# taz.de -- Film über NS-Terror in Sachsen: Machtübernahme im Kleinen | |
> Ute Adamczewskis Dokumentarfilm „Zustand und Gelände“ sucht in ruhigen | |
> Bildern nach Spuren des frühen NS-Terrors in Sachsen. Sie wird sehr oft | |
> fündig. | |
Bild: Dokumente der Gewalt in statischen Aufnahmen im Film „Zustand und Gelä… | |
Sachsen, zu sehen sind Bilder von heute, dazu hört man Texte, die aus der | |
Vergangenheit zum Publikum sprechen: Die Morgensonne über dem Tal und dem | |
Plateau mit der Gaststätte scheint allzu versöhnlich. | |
„Brief der Amtshauptmannschaft an die Gartenkantine Rosenheim. 15. März | |
1933. Wie uns bekannt geworden ist, dient ihre Gartenkantine seit langer | |
Zeit der Versammlung regierungsfeindlicher Kreise. Dies bedeutet eine | |
erhebliche Beunruhigung der nationalen Bevölkerung. Damit keine derartigen | |
Versammlungen stattfinden können, sehen wir uns veranlasst, ihre | |
Gartenkantine zu schließen. Zuwiderhandlungen werden mit Schutzhaft nicht | |
unter einem Monat bestraft.“ | |
Die Gartenkantine mit ihrem harmlosen Häuschen und ihren Sitzbänken wird in | |
Ute Adamczewskis Film „Zustand und Gelände“ durch Dokumente als Schauplatz | |
politischer Auseinandersetzungen erkennbar. Auf das Schreiben antworten am | |
nächsten Tag die Nationalsozialisten, die unterdessen den Vorstand der | |
Gartenkantine übernommen hatten, man möge von der Schließung absehen, man | |
habe den Vorstand „von Personen marxistischer Parteien“ befreit. Die | |
Machtübertragung an die Nationalsozialisten zeigte sich im Kleinen durchaus | |
als die Machtübernahme, die sie im Großen nie war. | |
„Zustand und Gelände“ dokumentiert den frühen Terror des NS in Sachsen. | |
Während die Bildebene konsequent in der Gegenwart bleibt, wechseln die | |
Dokumente, die von der Schauspielerin Katharina Meves vorgetragen werden, | |
zwischen der Zeit des Nationalsozialismus und der DDR. Die Dokumente aus | |
der Zeit des NS sind vor allem Täterakten von Behörden und Justiz, die aus | |
der Zeit der DDR vielfältiger. Aussagen von Opfern stehen neben Eingaben an | |
DDR-Behörden, in denen das erinnerungspolitische Ringen der Jahre nach dem | |
Krieg erkennbar wird. | |
Die Bilder von Gebäuden und Kleinstadtlandschaften wirken in ihrer | |
Alltäglichkeit austauschbar. In dieser Austauschbarkeit wird die | |
Allgegenwärtigkeit der Verfolgung sichtbar. Der Terror des | |
Nationalsozialismus ist 1933 so kleinteilig wie die Organisationen der | |
Arbeiterbewegung. Jede Gartenkantine, jeder Arbeitergesangsverein wird zum | |
Ziel des Furors der plötzlich Mächtigen; jedes Schloss, jedes größere | |
Gebäude, jede Turnhalle kommt als Lager in Frage. Der Film macht auf | |
unaufgeregte Art deutlich: Wer in Deutschland auf Spurensuche zum | |
Nationalsozialismus geht, muss nie lange suchen. | |
## Balance aus Bewegung und statischen Aufnahmen | |
Die Dokumente folgen einer groben Chronologie, jenseits dessen wirkt ihre | |
Reihung eher zufällig, wie in einer Archivrecherche, bei der die Dokumente | |
eines Hefters keiner bestimmten Reihenfolge folgen. Auf die Eingabe einer | |
NSDAP-Ortsgruppe über die „Verhaftung“ von Kommunisten folgt die Bewerbung | |
eines Nazis als Lagerkoch. | |
Bildgestalter Stefan Neuberger findet in seinen Bildern zu dem Film eine | |
Balance aus Bewegung und statischen Aufnahmen. Die Montage kombiniert | |
statische Aufnahmen mit vorgetragenen Dokumenten und wählt Sequenzen mit | |
mehr Bewegung, wenn es darum geht, dem zuvor Gehörten Raum zu geben oder | |
auf das nächste Dokument vorzubereiten. | |
[1][Als der Film 2019 auf der Duisburger Filmwoche lief], wies Adamczewski | |
darauf hin, dass die Tonspur komplett nachträglich entstand, beim Dreh kein | |
Tonmeister dabei war. Der Ton des Soundkünstlers Ludwig Berger greift | |
Originaltöne auf, vor allem Geräusche wie das Rauschen eines Flusses oder | |
das Fallen von Schneeflocken, und kombiniert sie subtil mit technischen | |
Störgeräuschen. | |
## KZs auf Fabrikgeländen | |
Im Laufe des Jahres 1933 entsteht in Sachsen eine Vielzahl von | |
Konzentrationslagern. So viele, dass die Polizei am Anfang kaum | |
hinterherkommt, den Überblick zu behalten. Ein örtlicher Textilfabrikant | |
stellt einen Teil des Fabrikgeländes zur Verfügung, um darauf das KZ | |
Sachsenburg zu errichten. Das KZ Sachsenburg wird zum ersten Schritt der | |
Zentralisierung der Verfolgung, wiederholt werden Häftlinge aus den frühen, | |
kleineren Lagern bei deren Auflösung nach Sachsenburg verlegt. | |
Nach der Auflösung des KZ Sachsenburg werden die Häftlinge zwischen den KZs | |
Sachsenhausen und Buchenwald aufgeteilt. Der Bürgermeister von Frankenberg | |
beklagt den wirtschaftlichen Verlust, den die Schließung des KZ für | |
Sachsenburg bedeutet. | |
Angesichts von Pegida und der sächsischen CDU ist heute schwer vorstellbar, | |
dass Sachsen vor dem Nationalsozialismus und der DDR eine Hochburg der | |
Arbeiterbewegung war. Adamczewski macht in ihrem Film diese Geschichte | |
ebenso sichtbar wie die einsetzende Verfolgung im Nationalsozialismus. | |
Auslöser des Films war der [2][Streit über die Stiftung Sächsische | |
Gedenkstätten], in der die sächsische CDU zunächst ihrer geliebten | |
pseudowissenschaftlichen Totalitarismustheorie huldigen wollte. Diese | |
folgenreiche Beschädigung der Gedenkstätten in Sachsen wurde 2017 durch | |
einen gemeinsamen Gesetzentwurf von SPD, FDP, Grünen und CDU vorerst | |
verhindert. „Zustand und Gelände“ ist – wie jeder gute Film über Geschi… | |
– ein Film zwischen den Zeiten. | |
17 Jun 2021 | |
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## AUTOREN | |
Fabian Tietke | |
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