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# taz.de -- Bundeszentrale für politische Bildung: Seehofers Haus diktierte De…
> Die „Bild“ und ein CDU-Politiker machen Druck. Dann greift das
> Innenministerium in den Linksextremismus-Teaser der bpb ein. Das zeigen
> nun interne Mails.
Bild: Der Bundesadler am Neubau des Bundesinnenministeriums in Berlin
Es ist nur ein Satz, aber der Streit über ihn sagt viel aus über die
politische Gegenwart in der Bundesrepublik und die Geisteshaltung in manch
ihrer Institutionen:
„Im Unterschied zum Rechtsextremismus teilen sozialistische und
kommunistische Bewegungen die liberalen Ideen von Freiheit, Gleichheit,
Brüderlichkeit – interpretieren sie aber auf ihre Weise um.“
[1][Im Januar hatte die taz darüber berichtet], wie sich über diesen Satz,
der aus der ehemaligen Einleitung des Linksextremismus-Onlinedossiers der
Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) stammt, zuerst ein
konservativer und rechter Shitstorm bildete; und wie dieser Satz, der von
einem renommierten Wissenschaftler verfasst worden war, zuerst aus dem Netz
genommen und dann durch eine unwissenschaftliche Linksextremismusdefinition
des Verfassungsschutzes ersetzt worden ist.
Schon damals war bekannt, dass die bpb diese Änderung auf Anweisung des
Bundesinnenministeriums (BMI) vorgenommen hatte, denn die Bildungsbehörde
ist dem Ministerium nachgeordnet, das BMI hat die Fachaufsicht über die bpb
inne. Konkret heißt das, dass die bpb dem zuständigen BMI-Referat berichten
muss und das Referat zugleich die Möglichkeit hat, in die Arbeit der bpb
einzugreifen, wenn es einen Anlass dazu sieht.
## BMI hatte verneint, dass Leitung eingebunden war
Genau dies geschah in dem Fall des Linksextremismus-Teasers. Im März hat
die taz bereits anhand der Mailkorrespondenz zwischen der bpb und dem BMI
rekonstruiert, wie der Eingriff erfolgt ist. Diese lag ihr als Ergebnis
einer Anfrage des Informationsportals FragDenStaat nach dem
Informationsfreiheitsgesetz (IFG) vor. Bemerkenswert an dieser
Kommunikation war, dass das BMI mehrere wissenschaftliche
Änderungsvorschläge der bpb zurückgewiesen hat, und der bpb am Ende eine
unwissenschaftliche Linksextremismusdefinition ähnlich jener des
Verfassungsschutzes aufgedrängt hat, an der die für die politische Bildung
eigentlich nicht zuständige BMI-Abteilung für öffentliche Sicherheit (ÖS)
mitgewirkt hatte.
Nun liegt der taz die [2][interne Kommunikation des BMI] vor, ebenso als
Ergebnis einer IFG-Anfrage von FragDenStaat. Absender- und
Empfängeradressen hat die Behörde geschwärzt, die wichtigsten Akteure
lassen sich aber über Signaturen und die Inhalte der Mails rekonstruieren.
Aus dieser Kommunikation geht einerseits hervor, welch zentrale Rolle die
Bild-Zeitung und der Bundestagsabgeordnete Thorsten Frei, stellvertretender
Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion und Vorsitzender des
bpb-Kuratoriums, beim Eingriff des BMI gespielt haben.
Andererseits ist der behördeninternen Kommunikation zu entnehmen, dass die
Hausleitung, anders als zunächst behauptet, doch entscheidend in den
Vorgang eingebunden gewesen ist – das BMI hatte im Februar gegenüber der
taz die Frage verneint, ob Bundesinnenminister Horst Seehofer oder
zuständige Staatssekretäre in die Überarbeitung des Einleitungstextes
eingebunden gewesen seien.
Das Ministerium hat also gelogen, um das Ausmaß dieses Vorgangs zu
verschleiern, der sich nun mit Blick auf die interne Kommunikation des
Ministeriums weiter vervollständigt. Aktiv beteiligt an dem Vorgang war,
das geht aus dem Schriftverkehr hervor, das Ministerbüro von Horst
Seehofer, eingebunden waren zudem Staatssekretäre.
## „Haben Sie da ein griffiges Zitat für uns?“
Die Rekonstruktion:
Am 11. Januar setzt die Bild-Zeitung den Vorgang, der letztendlich zur
Überarbeitung des Teasers führen wird, wie folgt in Gang: Nach rechter
Empörung auf Twitter am 10. Januar fragt Bild bei Thorsten Frei an,
verweist dabei auf einen Tweet von Hubertus Knabe. In der Anfrage, die der
taz vorliegt, heißt es:
„Wie schätzen Sie das ein? Haben Sie da ein griffiges Zitat für uns?“
Ein Mitarbeiter von Frei liefert schon nach knapp zwei Stunden mehr als ein
griffiges Zitat und weist darauf hin, dass Frei gerne in seiner Funktion
als Kuratoriumsvorsitzender der bpb zitiert werden könne. Am Abend
desselben Tages kontaktiert ein Mitarbeiter von Frei das BMI und verweist
auf die Presseanfrage der Bild. Frei, heißt es in der Mail an das BMI,
„würde sich sehr freuen, wenn Sie auch diesen Sachverhalt in Ihrer
Aufsichtsfunktion genauer in den Blick nehmen könnten“. Und weiter:
„Zumindest sollte unserer Ansicht die irritierende Darstellung auf der
Webseite entsprechend kritisch überarbeitet werden.“
Gleichzeitig regt der Mitarbeiter ein Gespräch des BMI mit der bpb-Leitung
an, bei dem man „durchaus auch noch einmal über die Darstellung bestimmter
Themen sprechen“ könne. Zum Thema Linksextremismus gäbe es kaum
Publikationen, und „bei dem wenigen, das es gibt, passieren solche
Schnitzer“.
In einer Antwort des BMI am darauffolgenden Tag versichert dieses, dass man
eine Korrektur des Textes mit der bpb besprechen und das Anliegen des
Abgeordneten auch bei einem Gespräch mit der bpb-Leitung thematisieren
werde. Am 11. Januar stellt die Bild auch eine Anfrage an das BMI, was die
behördeninterne Kommunikation zum Vorfall endgültig in Schwung bringt, und
es beginnen Beratungen über eine bestmögliche Antwort auf diese
Presseanfrage der Bild.
In der Kommunikation zwischen den zuständigen BMI-Stellen wird über einen
Antwortvorschlag beraten, in dem es heißt, dass das BMI die bpb gebeten
habe, die Formulierung zu überarbeiten, „um Missverständnisse künftig
auszuschließen“. Der Vorschlag sei so formuliert, weil der Verfasser die
Befürchtung habe, „dass Bild andernfalls titelt ‚BpB relativiert
Linksextremismus und BMI findet nichts dabei‘“.
Dieser Vorschlag wird dann zur „Billigung“ dem „St K“, also offenbar dem
zuständigen Staatssekretär Markus Kerber, vorgelegt. Auch eine interne
Sprachregelung bezüglich der Antwort an die Bild wird vereinbart. Der
parlamentarische Staatssekretär Volkmar Vogel hat zuvor mit Verweis auf
Posts verschiedener Bundestagsabgeordneter und einer Beschwerdemail darum
gebeten. Nach kleinen Überarbeitungen verschickt das Ministerium die
Antwort auf die Presseanfrage.
## „Bild“-Zeitung als Impulsgeber
Man erkennt schon an diesem Punkt, wie maßgeblich die Bild-Zeitung die
Überarbeitung des Teasers im Linksextremismusdossier angestoßen hat –
wie sehr die Beamten des BMI ihr Handeln an der Berichterstattung der
Bild-Zeitung ausrichten.
Am 12. Januar tritt das BMI in den Austausch mit der bpb und veranlasst,
den Einleitungstext aus dem Netz zu nehmen und einen neuen Einleitungstext
abzustimmen. Die bpb antwortet, dass sie bereits eine Überarbeitung
vorgenommen habe.
Diese neue Version ist etwas ausführlicher als die vorherige, enthält ein
Zitat des Soziologen und Politikwissenschaftlers Armin Pfahl-Traughber,
ehemaliger Referatsleiter der Abteilung Rechtsextremismus im Bundesamt für
Verfassungsschutz. Auch der umstrittene Satz ist noch da. Doch heißt es
nicht mehr, dass sozialistische und kommunistische Bewegungen die liberalen
Ideen von Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit „teilen“, sondern sich auf
diese „berufen“.
Das für die bpb zuständige BMI-Referat GII4, „Politische Bildung und
politische Stiftungen“, möchte den „streitgegenständlichen Satz“ aber
entfernt haben, weil es auch so bei der „Vermischung von kommunistischen
Bewegungen mit liberalen Ideen“ bleibe, das könne „als Relativierung und
Verharmlosung von Kommunismus verstanden werden“. Auch der nächste
Vorschlag der bpb vom Morgen des 13. Januar enthält ein Zitat von
Pfahl-Traughber, der umstrittene Satz aber ist nun verschwunden. Das trifft
im zuständigen BMI-Referat auf Einverständnis.
Diese Version, heißt es in der Kommunikation, solle nun der Leitung der
Abteilung G zur Billigung vorgelegt werden, das ist die für die bpb
zuständige Abteilung „Grundsatz, Planung und Kommunikation“. [3][In der
Behördenhierarchie] befindet sich diese Abteilungsleitung direkt unter dem
Staatssekretär, in diesem Fall Markus Kerber, auf den der
Bundesinnenminister folgt.
An diesem Punkt scheint die Sache also bereits erledigt zu sein. Ein
Eingriff durch das BMI ist zwar erfolgt, ein Satz wurde gelöscht. Aber die
bpb hat es noch geschafft, an einer halbwegs wissenschaftlichen Definition
von Linksextremismus festzuhalten und in der neuen Version zumindest einen
Wissenschaftler zu Wort kommen zu lassen.
Es bleibt aber nicht dabei. Denn nun schaltet sich das oberste Glied in der
BMI-Hierarchie ein. Und das tut es unmittelbar nachdem am Abend des 12.
Januar die Bild-Zeitung [4][einen Bericht über den Vorfall] veröffentlicht
hat.
Am Morgen des 13. Januar gehen zwei Mails aus dem Ministerbüro von Horst
Seehofer raus: Zunächst um 8.32 Uhr eine an die für die bpb zuständige
Abteilung G und Unterabteilung GII sowie den Staatssekretär Kerber mit der
Bitte um eine Stellungnahme zum Bild-Artikel, der überschrieben ist mit
„‚Verharmlosung des Kommunismus‘: Sind Linke die besseren Extremisten?
Kritik an Linksextremismusdarstellung der Bundeszentrale für politische
Bildung“. Das ist der Artikel, in dem man die „griffigen Zitate“ des
CDU-Abgeordneten und bpb-Kuratoriumsvorsitzenden Frei neben Äußerungen von
Knabe findet.
Die zweite Mail geht 11 Minuten später an das Referat ÖSII3, das für
„Terrorismus/Extremismus rechts/links; Politisch motivierte Kriminalität“
verantwortlich ist, in CC gesetzt ist die diesem Referat vorangestellte
Abteilung „Öffentliche Sicherheit“ und deren Unterabteilung sowie der
verantwortliche Staatssekretär Hans-Georg Engelke. Eine Kopie geht in einer
zweiten Mail („Ich habe vergessen, Sie in cc zu nehmen …“) auch an das f�…
die bpb zuständige Referat GII4. In der Mail heißt es:
„ÖSII3 wird gebeten, das Referat GII4 bei der Bewertung des Sachverhalts
mit der entsprechenden Expertise zu unterstützen.“
Dabei hatte das BMI auf eine entsprechende Anfrage über eine mögliche
Einwirkung des Ministers der taz im Februar geantwortet: „Die Hausleitung
war in diesen Vorgang nicht eingebunden.“
Auch auf erneute Nachfrage angesichts dieser nicht wahrheitsgemäßen
Auskunft antwortete das BMI am 11. Juni: „Die Beantwortung erfolgte
wahrheitsgemäß. Die Ihnen vorliegenden Mails stehen unter Berücksichtigung
der zeitlichen Abläufe nicht im Widerspruch zu der an Sie übermittelten
Auskunft.“
Dass es hier sehr wohl einen Widerspruch gibt, zeigt diese Rekonstruktion.
Die Bild gibt ein weiteres Mal einen entscheidenden Impuls, dieses Mal
jenen für das Ministerbüro von Horst Seehofer, die Abteilung ÖS und somit
den Verfassungsschutz in die Überarbeitung der Linksextremismuseinleitung
einzubinden. Das ist zugleich der entscheidende Eingriff, der dazu führt,
dass am Ende eine wissenschaftliche Definition der bpb durch eine
unwissenschaftliche des Verfassungsschutzes ersetzt wird, wie die [5][taz
Anfang März rekonstruiert hatte].
## Die „Expertise“ der Sicherheitsbehörden
Und was mit „Expertise“ der Sicherheitsbehörden genau gemeint ist, kann man
der auf diese Anweisung des Ministerbüros folgende Abstimmung entnehmen, in
der Sätze fallen wie folgender in einer Mail vom 13. Januar, 13.25 Uhr:
„Ich fänd besser, wenn wir diese Formulierung nehmen würden, als
irgendwelche Wissenschaftler zu zitieren“, heißt es da; wobei „diese
Formulierung“ jene des Verfassungsschutzes meint, die diesem Satz
vorangeht.
„Ich stimme dem zu“, heißt es in der Antwort darauf um 13.41 Uhr.
„Einheitliche Definitionen sind beim Internetauftritt von Bundesbehörden
vorzugswürdig“ – obwohl die bpb keine gewöhnliche Bundesbehörde ist,
sondern eine, die dem BMI nachgeordnet ist und als solche in der Lage sein
sollte, ihrem Bildungsauftrag so unabhängig wie möglich nachzugehen.
In einer Bewertung der alternativen Vorschläge des bpb heißt es außerdem:
„Sowohl die alte als auch die neue Formulierung spiegeln nach unserer
Einschätzung im Kern nicht die Gefährlichkeit beider Phänomenbereiche
wider: Sowohl Rechtsextremismus als auch Linksextremismus gefährden die
freiheitliche demokratische Grundordnung. Die beiden Formulierungen stellen
den Linksextremismus eher verharmlosend dar.“ Das liege daran, dass die
Formulierungen „theoretischer Natur“ und „definitorisch-beschreibend“
seien. Besser sei dagegen ein „an den Realitäten orientierter Ansatz“.
Am 14. Januar um 17.08 Uhr übermittelt das Referat GII4 dann die mit der
Abteilung ÖS „abgestimmte“ neue Einleitung, die ihr von jener eigentlich
vordiktiert wurde, zur Veröffentlichung an die bpb.
Die bpb erklärt sich bereit, diese Formulierung zu übernehmen, möchte aber
den Urheber als die „Sicherheitsbehörden“ kennzeichnen. Nach einer weiteren
internen Konsultation im BMI, ob diese Ergänzung als Distanzierung vom
neuen Einleitungstext gedeutet werden könnte, stimmt das Ministerium dem
zu.
Und wo einst eine wissenschaftliche Formulierung in das Thema
Linksextremismus einführte, steht nun ein langes Zitat, das sich fast
identisch auf der Webseite des Bundesverfassungsschutzes wiederfindet.
15 Jun 2021
## LINKS
[1] /bpb-Dossier-Linksextremismus/!5742141
[2] https://fragdenstaat.de/anfrage/interner-schriftverkehr-zu-linksextremismus…
[3] https://www.bmi.bund.de/SharedDocs/downloads/DE/veroeffentlichungen/themen/…
[4] https://www.google.com/url?sa=t&rct=j&q=&esrc=s&source=web&…
[5] /Bundeszentrale-fuer-politische-Bildung/!5750736
## AUTOREN
Volkan Ağar
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