| # taz.de -- Sprachprofiler über ihre Arbeit: „Spannend ist das Unbewusste“ | |
| > Was verrät Sprache über uns? Mit dieser Frage beschäftigen sich Leo | |
| > Martin und Patrick Rottler professionell – und treten damit öffentlich | |
| > auf. | |
| Bild: Patrick Rottler (l.) und Leo Martin bei der Arbeit | |
| taz: Herr Martin, Herr Rottler, fangen wir an mit: „Servus, ihr lieben | |
| Leute, ist euch klar, wie meine psychische Konstitution ist und wann ich | |
| kriminell werden könnte?“ Was wissen Sie damit über mich? | |
| Leo Martin: Das „Servus“ könnte das Schlüsselwort sein, das uns auf eine | |
| Fährte, vielleicht eine falsche locken soll. Aus einem Satz oder einem Wort | |
| etwas abzuleiten, funktioniert beim Sprachprofiling allerdings nicht. Wir | |
| brauchen immer eine Textmenge, um zuverlässige Aussagen zu machen. Je mehr | |
| Text, desto besser. Nur wenn Sprachspuren stimmig zueinanderpassen, dürfen | |
| wir Hypothesen bilden. | |
| Patrick Rottler: Wir suchen nach Merkmalen, die systematisch sind, die sich | |
| durchziehen, die immer wieder vorkommen. Einzelne Merkmale sind Indiz, | |
| müssen aber überprüft werden. Das „Servus“ als Hinweis nach Bayern ist | |
| natürlich interessant, aber wenn außenrum nichts mehr vorkommt, ist es | |
| vielleicht eher die falsche Fährte. Ein anderes Beispiel, wie es einem in | |
| anonymen Briefen, vielleicht einem Drohbrief begegnen kann: ‚Du haben nur | |
| eine Chance!!‘ So was ist ein ganz klassisches Muster, entsprechend dem, | |
| was ein deutscher Muttersprachler glaubt, wie jemand, der nicht | |
| Muttersprachler ist, schreiben würde. | |
| Leo Martin: Spannend ist: Sobald es um die Forderung geht, was ein | |
| Erpresser möchte, wird das Deutsch besser. Ein Täter, der den Ausländer nur | |
| spielt, will bei seiner Forderung dann sehr genau verstanden werden. Oder | |
| am Ende von Texten, oft bei langen Texten, fallen die Täter irgendwann aus | |
| den Mustern – was auch immer die gelegten Verstellungsspuren sind, Verb im | |
| Infinitiv oder Ähnliches. | |
| Fehler, selbst wenn gezielt angewendet, sind also besonders vielsagend? | |
| Leo Martin: Sie müssen ja irgendwo herkommen. Prinzipiell resultieren sie | |
| aus der Grammatik der Muttersprache. „Wenn ich ein Kind war, ',when I was a | |
| child: das wäre ein nachvollziehbarer Fehler. Wenn man bei Fehlern der | |
| Grammatik Systematik erkennen kann, ist alles fein, wenn die nicht da ist, | |
| können wir von Verstellung ausgehen. | |
| Aufmacher bei Ihren Veranstaltungen ist: „Internet – Hate-Mail: Wenn Worte | |
| töten“. Ist das nicht ein bisschen übertrieben – tötende Worte? | |
| Leo Martin: Einer unserer Aufhänger ist der Fall [1][Dr. Lisa-Maria | |
| Kellermayr]. Zur Coronazeit ist sie als österreichische Landärztin medial | |
| sehr sichtbar geworden. Dafür ist sie von Maßnahmengegnern angegriffen | |
| worden. Diese Angriffe haben sie in den Suizid getrieben, hier haben Worte | |
| getötet. Diese Wirkung von Worten, dass Worte und Formulierungen nicht egal | |
| sind, sondern immer einen Effekt haben aufs Gegenüber: Das wollen wir | |
| deutlich machen. | |
| Patrick Rottler: Unabhängig von diesem Extremfall haben wir es häufiger mit | |
| Rufmord zu tun. | |
| Was genau ist Rufmord? | |
| Leo Martin: Wenn ein anonymer Absender über ein anonymes Profil Dinge | |
| behauptet, die nicht zutreffen. Es ist eine der Konstellationen, mit denen | |
| wir uns regelmäßig beschäftigen. | |
| Wir? | |
| Patrick Rottler: In den meisten Fällen sind wir Teil einer Taskforce in | |
| Unternehmen, wo dann auch ein Jurist bewertet, inwieweit es strafbar ist, | |
| was geäußert wurde, oder ob ein berechtigtes Interesse vorliegt, mit uns | |
| zusammenzuarbeiten. | |
| Leo Martin: Um bei Hetzkampagnen oder Drohbriefen den Nachweis zu führen, | |
| erstellen wir – bei Beauftragung – Autorenprofile zu anonymen Texten. Immer | |
| im Bereich der Hypothesenbildung: Wie müsste der Autor hinter einem Text | |
| aussehen, wo können wir ihn regional vielleicht verorten? Welcher | |
| Bildungsschicht wird er angehören? Rückschlüsse oder Hinweise lassen sich | |
| manchmal auf einen Altersrang machen. Ganz oft ist es so – und das ist | |
| unsere Hauptaufgabe –, dass in anonymen Texten Informationen auftauchen, | |
| Insiderinformationen, die einfach nicht jeder wissen kann. Dadurch gibt es | |
| einen bestimmten Kreis an Verdächtigen. Wenn wir dann Vergleichstexte | |
| bekommen, können wir in vielen Fällen zuordnen, wer von den Verdächtigen | |
| auch für den anonymen Text verantwortlich ist. | |
| Wie genau geht das vor sich? | |
| Patrick Rottler: Im Unternehmen oder einem ähnlichen Kontext tauchen | |
| anonyme Schreiben auf, die gegen eine Führungskraft schießen. In den Raum | |
| gestellt werden vielleicht Vorwürfe wie Missmanagement, falsche | |
| Personalführung, sexuelle Übergriffe. Das sind die klassischen Vorwürfe. So | |
| ein Schreiben geht dann beispielsweise bei der Personalabteilung ein; oder | |
| es wird an die Medien durchgestochen. Unsere Aufgabenstellung ist dann | |
| herauszufinden, wer ist der anonyme Täter. Sobald wir Verdächtige haben, | |
| werden uns Vergleichstextmaterialien zur Verfügung gestellt. Die brauchen | |
| wir für den Sprachvergleich, um zu analysieren, wie der anonyme Autor mit | |
| Sprache umgeht und wie die Vergleichsperson. Entsprechend Gemeinsamkeiten | |
| oder Unterschieden fertigen wir am Ende ein Gutachten an. | |
| Wenn jetzt also eine Firma, vielleicht ein Medium nach einem Whistleblower | |
| sucht … | |
| Leo Martin: Unser Auftraggeber muss ein berechtigtes Interesse haben. Wird | |
| über einen Whistleblowing-Kanal über Missstände in einem Konzern berichtet, | |
| dann besteht kein berechtigtes Interesse. [2][Dann gilt der Schutz des | |
| Whistleblowers.] Das heißt: kein Fall für uns. Wenn Behauptungen, die | |
| unwahr sind – oder angreifend, beleidigend, verleumdend – auf öffentlichen | |
| Kanälen gespielt werden, wenn so was in große Verteiler hineingeht, dann | |
| sind wir im Bereich der Straftatbestände. Da hat unser Auftraggeber ein | |
| berechtigtes Interesse, und nur dann werden wir tätig. | |
| Lässt sich das überhaupt trennen, ob ein Mensch sich inszeniert oder | |
| wirklich so ist wie seine Sprechweise? | |
| Leo Martin: Es dreht sich im Grunde um die Frage, gibt es so etwas wie | |
| einen sprachlichen Fingerabdruck, der direkt zu einem Täter oder zu einem | |
| Autor führen kann. Die wissenschaftlich korrekte Antwort lautet: Nein, es | |
| gibt keinen sprachlichen Fingerabdruck. Denn der Fingerabdruck der Haut ist | |
| immer einmalig und unveränderbar. So einmalig ist Sprache nicht. Unser | |
| [3][Sprachgebrauch] verändert sich ständig. Der Stil färbt ab, die | |
| Ansprache passt sich an. Wenn du in einer Beziehung mit jemandem lebst, hat | |
| das Effekte, dein Umfeld hat Effekte, dein Bildungsgrad, deine Interessen. | |
| Aber wir kommunizieren in einem gewissen Korridor: Mit Mitte 20 hat sich | |
| die Sprachbildung relativ verfestigt, es haben sich Gewohnheiten unbewusst | |
| etabliert. „Unbewusst“ ist hier der spannende Faktor. Wir treffen eben | |
| nicht bei jeder grammatikalischen Konstruktion – wenn wir Sätze und | |
| Halbsätze bilden, bei jeder Wortwahl – eine bewusste Entscheidung, sondern | |
| folgen unseren Gewohnheiten. Die finden in einer gewissen Range statt. | |
| Diese Range sichtbar zu machen, ist der Job von Patrick. Und das nennt man | |
| dann Ideolekt: ein Sprachgebrauch, der für einen Autor typisch ist. | |
| Patrick Rottler: Wenn wir analysieren, dann auf sechs Ebenen – Satzbau, | |
| Grammatik, Wortwahl, Zeichensetzung, Sprachpsychologie, Textgestaltung. | |
| Verstellungen finden in der Praxis auf einer, maximal zwei Ebenen statt. | |
| Verstellen kann ich aber nur, was mir auch bewusst ist. Und Sprache läuft | |
| eben zum großen Teil unbewusst ab. | |
| Sprachpsychologie? | |
| Patrick Rottler: Mal ganz grob: Da wären Täter, die sind sehr ich-bezogen | |
| und haben nur ihre eigene Perspektive. Da lesen wir viel „ich“, „mir“, | |
| „mir“, „mir“, „mein“, „mein“, „mein“. Und es gibt Täter �… | |
| die mit einer Entschuldigung bereits in den anonymen Text einsteigen und | |
| sich rechtfertigen, warum sie sich anonym äußern: weil sie Bedenken haben, | |
| was ihre Karriere angeht oder ihre Reputation. Das ist ein anderer Fokus | |
| auf das Umfeld. Ein Stück weit sagt das etwas über die Persönlichkeit des | |
| Täters aus. Andere haben einen sehr taktilen, haptischen Sprachstil: „Ich | |
| habe aus der taz entnommen“; „da hat aber die Geschäftsführung ordentlich | |
| zugelangt“. Wieder andere artikulieren sich visueller: „Ich habe in der taz | |
| gesehen … es war auf den ersten Blick erkennbar.“ In manchen | |
| Fallkonstellationen sind solche – unbewusst ablaufenden – Muster extrem | |
| häufig vertreten. | |
| Beim Smalltalk, sagen wir mal Grillen mit den neuen Nachbarn: Wenn jemand | |
| Sie fragt, „was machen Sie so beruflich“, was sagen Sie dann? | |
| Leo Martin: Das hängt davon ab, wie groß meine Lust ist, einen beruflichen | |
| Talk zu führen. Wir machen forensische Linguistik, das heißt, wir werten | |
| für Sicherheitsbehörden, für Unternehmen Drohbriefe, Erpresserschreiben | |
| aus. Dann führst du sofort ein längeres Gespräch. Im anderen Kontext mache | |
| ich mich langweiliger, da sage ich: „Ich mache Führungskräftetrainings.“ | |
| Dann ist der Smalltalk schnell vorbei. | |
| Aber „Ex-Agent“, so wie auf dem Buchumschlag abgedruckt: kann man doch | |
| nicht verschweigen, oder? | |
| Leo Martin: Das erzähle ich nie, wirklich nie. Ich hasse die Frage: „Was | |
| machst du beruflich?“ Weil da immer dieses Bewerten und Taxieren losgeht. | |
| Wenn ich Lust auf ein Gespräch habe, weil mich die Person oder deren Themen | |
| interessieren, schaue ich, dass ich Fragen stelle, Wertefragen, wobei ich | |
| Gemeinsamkeiten in den Vordergrund stelle. Für eine schöne schnelle | |
| Verbindung. So öffnet sich ein Gespräch relativ schnell. Dann kann man am | |
| Ende auch eine Hypothese raushauen: „Du machst was mit Menschen, | |
| irgendetwas im Bildungsbereich?“ | |
| 23 Apr 2024 | |
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