# taz.de -- Amazon-Serie „El Presidente“: Aus Liebe zum Geld | |
> Genau zur rechten Zeit: Eine Serie über Kommerz und Korruption im | |
> internationalen Fußball am Beispiel der südamerikanischen Verbände. | |
Bild: Paulina Gaitan als Nen und andres Parra in „El Presidente“ | |
Das richtige Timing ist mitunter alles, und noch besser als das richtige | |
Timing ist nur noch das richtig verpatzte Timing. Zwar ist die | |
Fußballserie „El Presidente“ pünktlich zur Fußballeuropameisterschaft | |
fertig geworden – aber das besagte [1][Großereignis aus den bekannten | |
(Corona-)Gründen ausgefallen]. In der Bundesliga wird indes wieder | |
gespielt: vor leeren Rängen. Hätte es noch eines allerletzten Beweises für | |
die Dominanz des Geschäfts über den Sport bedurft, er wäre damit erbracht | |
gewesen. „Aus Liebe zum Sport“ – so der sarkastische Titel einer | |
Dieter-Wedel-Serie, die die zunehmende Kommerzialisierung der | |
Leibesertüchtigung schon Mitte der 1970er Jahre konstatierte – geschieht | |
das nicht. | |
„Dies könnte die typische Geschichte eines Kindes sein, das beim | |
Fußballspielen in einem Slum entdeckt wird, um dann die Welt zu erobern. | |
Aber diese Geschichte haben Sie schon 20-mal gesehen. Dies ist die | |
Geschichte all derer, die jenen Jungen ausnutzen, damit der Ball nie | |
aufhört zu rollen und zu verkaufen“, sagt zu Beginn die Erzählerstimme aus | |
dem Off (auf Spanisch – Amazon Prime zeigt die Serie vorerst nur in der | |
untertitelten Fassung). | |
Sie gehört Julio Grondona (Luis Margani), der 35 Jahre lang Chef des | |
argentinischen Fußballverbands gewesen war und 26 Jahre lang dem | |
Fifa-Exekutivkomitee angehört hatte. 2014 ist er gestorben und das | |
Serien-Off gleichbedeutend mit dem Jenseits, aus dem es sich ganz | |
unbeschwert, also ohne jede Rücksichtnahme plaudern lässt. Ein cleverer | |
narrativer Kniff des für das Drehbuch gemeinsam mit dem oscarprämierten | |
Serienmacher Armando Bó zuständigen Alejandro González Iñárritus, | |
Argentinier wie Grondona. | |
Und auch wenn Grondona, zumindest aus südamerikanischer Perspektive, der | |
Inbegriff des Fußballpräsidenten gewesen sein mag – der Serientitel „El | |
Presidente“ meint einen anderen, der das Präsidentenhandwerk von der Pike | |
auf von seinem – selbstredend überhaupt nicht uneigennützigen – Mentor | |
Grondona erst lernen muss und dessen Präsidentenslum, aus dem er – in einem | |
klapprigen roten Kleinwagen – aufbricht, um die Welt zu erobern, ein | |
chilenischer Provinzklub aus der zweiten Liga ist. | |
Mit dessen Aufstieg in die erste Liga ändert sich alles. Sergio Jadue | |
(Andrés Parra) ist wie Grondona eine reale Person und wie der eine | |
Hauptperson der [2][2015 als Fifa-Gate bekannt gewordenen | |
Korruptionsaffäre], die diese neue Serie also in acht Episoden (von denen | |
Journalisten vorab vier sehen durften) aufrollen will. | |
Die Szenen, in denen Jadue beim Pförtner des nationalen chilenischen | |
Fußballverbands vorfährt, sind als Running Gag konzipiert. Beim ersten Mal | |
steht er noch nicht einmal auf der Liste. Er ist ja gerade eben erst | |
aufgestiegen. Aber die etablierten Funktionäre planen einen Coup, sie | |
suchen eine willfährige Marionette für das Präsidentenamt, sie sagen | |
„Joghurtpräsident“ – da läuft Jadue durch den Bildhintergrund. | |
Dem Glatzkopf mangelt es außer an Charakter auch an Charisma – in seinem | |
Metier eine Qualifikation. Außerdem wird er von Grondona altväterlich | |
protegiert („Sergio, dass etwas von unten kommt, heißt nicht, dass es nicht | |
oben schwimmen kann“) und von einer sehr ehrgeizigen Ehefrau (Paulina | |
Gaitán) angetrieben: „Hast du seine Uhr gesehen? Das ist das Leben, das wir | |
verdienen, Sergio.“ | |
Von wegen Marionette. Sergio Jadue räumt auf seinem gar nicht so langen | |
Marsch durch die Fußballinstitutionen, die als Altherrenrunden in | |
Hinterzimmern gezeigt werden, so manchen Konkurrenten aus dem Weg, auch | |
weil ihn das FBI, das ihm später Zeugenschutz gewähren wird, deckt. Die | |
Geschichte der FBI-Agentin (Karla Souza), die ihn... „anwirbt“ ist das | |
falsche Wort: Erst schmiert sie ihm wie den anderen übergriffigen alten | |
weißen Fußballmännern als vermeintlich devote Hotelangestellte Honig ums | |
Maul, dann erweist sie sich als um so toughere Chefin im Ring. | |
Die Geschichte der FBI-Agentin ist der zweite, viel langsamer, viel weniger | |
lärmend verlaufende Erzählstrang dieser höchst vergnüglichen Serie, die | |
Erinnerungen an Martin Scorseses „Casino“ weckt, aber mehr noch an Paolo | |
Sorrentino („Il Divo“) geschult ist. Sie wird zusammengehalten von den | |
jenseitigen Weisheiten, wie sie Grondona wechselweise für Jadue parat hat | |
und für uns, das Publikum: „Der Unterschied zwischen einem Dieb und uns? | |
Dass der Dieb Ihnen Ihr Geld gegen Ihren Willen wegnimmt.“ | |
5 Jun 2020 | |
## LINKS | |
[1] /Verlegung-der-Fussball-EM/!5672165 | |
[2] /Nach-Korruptionsskandal-bei-der-Fifa/!5202190 | |
## AUTOREN | |
Jens Müller | |
## TAGS | |
Serien-Guide | |
Amazon Prime | |
Fußball | |
Schwerpunkt Boykott Katar | |
Doku | |
Serien-Guide | |
Netflix | |
Diversity | |
Schwerpunkt Rassismus | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Buch über die Fußball-Industrie: Den modernen Fußball lesen | |
Im Buch „Um jeden Preis“ befasst sich Sportjournalist Christoph Biermann | |
mit dem Geschäft um den Fußball. Sein Blick fällt nüchtern aus. | |
Doku-Serie „Bild. Macht. Deutschland?“: Rumsitzen im Krawallklub | |
Mit einer neuen Dokuserie will der Streamingdienst Amazon Prime Einblicke | |
in den Alltag der „Bild“ liefern. Ganz auf geht das nicht. | |
BBC-Fernsehserie „Normal People“: Ganz nah dran | |
In der BBC-Serie „Normal People“ nimmt die Intimität der beiden Hauptrollen | |
viel Platz ein. Das funktioniert erstaunlich gut. | |
Netflix-Serie „Ladies Up“: Wenn über Scheidungen gelacht wird | |
In Indien wächst die Comedy-Szene und der Streamingmarkt. Gemeinsam bieten | |
sie eine Alternative zu häufig patriarchalen Bollywood-Filmen. | |
Diversity im Privatfernsehen: Entscheidend ist die Klasse | |
Soziale Herkunft von Medienschaffenden spielt in der Branche eine | |
untergeordnete Rolle. Dabei hat sie Einfluss auf die späteren Inhalte | |
TV-Serie „The Marvelous Mrs. Maisel“: Benennt es doch! | |
Die dritte Staffel der Amazon-Prime-Serie bildet Rassismus ab, spricht ihn | |
aber nicht offen an. So bleibt „Mrs. Maisel“ an der Oberfläche. |