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# taz.de -- Doku-Serie „Bild. Macht. Deutschland?“: Rumsitzen im Krawallklub
> Mit einer neuen Dokuserie will der Streamingdienst Amazon Prime Einblicke
> in den Alltag der „Bild“ liefern. Ganz auf geht das nicht.
Bild: Chefredakteur Julian Reichelt spielt den launischen Exzentriker mit dem F…
Der Blick hinter die Kulissen einer Redaktion ist meist öde. Weder rennen
da Reporter japsend und „Ich hab die Story“ schreiend durch die Gänge, noch
knallt irgendwo eine qualmende Verlegerin den Hörer auf ihr
Wahlscheibentelefon und knurrt: „Wir drucken!“
Diesem Idealbild wenigstens nahe kommen wollte der Streamingdienst Amazon
Prime Video mit einer Dokuserie über die Bild-Redaktion. Bild-Chef Julian
Reichelt hilft nach Kräften mit, raucht, wird laut, und legt wütend auf,
aber bei einem Handy knallt das eben nicht so schön. Und so sieht man in
den sieben 50-minütigen Folgen über die größte deutsche Tageszeitung
meistens Männer rumstehen und auf Bildschirme starren.
Hie und da gibt es Außentermine: Polizeieinsätze, Reisen in
Flüchtlingslager und Kriegsgebiete. Aber getragen wird die Handlung von
stehen-und-reden, sitzen-und-reden oder gehen-und-reden. So ist
Journalismus eben. Meistens.
Für die Dokuserie mit dem unentschiedenen Titel „BILD. Macht. Deutschland?“
hat sich ein Kamerateam der Produktionsfirma Constantin Entertainment im
Auftrag von Amazon ein Jahr lang in den Redaktionsräumen der Bild
herumgetrieben. Der multinationale Shoppingkanal will sich jetzt mit Dokus
einen Namen machen. [1][Konkurrent Netflix hat in dem Genre schon
vorgelegt].
Corona ungeplant als roter Faden
Nach Angaben Amazons war man von Dezember 2019 bis September 2020 bei Bild
im Berliner Springer-Hochhaus. Man habe sich dort, heißt es von Amazon,
frei bewegen dürfen. Im Konferenzraum habe zeitweise eine fest installierte
Kamera gestanden. Zu sehen ist nur der Zeitraum von März bis September
2020, weil: Corona. Die Krise wurde ungeplant zum roten Faden: von
Kabbeleien übers Masketragen in der Redaktion bis hin zu Provokationen
gegen China und Christian Drosten.
Ein PR-Film für die Bild ist das nicht geworden – nicht komplett. Bild habe
nicht über das finale Produkt bestimmen dürfen, heißt es bei Amazon. „Es
gab kein allgemeines Abnahmerecht mit der Redaktion oder dem Verlag“, sagt
ein Sprecher. „Bei Szenen, die sensible persönliche Daten oder den Schutz
von Informanten und Quellen betrafen, konnte Bild ein Veto einlegen.“
Und so macht die Serie keine Schönfärberei. Mitarbeitende äußern wiederholt
Kritik: am Führungsstil oder Tonfall von Reichelt oder publizistischen
Entscheidungen. Nicht wenige stören sich an der Berichterstattung über den
Virologen Christian Drosten im Mai. [2][Bild stellte damals eine Studie
Drostens als falsch dar und gab ihm nur eine Stunde Zeit zur
Stellungnahme].
Aber es gibt ja keine negative PR. Schon gar nicht für ein Unternehmen wie
Bild. Bild braucht auch keine Kontrolle über die Inszenierung. Bild selbst
ist Inszenierung: Reichelt spielt den launischen Exzentriker, mit dem
Rauchen und dem Faltbett im Büro. Selbst wer das einfach abfilmt, zeigt am
Ende Fiktion.
Immer wieder „Bild Live“
Deutlich wird etwa, dass Reichelt unbedingt sein vor einem Jahr gestartetes
„Bild Live“ pushen möchte. Immer wieder landet man im Studio, immer wieder
wird der TV-Kanal erwähnt. Dabei scheint „Bild Live“ bisher eher
bedeutungslos zu sein. Aus dem Verlag ist zu hören, die Zahlen seien
enttäuschend. [3][Die Berliner Zeitung will internen Papieren entnommen
haben], dass die Zuschauerzahl im Schnitt bei ein paar Tausend dümpelt.
Im neuen Jahr soll das besser werden. Der Verlag steckt 22 Millionen in den
Kanal, mehr Mitarbeitende mit TV-Kompetenz sollen die Professionalität
heben. Gut also, wenn man einem Streaming-Publikum jetzt schon mal
einredet, „Bild Live“ sei bereits von Belang.
Vorwerfen kann man den Macher*innen dann doch zweierlei: Die
Postproduktion, die immer wieder dramatisch das Springer-Haus im Zeitraffer
zeigt und sich bei Einblendungen am Design der Bild orientiert, als wäre es
ein Imagefilm. Und die Recherche, die kaum andere Stimmen zu Wort kommen
lässt, als Bild-Leute. Nur ein paar Politiker, die sich Angriffe auf das
Blatt natürlich verkneifen. Wie SPD-Mann Karl Lauterbach in der Serie sagt:
„Als Politiker ist man gut beraten, die Medien nicht zu kritisieren.“
Am Ende bleibt dann eine Frage hängen, die keinem Medienbetrieb recht sein
kann: Was machen die da eigentlich? Seriös recherchieren können andere
besser, die nicht regelmäßig [4][ethische Grenzen] übertreten. Provozieren
wiederum kann manche Youtuber*in längst genauso gut. Und wenn auch noch die
Reichweite sinkt: Was bleibt dann von Bild als Meinungsmacherin? Ein
Krawallklub unter vielen.
17 Dec 2020
## LINKS
[1] /Einigkeit-und-Mord-und-Freiheit-von-Netflix/!5716680
[2] /ZSK-und-Charite-Virologe-gegen-Bild/!5695638
[3] https://www.berliner-zeitung.de/kultur-vergnuegen/bild-live-julian-reichelt…
[4] /Nach-Solingen-Berichterstattung/!5708395
## AUTOREN
Peter Weissenburger
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