# taz.de -- Kinotipp für Berlin: Neonlicht und Schatten | |
> Das Lichtblick-Kino in Pankow widmet der preisgekrönten Schauspielerin | |
> Frances McDormand eine kleine Retrospektive. | |
Bild: „Blood Simple“ (OmU) USA 1984, Regie: Joel & Ethan Coen | |
„Zu unserem ersten Hochzeitstag hat er mir einen Revolver mit | |
perlenbesetztem Griff geschenkt. Ich denke, ich verlasse ihn lieber, bevor | |
ich damit auf ihn schieße.“ | |
Abby will weg, hält es nicht mehr aus mit Marty, dem texanischen | |
Barbesitzer, mit dem sie verheiratet ist. Eigentlich hätte Ray, der für | |
Marty arbeitet, sie nach Houston fahren sollen, doch stattdessen landen die | |
beiden in einem Motel. Eine Nacht, die mit einem Anruf endet, am anderen | |
Ende der Leitung ist Marty. | |
Ein Privatdetektiv ist Abby gefolgt. Abby und Ray wissen, dass sie weg | |
müssen. Marty will Abby entweder zurück oder tot sehen. Über den düster | |
wabernden oder singenden Synthesizerklängen entfaltet sich die Handlung von | |
„Blood Simple“, dem Film mit dem die Brüder Joel und Ethan Coen 1984 ihr | |
Regiedebüt feierten. | |
Der Film ist ein Neo Noir, ein Versuch, den Erfolg des Film Noir in der | |
Kinokrise des Hollywoods der 1980er Jahre wiederaufleben zu lassen. | |
Zugleich werden im Spiel von Neonlicht, Licht und Schatten, die fragil | |
gewordenen Rollenmuster sichtbar. Zwischen den Karohemden der Männer | |
manövriert Frances McDormand als Abby. | |
„Blood Simple“ ist der erste Film der Schauspielerin, die [1][spätestens | |
seit dem Oscar als beste Schauspielerin in diesem Jahr] für ihre Rolle in | |
Chloé Zhaos „Nomadland“ wieder allen ein Begriff ist. Das Kino Lichtblick | |
in Prenzlauer Berg widmet McDormand anlässlich des deutschen Kinostarts von | |
„Nomadland“ [2][eine kleine Retrospektive]. „Blood Simple“ ist der | |
naheliegende Anfangspunkt der Reihe. | |
## Die Andere sein | |
Das Kino bewirbt die Reihe mit einem Zitat McDormands aus einem Gespräch | |
mit der New York Times kurz vor der Premiere von [3][„Three Billboards | |
Outside Ebbing, Missouri“] 2017: „Ich war zu alt, zu jung, zu fett, zu | |
dünn, zu groß, zu klein, zu blond, zu dunkelhaarig – aber irgendwann würden | |
sie die Andere brauchen. Also wurde ich richtig gut darin, die Andere zu | |
sein.“ | |
McDormand hat eine ganze Karriere damit verbracht zu beweisen, dass die | |
sexistischen Erwartungen des US-Mainstreamkinos an Schauspielerinnen Unfug | |
sind. Nicht zuletzt darauf verweisen die Filme, an denen sie mitgewirkt hat | |
und ihre Rollen auf eine schwindende Qualität Hollywoods: die Fähigkeit | |
gleichzeitig großes, mainstreamiges Kinos zu drehen und diesem Anklänge von | |
Indiekino zu verleihen. | |
In „Blood Simple“ spielt McDormand Abby mit vielen Details – ein kleines | |
Lächeln, das sich andeutet, ratlos-fassungslose Blicke, viel Resilienz. In | |
„Fargo“ spielt sie mit viel lakonischem Humor Marge Gunderson, | |
Polizeichefin der Kleinstadt Brainerd. McDormand tritt erst in der Mitte | |
des Films in Aktion aber dann dominiert ihre Polizeichefin die Welt von | |
Kleinstadtseltsamkeiten und Möchtegerngangstern um sie herum. | |
In Chloé Zhaos „Nomadland“ schließlich ist McDormand Fern. Unerwartete | |
Arbeitslosigkeit schickt die Protagonistin auf eine Reise durch die USA der | |
Gegenwart zwischen Gelegenheitsjobs, Übermüdung, Frost und Armut. Fern | |
verkauft ihre Habe und kauft einen Lieferwagen, in dem sie lebt und | |
schläft. Als die Umstände im Winter des Nordens unerträglich werden, macht | |
sich Fern mit ihrem Van auf in den Süden. | |
## Dauerkrise der Gegenwart | |
Ein Treffen in der Wüste mit Leuten, die wie sie leben, gibt Fern wieder | |
etwas Halt. Zhaos Film ähnelt in einigem John Steinbecks „Früchte des | |
Zorns“ (und den entsprechenden Verfilmungen), anders als Steinbecks | |
journalistische Beschreibungen und Prosa zur Krise der 1930er Jahre, | |
beschreibt „Nomadland“ jedoch einen Dauerzustand in den USA der Gegenwart. | |
„Nomadland“ zeigt sich Frances McDormand auf der Höhe ihres | |
schauspielerischen Könnens. Mit umso mehr Vorfreude darf man sich auf die | |
nächsten Filme mit ihr einstimmen. Ende des Jahres wird endlich Wes | |
Andersons schon 2019 fertiggestellter und wegen der Pandemie verschobener | |
Auslandskorrespondenten-Film „The French Dispatch“ in die Kinos kommen. | |
Aktuell ist eine Macbeth-Verfilmung mit McDormand als Lady Macbeth in | |
Arbeit. Regie führt McDormands Mann Joel Coen. Man könnte die Werkschau | |
also auch als Vorschau sehen auf kommende Höhepunkte. | |
14 Jul 2021 | |
## LINKS | |
[1] /Kinostart-von-Chloe-Zhaos-Nomadland/!5777994 | |
[2] https://www.lichtblick-kino.org/filmreihe/2021/21_07_Frances_McDormand | |
[3] /Rachewestern-als-Tragikkomoedie/!5477569 | |
## AUTOREN | |
Fabian Tietke | |
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