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# taz.de -- Netflix-Doku zu Rohwedder Attentat: Die RAF und die Stasi
> Wer steht hinter dem Mord an Treuhandchef Detlev Rohwedder? Eine neue
> Netflix-Serie meint: wohl eher staatliche Agenten.
Bild: Rainer Hofmeyer, eh. Abteilungsleiter Terrorismusbekämpfung im BKA in de…
Zum 30. Jahrestag der deutschen Einheit startet bei Netflix die Doku-Serie
„Rohwedder – Einigkeit und Mord und Freiheit“. Der Vierteiler erzählt die
öffentliche Stimmungslage, die dem Attentat auf Detlev Rohwedder
vorausging. Um die wahren Tathintergründe des Mordes an dem Top-Manager am
1. April 1991 in Düsseldorf ranken sich bis heute viele Legenden. Die Rote
Armee Fraktion (RAF) hat sich zum Mord bekannt. Doch wer von der RAF
schoss, konnte nie ermittelt werden. Ein vielversprechender Stoff, um jetzt
30 Jahre danach eine vierteilige Filmserie an den Start zu bringen. Netflix
verspricht „True Crime“.
Detlev Rohwedder gilt der deutschen Politik als „Märtyrer der deutschen
Einheit“ (Theo Waigel). Er stand bei seinem Tod der staatlichen
Treuhandanstalt vor. Er leitete den Prozess zu Sanierung und Privatisierung
der maroden DDR-Ökonomie an. Wie die Doku-Serie im Zusammenschnitt
historischer Aufnahmen deutlich macht, war Rohwedder zum Zeitpunkt des
Attentats eine der meistgehassten Personen der Republik. Im Osten
demonstrierten viele gegen ihn.
In historischen Fernsehinterviews sieht man einen sachlich argumentierenden
Rohwedder, der von Journalisten hart angegangen wird. Er verteidigt die
seiner Meinung nach unvermeidliche Abwicklung der DDR-Betriebe. Der frühere
Hoesch-Manager und langjährige Staatssekretär der SPD im
Bundeswirtschaftsministerium duckte sich nicht ab. Auch dass es zunächst zu
Massenarbeitslosigkeit käme, bestritt er nicht, hielt den
Privatisierungskurs jedoch für den Weg, um möglichst schnell zu den
geforderten „blühenden Landschaften“ im Osten zu gelangen.
Der 1932 in Gotha geborene Rohwedder sprach auch davon, den „Sozialismus
aus den Betrieben auszuschwitzen“. Die Direktheit polarisierte. Die
Netflix-Doku verdeutlicht die angespannte Stimmung durch die Montage von
Archivaufnahmen. Freudig-euphorische DDR-Bürger:innen wandeln sich
zunehmend in wütende Nationalisten, in sich vom Westen betrogen Fühlende.
Polemisch könnte man formulieren: Sie wollten West-Produkte, VW-Golfs statt
Trabis, und wunderten sich, als die Produktion in den DDR-Anlagen in sich
zusammenfiel.
## Absolutes Feindbild
Rohwedder wurde 1990/91 zum personifizierten Feindbild, auch der radikalen
Linken im Westen. Er sollte die angeblich nimmersatte Heuschrecke sein, der
kaltherzige „Statthalter Bonns“ in (Ost-)Berlin. Doch, das zeigt die Doku
und es macht ihren gelungenen Anteil aus, auch Stasi- und SED-Seilschaften
fürchteten ihn, der sich mit dem Innersten der DDR-Ökonomie beschäftigte
und damit auch zu jenen vordrang, die sich illegal am Untergang auf
östlicher Seite bereicherten. Nicht aus allen Generälen wurden Bettler.
Produzent Christian Beetz und seine Regisseure Georg Tschurtschenthaler und
Jan Peter rekonstruieren für die Doku „Rohwedder“ den gesellschaftlichen
Hintergrund, die Motivlage, die den Mord an Rohwedder begründen sollen. Sie
haben dafür zahlreiche Originalinterviews mit früheren Akteuren und
Zeitzeugen geführt. Terrorismusfahnder, V-Leute, Journalisten,
Ex-RAF-Mitglieder, frühere Stasi-Offiziere, linke Ostdeutsche, Mitstreiter
Rowedders bei der Treuhand. Die Montage der Gespräche mit historischen
Aufnahmen von der Beitrittsphase der DDR zur Bundesrepublik scheint als
Methode naheliegend.
Doch wie steht es mit dem „True Crime“, der Darstellung der Kriminalistik
im Fall Rohwedder? Da sind Recherchen, Befunde eher dünn, die Thesen
unbelegt. Aus der Tatsache, dass Rohwedder 1991 unzureichend geschützt
wurde, resultieren abenteuerliche Behauptungen. Einige der Zeitzeugen
schlussfolgern vor der Kamera gar, nicht die RAF, sondern Stasi-Agenten
oder gedungene Killer westdeutscher Kapitaleliten wären hier am Werk
gewesen. Doch die Doku liefert keinen einzigen Beleg dafür, dass andere
Mächte als die RAF Rohwedder am 1. April 1991 im Obergeschoss seines Hauses
in Düsseldorf mit einem Schuss durchs Fenster getötet haben. Zumeist ältere
Herren geben in dieser Serie die Profiler und spekulieren doch nur oft wild
vor sich hin.
Rohwedder wurde am 1. April 1991 um 23.30 Uhr nachts aus über 60 Metern
Entfernung vom gegenüber liegenden Schrebergarten-Grundstück aus
erschossen. Dort ließen die Täter einen Klappstuhl, ein Handtuch, drei
Patronenhülsen, Zigarettenkippen sowie ein Bekennerschreiben der Roten
Armee Fraktion (RAF) zurück. „Wer nicht kämpft, stirbt auf Raten“, so der
einleitende Satz der RAF-Erklärung, gezeichnet vom „Kommando Ulrich
Wessel“.
## Zweifelsfrei die RAF
Rainer Hofmeyer, der damalige Chef der Abteilung zur Bekämpfung des
Linksterrorismus im Bundeskriminalamt (BKA), gehört zu denjenigen, die es
auch heute zweifelsfrei der RAF zuordnen. Die drucktechnischen Eigenheiten
des RAF-Signets hätten dies zweifelsfrei ergeben. Die Filmemacher scheinen
ihm nicht zu glauben. In nachgestellten Szenen zeigen sie, wie (ehemalige)
staatliche Geheimdienstagenten-Ost oder -West Rohwedder aufgelauert haben
könnten. Diese Motive werden im Laufe des Mehrteilers verstärkt
eingespielt.
Auch dass auf dem Handtuch am Tatort ein Haar sichergestellt wurde, ficht
die Regisseure wenig an. Es konnte später per DNA-Verfahren dem in Bad
Kleinen nach einer Auseinandersetzung mit der Polizei 1993 gestorbenen
RAF-Mitglied Wolfgang Grams zugeordnet werden. Fiktiv inszenierte Bilder
legen nahe, Agenten könnten das Haar als Fehlfährte platziert haben. Und
das RAF-Papier auch gleich noch am Tatort abgelegt haben.
Doch die RAF brauchte ziemlich sicher keine Ghostwriter. Tat und Erklärung
sind für sie durchaus stringent. Die RAF wollte durch den Mord an Rohwedder
die aufkommende schlechte Stimmung in der früheren DDR für sich nutzen. Der
Duktus des Bekennerschreibens, auch die sie begleitenden Plaudereien in der
damaligen antiimperialistischen Szene, alles spricht für eine Urheberschaft
der sogenannten dritten Generation der RAF. Die „Rohwedder“-Doku versucht
so ziemlich jede Kausalität in ihr Gegenteil zu verkehren.
Auch diese: Laut kriminaltechnischer Untersuchung wurde beim Rohwedder-Mord
dasselbe Gewehr benutzt wie beim Anschlag der RAF auf die US-Botschaft
sechs Wochen zuvor in Bonn-Bad-Godesberg. Durch den Anschlag auf die
US-Botschaft im Februar 1991 wollte die RAF ihre „Solidarität mit den
Völkern des Nahen Ostens“ kundtun, [1][getreu ihrer antiimperialistischen
Logik.] Die US-Koalitionstruppen hatten gerade Kuwait von Saddam Husseins
irakischen Besatzungstruppen befreit. Warum auch der Angriff auf die
US-Botschaft nur vorgetäuscht worden sein soll, einen Nachweis für die
steile These spart sich die Doku.
## Gespenst der Medien
Die RAF hat sich 1998 aufgelöst. 1993 wurde sie durch die Heranführung des
V-Mannes Klaus Steinmetz an ihre Kommandoebene stark geschwächt. Grams
starb, Birgit Hogefeld wurde in Bad Kleinen verhaftet. Doch die meisten
Mitglieder der dritten Generation konnten bis heute den Fahndern
entwischen. Dennoch ist sie kein „Phantom“, in das man retrospektiv
hineintun kann, was man will. Sie hat auch tatsächlich (wie auch [2][andere
bewaffnete linken Formationen der alten Bundesrepublik]) die
Ostblockstaaten sowie postkoloniale Diktaturstaaten als Ruhezone,
Transiträume und für die Reproduktion genutzt. Auch Kollaborationen
arabischer und westdeutscher Extremisten sind bekannt.
Die Netflix-These einer direkten Steuerung oder Übernahme der RAF durch
Dienste anderer Staaten (oder gar westdeutscher Kapitalfraktionen) gehört
aber nach derzeitigen Kenntnisstand eindeutig ins Reich der Fiktionen.
25 Sep 2020
## LINKS
[1] /Kraushaar-ueber-linken-Antizionismus/!5072007
[2] /Prozess-gegen-Revolutionaere-Zellen/!5083603
## AUTOREN
Andreas Fanizadeh
## TAGS
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