# taz.de -- Netflix-Serie „Rohwedder“: Die Brillenfabrik der Frauen | |
> In der Netflix-Serie „Rohwedder“ geht es um den Mord am Treuhandchef 1991 | |
> – aber auch um Frauen, die während der Wende ihre Jobs verloren. | |
Bild: Treuhand-Präsident Detlev Rohwedder wollte „den Sozialismus aus den Be… | |
Gerade läuft bei dem Streaminganbieter [1][Netflix der Vierteiler | |
„Rohwedder“]. Es geht darin um die Frage, wer am 1. April 1991 den | |
Präsidenten der Treuhandanstalt ermordet hat. | |
Alles Wissenswerte dazu finden Sie in dem [2][lesenswerten taz-Text] meines | |
Kollegen Andreas Fanizadeh. Worüber ich hier schreiben möchte, sind die | |
ostdeutschen Frauen, die in dieser Dokumentation zu sehen sind. An Männern | |
mit beamteter Anzugbrust und der Attitüde westdeutscher Bescheidwisser gibt | |
es darin keinen Mangel. | |
Es sind nämlich die Szenen mit den Frauen, die nach dreißig Jahren immer | |
noch unter die Haut gehen. Sie, deren Betriebe [3][von der Treuhand | |
verkauft] oder geschlossen werden, schauen in die Kamera. Sie haben Angst, | |
sie sind aggressiv, manche weinen. Es sind andere Bilder als die von den | |
tuckernden Trabis und den feiernden Menschen, die wir uns so gern | |
anschauen. Die Wende scheint ja eine einzige Party gewesen zu sein. Aber so | |
war es eben nur einen historischen Moment lang. | |
Die wirtschaftlichen Folgen der Wiedervereinigung setzten 1990 unmittelbar | |
ein. Sie waren im Osten konkret und nicht gemildert durch Erfahrungen, | |
Sicherheiten oder Arbeitnehmerinnenrechte. Detlev Rohwedder, der vermutlich | |
nicht einmal der hartherzigste Abwickler war, nannte diesen Vorgang „den | |
Sozialismus aus den Betrieben ausschwitzen“. | |
## Panische Gesichter | |
Als ich am Wochenende auf meinem Sofa lag und diesen ratlosen und | |
verzweifelten Frauen aus den Kombinaten und Volkseigenen Betrieben, den | |
Handwerksbetrieben und Genossenschaften in die panischen Gesichter schaute, | |
fiel mir wieder „Die Brille“ ein. „Die Brille“ war bis 1990 ein | |
Produktionsbetrieb der Optischen Werke Rathenow (ROW). | |
In dem Haus am Rande einer Stadt in der Altmark arbeiteten sechzig Frauen – | |
und ihre zwei Chefs. Die Frauen montierten Brillengestelle – davon | |
verstanden sie viel. Sie feierten den Frauentag und Weihnachten, gaben | |
Urlaubs- und Geburtstagslagen. Bis die Treuhand ab 1990 damit begann, den | |
Sozialismus aus ihnen herauszuschwitzen, indem sie ROW an Fielmann | |
verscherbelte. | |
Für die Frauen bedeutete dies, dass ihre Produktionsstätte geschlossen und | |
alle entlassen wurden. Produzierendes Gewerbe gibt es bis heute nicht mehr | |
in dem Ort. Das Haus heißt immer noch „Die Brille“. An die sechzig Frauen | |
und ihre Chefs erinnern heute nur noch ein paar Schwarz-Weiß-Fotos. | |
Ostdeutsche Normalität. | |
Das Wehklagen von einst ist längst verhallt – die Angst und die | |
Ratlosigkeit, das Ausprobieren, das Hoffen und die Enttäuschungen. Schwamm | |
drüber. Aber neulich, als ich vor den sechzig verlassenen Fahrradständern | |
der „Brille“-Frauen stand, fragte ich mich, wohin die Menschen von damals | |
all ihren Frust gesteckt haben. Warum nur so wenige durchgedreht sind. Wer | |
sich heute über Jammerossis wundert, sollte sich besser mal fragen, welche | |
Sorte von Gefühlen damals, als der Sozialismus ausgeschwitzt werden sollte, | |
einfach runtergewürgt wurden. | |
28 Sep 2020 | |
## LINKS | |
[1] https://www.netflix.com/de/title/81022994 | |
[2] /Netflix-Doku-zu-Rohwedder-Attentat/!5714278/ | |
[3] /Historiker-ueber-die-Treuhand/!5517592/ | |
## AUTOREN | |
Anja Maier | |
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