| # taz.de -- Kinotipp der Woche: Per Anruf in die Vergangenheit | |
| > Mit einer Freiluftvorführung meldet sich der Berlin-Film-Katalog zurück: | |
| > das Brotfabrik Kino zeigt die DEFA-Produktion „Pension Boulanka“. | |
| Bild: Alle Wege führen in Helmut Krätzigs Kriminalfilm von 1964 in die „Pen… | |
| Big-Band-Jazz und Leuchtreklame, danach gibt es elegantes Schattenspiel | |
| fürs ballistische Gutachten. „Ein neuer Kriminalfilm der DEFA ist | |
| anzukündigen, bei dem echte Spannung mit Zeitbezogenheit zusammenwirkt,“ | |
| frohlockte die Berliner Zeitung in einem Drehbericht. | |
| Die beiden Kommissare schlendern beiläufig zurück ins Büro: „Ich fang am | |
| besten an, als Gruyter noch lebte.“ Rückblende: Hinter der Bühne bei der | |
| Probe einer Artistentruppe. Der Zauberer der Truppe folgt einem Mann durch | |
| die Straßen Berlins in eine Pension. Während Colanta, der Zauberer, von der | |
| Pensionswirtin aufgehalten wird, schwingt sich der Mann, dem er gefolgt | |
| ist, aufs Dach und verschafft sich Zugang zum Zimmer einer der Tänzerinnen | |
| der Artistentruppe. | |
| Alle Wege führen in Helmut Krätzigs Kriminalfilm von 1964 in die „Pension | |
| Boulanka“. [1][Mit einer Freiluftvorführung des Films] meldet sich ab dem | |
| 9. Juli der Berlin-Film-Katalog zurück, die Filmreihe, in der der | |
| Filmhistoriker Jan Gympel jeden Monat einen raren Berlin-Film präsentiert. | |
| ## Bezüge nach drüben | |
| Die Artisten scheinen alle miteinander durch Geschichten verbunden, per | |
| Anruf meldet sich die Vergangenheit bei Gruyter, dem späteren Toten, und | |
| auch bei allen anderen beginnt nach und nach eine Vorgeschichte | |
| durchzuscheinen. Verdachtsmomente klingen an – wir sind schließlich im | |
| DDR-Film der 1960er Jahre –, wann immer Bezüge nach drüben, nach | |
| Westdeutschland erkennbar werden. Dann ist Premierennacht und am Ende des | |
| Abends ist Gruyter tot, in Folge einer seltsamen Würge-Hänge-Szene. | |
| Der Film basiert auf dem Roman „Künstlerpension Boulanka“ von Fritz | |
| Erpenbeck. Erpenbeck war in den 1920er Jahren zunächst als Schauspieler | |
| tätig, unter anderem an der Piscator-Bühne in Berlin. Ab Mitte der 1930er | |
| Jahre lebte Erpenbeck im Moskauer Exil und wurde dort Mitglied des | |
| Nationalkommitees Freies Deutschland. | |
| Mit Kriegsende kehrte Erpenbeck als Teil der Gruppe Ulbricht nach | |
| Deutschland zurück, trat in die SED ein und begründete gemeinsam mit Bruno | |
| Henschel den Henschelverlag. Der Kriminalroman „Künstlerpension Boulanka“ | |
| war Erpenbecks erster Beitrag zur Gelben Reihe mit populären Romanen des | |
| Verlags Das Neue Berlin, vier weitere Kriminalromane sollten folgen. | |
| Im sonst oft dialoggetriebenen DEFA-Film setzt der damals junge Regisseur | |
| Helmut Krätzig Akzente, indem er in „Pension Boulanka“ auch in Bildern | |
| erzählt. Die Kamera von Hans Heinrich zeigt die Handlung in Bildern, in | |
| denen sich Trubel des Artistenlebens und die Aufgeräumtheit der | |
| 60er-Jahre-Moderne abwechseln. Visuell setzt der Film auch sonst auf | |
| Moderne – modische Kurzhaarfrisuren, flotte Musik, Lichtsetzung. | |
| ## Rauschgift – nein! Doch! | |
| Doch immer wieder scheint trotz aller Mühen sozialistische | |
| Kleinbürgerlichkeit durch, so etwa in den Gesprächen der Polizisten | |
| untereinander oder in einigen der Verhöre. Rauschgift – nein! Doch! Oh! | |
| Fairerweise muss man sagen, dass das Fremdeln nicht größer ist als bei | |
| vielen westdeutschen Produktionen der Zeit. | |
| „Pension Boulanka“ ist ein visuell sehr gelungener, gut inszenierter und | |
| besetzter Kriminalfilm mit einigen sehenswerten Aufnahmen des Ost-Berlin | |
| jener Jahre. Helmut Krätzigs Karriere fand vor allem im Fernsehen der DDR | |
| Fortsetzung. In der DEFA blieb der Kriminalfilm skeptisch beäugt. | |
| Das klingt auch an, wenn der eingangs zitierte Drehbericht der Berliner | |
| Zeitung bei aller Sympathie für den Film einwendet: „Es wird jedoch immer | |
| nur ein Vergnügen auf niederer Ebene sein, wenn man erkennen muss, dass die | |
| Spannung nur um der Spannung willen da war, dass die schöne, beteiligende | |
| Sache eigentlich ohne jeden gesellschaftlichen Bezug und Wirklichkeitssinn | |
| war.“ Kriminalfilme als Unterhaltung fanden auch in der Folge eher im | |
| Fernsehen ein Zuhause als im Kino – und mit ihnen Helmut Krätzig. | |
| 3 Jul 2021 | |
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| [1] https://www.brotfabrik-berlin.de/kino-programm-aktueller-monat/ | |
| ## AUTOREN | |
| Fabian Tietke | |
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