# taz.de -- Südafrika in der Krise: Feiertag ohne Feierlaune | |
> Nach über einem Jahr Coronakrise hat in Südafrika die Arbeitslosigkeit | |
> ein Rekordniveau erreicht. Die Hoffnung in die Zukunft ist geschwunden. | |
Bild: Jugendliche in Alexandra, Johannesburg | |
AMSTERDAM taz | Der 16. Juni ist in Südafrika ein Feiertag – der Tag der | |
Jugend („Youth Day“). Denn am Morgen des 16. Juni 1976 begann im großen | |
schwarzen Township Soweto bei Johannesburg der Aufstand von rund 20.000 | |
Schüler*innen gegen die neu verordnete Unterrichtssprache Afrikaans und | |
insgesamt gegen die viel schlechtere Erziehung „schwarzer“ Kinder und | |
Jugendlicher in überfüllten Klassen. | |
Was zunächst gewaltlos begann, eskalierte, als Polizei und Militär nicht | |
nur mit Tränengas vorgingen, sondern ohne Vorankündigung auch mit scharfer | |
Munition. Als einen der ersten von am Ende über 200 Erschossenen und 4.000 | |
Verletzten traf es den zwölfjährigen Hector Peterson, der noch auf dem Weg | |
ins Krankenhaus starb. | |
Das Foto, auf dem ein junger Mann den blutenden Jungen wegträgt, daneben | |
seine vor Verzweiflung schreiende Schwester, ging um die Welt. Bei der | |
Namensgebung der [1][Hector-Peterson-Oberschule] in Berlin-Kreuzberg 1989 | |
sagte seine Schwester Antoinette Peterson: „Weil er seine Freunde nicht im | |
Stich lassen wollte, lief er mit. An Politik war er eigentlich gar nicht so | |
interessiert.“ | |
Wie erleben junge Leute diesen Gedenktag in Südafrika heute, im [2][zweiten | |
Jahr von Corona]? „Was sollen wir feiern?“, fragt Aphiwe, ein 20-Jähriger | |
aus Crossroads, eines der wegen Gang-Kriminalität besonders berüchtigten | |
Townships bei Kapstadt, und erklärt: „Ich habe einen guten Schulabschluss, | |
aber ich kann seitdem wie die meisten meiner Freunde keinen Job finden, von | |
einer Ausbildung ganz zu schweigen.“ Die 17-jährige Thembisa ergänzt: „Ich | |
ging so gern zur Schule. Aber seit Mutter krank ist, muss ich mich um meine | |
vier jüngeren Geschwister kümmern. Mit Corona ist vieles nur schlimmer | |
geworden.“ | |
## Die Geduld der Jungen wird arg strapaziert | |
Auch schon vor Corona war die Jugendarbeitslosigkeit eines der größten | |
Probleme im neuen Südafrika. Allein von 2013 bis 2019 stieg der Anteil | |
derjenigen ohne Arbeit unter den 15–24-Jährigen von 52 Prozent auf 58 | |
Prozent. Heute sind es dank der Coronawirtschaftskrise landesweit über 63 | |
Prozent, in armen Wohngegenden noch mehr. | |
Die Arbeitslosenquote in Südafrika insgesamt ist im ersten Quartal 2021 auf | |
einen Rekordwert von 32,6 Prozent gestiegen: 15 Millionen Beschäftigten | |
stehen 7,2 Millionen registrierte Arbeitslose gegenüber. | |
Was 1994 mit viel gutem Willen unter Südafrikas erstem allgemein gewählten | |
Präsidenten [3][Nelson Mandela] begann, ist durch seine Nachfolger | |
[4][Thabo Mbeki] (1999–2008), der zu lange die Aidskrise ignorierte, und | |
[5][Jacob Zuma] (2009–2018), der neun Jahre Veruntreuung von Staatsgeldern | |
vorführte, ins Stocken geraten. | |
Der jetzige Präsident [6][Cyril Ramaphosa] arbeitet beharrlich gegen | |
Korruption und für mehr sozialen Ausgleich zwischen der Minderheit von sehr | |
Wohlhabenden, zu denen längst nicht mehr nur „Weiße“ gehören, und der | |
Mehrheit der extrem Armen. Doch wie lange wird die Geduld der jungen | |
Generation noch reichen? | |
## Gesundheitsminister vorläufig suspendiert | |
Ein tragisches Indiz von Ernüchterung ist die stetig sinkende | |
Wahlbeteiligung junger Leute. Bei den ersten freien Wahlen 1994 waren noch | |
86 Prozent aller Südafrikaner*innen, auch und gerade unter den jungen | |
Erwachsenen, zu den Wahlurnen gegangen. Bei den letzten Wahlen im Mai 2019 | |
beteiligten sich weniger als die Hälfte, bei den Erstwählern waren es unter | |
20 Prozent. | |
Es war unter diesen Vorzeichen für viele ein Schock, als Journalisten vor | |
Kurzem dem geachteten Gesundheitsminister Zweli Mkhize vorwarfen, dass sein | |
Ministerium einen Vertrag über 150 Millionen Rand (rund 9 Millionen Euro) | |
mit einer Kommunikationsfirma geschlossen hatte, die nachweislich kaum | |
Dienste zur besseren Information der Bevölkerung zu Corona lieferte, | |
sondern ihm angeblich persönlich nahegestanden hatte. | |
Mkhize selbst behauptet, dass er über den Vorgang nicht ausreichend | |
informiert war und selbstverständlich veruntreute Gelder zurückgezahlt | |
werden müssten. Ramaphosa hat ihn vorläufig suspendiert, sein Posten wird | |
nun von der Tourismusministerin mit geleitet. | |
Dies ist in vieler Hinsicht fatal, denn seit letzter Woche hat im | |
südafrikanischen Winter auch offiziell die dritte Coronawelle begonnen – | |
die Zahl der Neuinfektionen verdoppelte sich auf inzwischen über 9.000 am | |
Tag, täglich werden über 100 neue Tote gezählt. Gleichzeitig ist die | |
endlich angelaufene Impfkampagne mit immer neuen Lieferproblemen | |
konfrontiert. Nicht zu Unrecht sprach Präsident Ramaphosa als Gast auf dem | |
jüngsten G7-Gipfel davon, dass eine „Impf-Apartheid“ zwischen Arm und Reich | |
in der Welt bestehen bleibt, so lange arme Länder auf Almosen angewiesen | |
sind und Patentschutz-Gesetze die Eigenproduktion von Impfstoffen | |
verhindern. | |
15 Jun 2021 | |
## LINKS | |
[1] https://hps-berlin.schule/ | |
[2] /Corona-Impfungen-in-Suedafrika/!5772501 | |
[3] /Nachruf-auf-Nelson-Mandela/!5053238 | |
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[5] /Portraet-Jacob-Zuma/!5175505 | |
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## AUTOREN | |
Lutz van Dijk | |
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