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# taz.de -- Szenenbildnerin über TV-Produktionen: „Wir wollen verführen“
> Orte im Film schaffen Sehgewohnheiten, sagt Silke Buhr. Die
> Szenenbildnerin spricht über die Schwierigkeit von Unspektakulärem und
> das Brechen von Erwartungen.
Bild: Zwei Figuren, ein Raum: „Das Verhör in der Nacht“ mit Sophie von Kes…
taz: Frau Buhr, als Szenenbildnerin haben Sie den Thriller „Das Verhör in
der Nacht“ ausgestattet, der kürzlich im ZDF zu sehen war. Dieser spielt
zwischen zwei Figuren in bloß einem einzigen Raum, einem Hotelzimmer. Wie
gehen Sie mit einer derart beschränkten Ausdrucksmöglichkeit um?
Silke Buhr: Dieser Film war für mich besonders intensiv, das glaubt man
vielleicht auf den ersten Blick nicht. Es fing damit an, dass wir das
Hotelzimmer zunächst bauen mussten. Denn fast 20 nächtliche Drehtage in
einem echten Hotel – das wäre niemandem zuzumuten gewesen. Wir haben also
ein komplett fiktives Hotelzimmer gebaut, mit der ungefähren Idee einer
westdeutschen mittelgroßen Stadt im Hinterkopf. Die Herausforderung war:
Der Raum soll so normal wie möglich aussehen. So als wenn jeder schon mal
dagewesen wäre.
Das Hotel als neutraler Ort. Gleichzeitig soll das Szenenbild uns aber
etwas mitteilen, etwa über die Figuren. Wie macht man das?
Es war wichtig, dass die Figuren sich im Raum bewegen können, gleichzeitig
durfte das Zimmer nicht so groß sein, dass es wie eine Suite rüberkommt.
Die Figur der Professorin sollte nicht so wirken, als lebe sie im Luxus.
Gehobene Ausstattung, ja, aber auch nichts Besonderes. Keinesfalls durfte
es aufgesetzt sein. Ein ganz unspektakuläres Szenenbild zu entwickeln ist
eine anspruchsvolle Aufgabe.
Wann wirkt denn ein Szenenbild für Sie „aufgesetzt“?
Wiederkehrende, überstrapazierte Motive: das Haus am See – eine Zeit lang
kam das ständig im „Tatort“. Manchmal schafft das Fernsehen ganz allein
solche stereotypen Orte. Die sind uns dann vertraut, aber nicht, weil wir
sie aus der Wirklichkeit kennen, sondern weil es Sehgewohnheiten sind. Mit
solchen Erwartungen kann man natürlich spielen. Entweder indem man sie
unterläuft oder aber stark überhöht. Alles dazwischen jedoch ist schwierig,
wenn man sie also bloß wiederholt.
Ich bin immer überrascht, wie viele gut situierte westdeutsche Neubauten
und Kücheninseln mit Granitflächen man im deutschen Fernsehfilm zu sehen
bekommt. Haben Sie dafür eine Erklärung?
Das ist meinem 17-jährigen Sohn auch aufgefallen. Nicht die Küchen, aber
die Häuser. Wir leben in einer Berliner Stadtwohnung und er hat angemerkt,
dass alle Geschichten – auch die Kindergeschichten – immer in einem
Einfamilienhaus spielen. Entweder hat uns die Werbung da hingebracht, oder
es ist so eine Art Kollektivtraum von einem modernen Einfamilienhaus, der
da aufgerufen wird. Um den Zuschauer zu binden. Nicht so doll, dass man
neidisch wird, aber ein Lebensmodell, von dem man erwartet, dass sich viele
damit identifizieren, auch wenn sie es selbst gar nicht leben.
In „Bad Banks“ hat man es mit einem Thema zu tun, das abstrakt ist, dessen
Handlung sich in Zahlen und abstrakten Werten bewegt, im Fall der zweiten
Staffel, an der Sie mitgewirkt haben, auch noch zusätzlich in der Welt des
Programmierens. Wie geht man da szenenbildnerisch ran?
Ich habe mir da den Kinofilm „Who Am I“ zum Vorbild genommen, in dem es um
Hacker geht und an dem ich ausstatterisch beteiligt war. Die
Herausforderung ist, nicht bloß Leute an der Computertastatur zu zeigen,
die auf Bildschirme starren – so wie es ja eigentlich ist –, sondern ich
habe versucht, eine abzeichnenbare Welt zu zeigen. Eine Welt, die
Oberflächen hat, Risse. Das fand ich schon in der ersten Staffel von „Bad
Banks“ unheimlich gut gelungen. Da wurden schreiende, schwitzende Banker
gezeigt, wer hätte so ein Bild schon normalerweise im Kopf? In der zweiten
Staffel habe ich versucht, genau daran anzuknüpfen. Das Unsichtbare
sichtbar zu machen.
Wie macht man das Unsichtbare sichtbar?
Ich komme aus der Architektur, für mich ist der Raum immer greifbar und
sichtbar. Ich habe in jedem Moment ein Umfeld um mich, ob ein schönes oder
nicht, sei jetzt mal dahingestellt, aber das Umfeld hat immer einen Sinn:
wo ich da bin, warum ich da bin, was ich da bin. Es wird in Kritiken immer
viel über Licht geschrieben, oder Kamera – natürlich zu Recht, aber es
wundert mich auch, denn diese Dinge sind für Zuschauer ja viel schwerer zu
erfassen als der Raum, den man wirklich sieht: das Szenenbild. Bei „Bad
Banks“ ist da zum Beispiel mit vielen Frankfurter Hochhäusern gearbeitet
worden, klar. Wenn man die Figuren in diesem Umfeld platziert, versteht der
Zuschauer sofort und unmittelbar, in welcher Welt die Geschichte spielt,
meist ohne dass er es bewusst sieht. Die Figuren brauchen diese Information
dann gar nicht mehr selbst auszusprechen.
Ist es also ein Erfolg, wenn das Szenenbild eben nicht weiter beachtet oder
beschrieben wird?
Durchaus, danach streben wir. Wir wollen den Zuschauer verführen, er soll
drin sein, er soll sich identifizieren – und er soll sich in diesen 90
Minuten, die er bei uns ist, so bewegen können wie in seinem eigenen
Umfeld. Das gilt auch dann, wenn Filme in einer ganz anderen Welt spielen,
in der Zukunft etwa, oder denken Sie an Filme von Wes Anderson. Selbst dann
geht es darum, dass der Zuschauer in dieser Welt ankommt und auch dableibt.
Dass er das, was er sieht, ein Stück weit glaubt. Das ist jedenfalls immer
mein Ziel.
Für den Kinofilm „Berlin Alexanderplatz“ haben Sie dieses Jahr den
Deutschen Filmpreis in der Kategorie Szenenbild erhalten. Gibt es
grundlegende Unterschiede in Ihrer Herangehensweise beim Kino gegenüber dem
Fernsehen?
Es fängt zunächst einmal genau gleich an: Man liest das Drehbuch und stellt
sich vor, was das für Bilder werden könnten. Und dann gleicht man sich ab
mit Regie, Kamera und Kostüm. Da geht es erst einmal darum zu fragen: Was
ist das für eine Geschichte und was will diese Geschichte von mir als
Szenenbildnerin? Bis dahin ist alles gleich. Den Unterschied sehe ich
darin, dass beim Fernsehen der Fokus tendenziell weniger beim Szenenbild
liegt.
Bei Produktionen wie „Babylon Berlin“ natürlich schon, aber oft wird das
Szenenbild im Fernsehen weniger als organischer Bestandteil des ganzen
Werks gesehen. Die Kücheninsel etwa, die Sie ansprechen: die ist einfach
da, sie hat keine Bedeutung, es steht kein besonderer Gedanke dahinter,
reine Konvention. Proportional wird mir beim Kino auch etwas mehr Budget
zugeteilt als beim Fernsehfilm. Beim Kino gibt es eben eher von vornherein
den Anspruch, über Bilder zu erzählen. Ich persönlich würde da natürlich
lieber keine Unterschiede machen. Ich würde lieber kinoeskes Fernsehen
sehen.
27 Dec 2020
## AUTOREN
Peter Weissenburger
## TAGS
Film
Fernsehen
Kino
Doku
Internet
Markus Söder
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