweg-Fan
In Friedrichshain-Kreuzberg läuft eine Kampagne gegen
Einweg-Essensverpackungen. Bürgermeisterin Clara Herrmann setzt auf
Überzeugungsarbeit.
Parkplatzfreier Kiez in Berlin geplant: „Gegenwind gibt es immer“
Die Verkehrsstadträtin von Friedrichshain-Kreuzberg, Annika Gerold (Grüne),
über die Idee, private Parkplätze aus dem Graefekiez zu verbannen.
Neues Abfallwirtschaftskonzept: „Wir wollen mehr über Müll reden“
Das Parlament beschließt ein neues Müll-Konzept für Berlin.
Grünen-Umweltpolitiker Georg Kössler über Aufklärung beim Bio-Müll und die
Einwegabgabe.
„Zero-Waste-Konzept“: Kreuzberger Kehraus
Ein „Zero-Waste-Konzept“ soll Friedrichshain-Kreuzberg sauberer und
nachhaltiger machen. Es könnte das Ende der Vermüllung durch Straßenfeste
sein.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.