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# taz.de -- Gesetz zum Schutz von Hinweisgebern: Wird Whistleblowing nun einfac…
> Nach viel Streit ist es so weit: Am 2. Juli tritt das
> Hinweisgeberschutzgesetz in Kraft. Was potenzielle
> Whistleblower:innen jetzt wissen sollten.
Bild: Nicht jede, die im Büro pfeift, ist auch gleich eine Whistleblowerin
## 1 Was ändert sich denn ab Juli mit dem Hinweisgeberschutzgesetz?
Menschen, die in Unternehmen oder Behörden Missstände melden möchten, haben
dafür ab dem 2. Juli etwas bessere Bedingungen als zuvor, wenn in
Deutschland das neue [1][Gesetz] in Kraft tritt. Es schreibt Regeln für den
Schutz von und den Umgang mit Hinweisgeber:innen vor. So sollen die
neuen Regeln vor Repressionen schützen und das Hinweisen auf mutmaßliche
Missstände einfacher machen. Dafür müssen in einem ersten Schritt Firmen
mit mindestens 250 Mitarbeitenden und Behörden interne Kommunikationskanäle
einrichten, über die potenzielle Whistleblower:innen ihr Anliegen
schildern können, Unternehmen ab 50 Beschäftigte müssen das ab Dezember.
Bei Verstößen gegen die neuen Regeln sind Bußgelder von bis zu 50.000 Euro
vorgesehen.
## 2 Warum kommt das Schutzgesetz erst jetzt?
Von sich aus hätte die Bundesregierung wohl kaum ein entsprechendes Gesetz
in Angriff genommen. Das jetzige geht auf eine EU-Richtlinie von 2019
zurück. Doch die schwarz-rote Koalition verschleppte zunächst die Umsetzung
in nationales Recht, die EU leitete daraufhin ein
Vertragsverletzungsverfahren ein. Als die Ampel das Vorhaben schließlich in
Angriff nahm, blockierten im Bundesrat die Länder, in denen die Union
mitregiert. Weil das Gesetz zustimmungspflichtig war, landete es
schließlich im [2][Vermittlungsausschuss – und wurde dort noch einmal
abgeschwächt].
## 3 Warum sollen Whistleblower:innen besonders geschützt werden?
Die Whistleblowingfälle, die bekannt werden, sind meist spektakulär. Der
bekannteste ist wohl der des ehemaligen US-Geheimdienstmitarbeiters Edward
Snowden. Sichtbar werden aber auch Fälle, in denen es frühzeitig
Hinweisgeber:innen gebraucht hätte, um wirtschaftlichen oder
gesellschaftlichen Schaden abzuwenden – zum Beispiel beim Skandal um
manipulierte Abgaswerte bei Autoherstellern. Unsichtbar bleiben dagegen
meist Fälle, in denen Whistleblowing gelingt und ein Hinweis dazu führt,
dass Missstände frühzeitig abgestellt oder Probleme gelöst werden.
Der Whistleblowingreport, den die Schweizer Fachhochschule Graubünden
gemeinsam mit der Unternehmensberatung EQS Group erstellt hat, bringt hier
etwas Sichtbarkeit. Er kommt etwa zu dem Ergebnis, dass mehr als ein
Drittel der Unternehmen in Deutschland im Jahr 2020 jeweils mindestens
einen Fall illegalen oder unethischen Verhaltens verzeichnete. Die Studie
beruht auf einer repräsentativen Befragung von Unternehmensvertreter:innen,
ein eventuelles Dunkelfeld könnte also noch dazukommen. Bei fast 80 Prozent
der betroffenen Unternehmen entstand dabei ein finanzieller Schaden.
Gleichzeitig gaben die Unternehmen, die bereits eine Meldestelle für
Hinweisgeber:innen eingerichtet haben, an, dass knapp 45 Prozent der
darüber eingegangenen Meldungen relevant waren.
In der gleichen Größenordnung landeten nicht relevante Meldungen, etwa 10
Prozent seien missbräuchlich gewesen. Missbräuchliche Meldungen seien bei
Unternehmen, die anonyme Kanäle anbieten, nicht häufiger gewesen als bei
Firmen, bei denen der:die Absender:in identifizierbar bleibt.
„Meldestellen können somit als wirksames Instrument erachtet werden, um
Fehlverhalten aufzudecken“, folgern die Autor:innen der Studie.
## 4 Wo liegen die Defizite des neuen Gesetzes?
Einer der Punkte, die auf den letzten Metern der Gesetzgebung noch
abgeschwächt wurden: die Anonymitätsfrage. Ursprünglich sollte es eine
Verpflichtung geben, bei den Kommunikationswegen für
Hinweisgeber:innen auch anonyme Meldekanäle anzubieten. Das ist
weggefallen. Es ist nun also möglich, dass Unternehmen oder Behörden nur
Wege anbieten, bei denen die Hinweisgeber:innen identifizierbar sind,
was eine zusätzliche Hürde bedeuten kann.
Auch eine Pflicht zum Bearbeiten anonymer Hinweise gibt es nicht. „Dass die
Pflicht zum Einrichten anonymer Meldekanäle im Vermittlungsausschuss
wegverhandelt wurde, ist befremdlich“, sagt Louisa Schloussen von
Transparency Deutschland, „schließlich haben deutsche Unternehmen sehr gute
Erfahrungen mit anonymen Meldungen gemacht und auch die Bundesanstalt für
Finanzdienstleistungsaufsicht lobt diese Meldewege“. Die großen
Whistleblowing-Fälle hierzulande wie bei den Finanzskandalen um Cum-Ex oder
Wirecard gingen auf anonyme Hinweise zurück.
Ein weiteres großes Manko sei, dass sich die Hinweisgeber:innen nicht
an die Staatsanwaltschaft wenden dürfen. „Dabei wäre das der naheliegendste
Weg, wenn man etwas mutmaßlich strafrechtlich Relevantes im eigenen
Unternehmen beobachtet.“
## 5 Wird es nun mehr Fälle von Whistleblowing geben?
„Ich kann mir gut vorstellen, dass die Zahl der intern gegebenen Hinweise
steigt und die Angst vor dem Thematisieren von Missständen sinkt“, sagt
Schloussen. Auch der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft
rechnet mit einer steigenden Zahl von Fällen, in denen
Wirtschaftsstraftaten aufgedeckt werden – und in der Konsequenz mit höheren
Schäden bei Policen, die Unternehmen vor durch kriminelle Taten von
Mitarbeitenden oder Dritten verursachten Vermögensschäden schützen.
Doch der Bereich, in dem Mitarbeitende Missstände melden dürfen, ist
begrenzt. So dürfen sie laut Schloussen beispielsweise sämtliche
strafrechtlich relevanten Missstände melden, aber nicht alle aus dem
Bereich des Ordnungsrechts. Für juristische Laien kann eine Einordnung
daher schwierig sein – und im Zweifelsfall ein Argument für die Nutzung
eines anonymen Meldewegs, wenn vorhanden. Außerdem gilt: „Der Bereich der
nationalen Sicherheit und der Geheimdienste ist ausgenommen“, sagt
Schloussen. Ein deutsches Äquivalent zu Edward Snowden wäre also auch mit
der neuen Gesetzgebung nicht geschützt.
## 6 Was sollten potenzielle Hinweisgeber:innen wissen?
Die Unternehmen können das Gesetz recht unterschiedlich umsetzen. Allein
was die internen Meldekanäle angeht, gibt es verschiedene Möglichkeiten:
Per E-Mail, Telefon oder eine der webbasierten Lösungen, die Dienstleister
dafür anbieten? Soll es eine Ombudsperson geben, die Meldungen
entgegennimmt? Bietet der vorhandene Kanal eine anonyme Meldung? Und wie
konkret wird mit eingehenden Hinweisen verfahren? Diese Punkte im Vorfeld
einer Meldung in Erfahrung zu bringen, kann besonders hilfreich sein, wenn
man dem Hinweis einiges an Brisanz beimisst. Dazu kommen externe
Meldekanäle.
„Ich würde mich als erstes nach den internen Meldewegen erkundigen“, rät
Schloussen. Habe man allerdings Grund zu der Annahme, dass eine Meldung
hier nicht gut aufgehoben sei, könne man sich auch an eine externe
Meldestelle wenden, etwa beim Bundesamt für Justiz. Dabei müsse man aber im
Hinterkopf behalten, dass Arbeitgeber in Versuchung kommen könnten, darauf
mit Repressalien zu reagieren. Diese würden zwar einer gerichtlichen
Überprüfung wohl nicht Stand halten – nervenaufreibend sei ein solcher
Rechtsstreit dennoch.
„Von einer direkten öffentlichen Meldung würde ich allerdings abraten,
zumindest, wenn man nicht ganz sicher ist, dass es sich um einen extremen
Fall handelt, etwa um eine Atomkatastrophe“, sagt Schloussen.
1 Jul 2023
## LINKS
[1] https://www.recht.bund.de/bgbl/1/2023/140/VO
[2] https://www.vermittlungsausschuss.de/SharedDocs/pm/2023/005.html
## AUTOREN
Svenja Bergt
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