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# taz.de -- Corona in Südafrika: Gegen Skepsis hilft kein Vakzin
> Covid-Impfstoff gibt es in Südafrika inzwischen genug. Doch die Menschen
> halten sich zurück – das Misstrauen gegenüber dem Staat sitzt tief.
Bild: Sie hält den Arm hin: Eine Frau bekommt in Johannesburg eine Impfung geg…
Kapstadt taz | Impfstoffe, die in Kühlschränken liegen, beenden keine
Pandemie. Die Vakzine, die für Silindile und Nicolene bereitstünden,
schwimmen weiterhin in gekühlten Glasampullen, anstatt die beiden
Südafrikanerinnen gegen [1][Covid-19] zu immunisieren. „Für mich geht es
vor allem um Vertrauen. Es gibt in diesem Land nie etwas kostenlos – vor
allem nicht von der Regierung“, erklärt die 33-jährige Silindile ihre
Skepsis gegenüber der Covid-19-Impfung.
Sie sitzt mit ihrer Mitbewohnerin Nicolene auf dem Balkon ihrer
Wohngemeinschaft in Kapstadt und schaut in die Abendsonne. Die 36-jährige
Nicolene hat Rotwein aufgemacht. Zwischen dem Gebell der Nachbarhunde ist
das Rauschen der Brandung zu hören. Der Strand liegt fünf Fußminuten
entfernt. Ein guter Ort, um eine Pandemie auszusitzen in einer Stadt, in
der über eine Million Menschen in Townships leben.
Seit anderthalb Jahren arbeiten beide von zu Hause, Nicolene für eine Firma
im Bereich der Versicherungsmathematik, Silindile für einen
Glücksspielanbieter. Gäste begrüßen sie nur per Ellbogen. Die Wohnung haben
beide heute wieder nicht verlassen. „Ich kenne ein paar Leute, die an Covid
gestorben sind“, sagt Nicolene. Das Impfangebot der Regierung lehnen sie
und Silindile dennoch ab.
Dabei wollte Präsident Cyril Ramaphosa eigentlich eine
Immunisierungsoffensive starten, jetzt wo endlich genügend Impfdosen
Südafrika erreichen. 300.000 Impfungen pro Tag rief er als Ziel aus. Bis
Dezember möchte das Gesundheitsministerium 70 bis 90 Prozent der
erwachsenen Bevölkerung mindestens eine Dose verabreichen.
## Kaum Impfungen am Wochenende
Nur zieht die Bevölkerung offenbar nicht mit. Bisher wurde lediglich an
drei Tagen die Marke von 270.000 Impfungen geknackt. An den meisten
Wochentagen lag sie jedoch weit darunter und sank am 13. August sogar auf
nur 145.000 Impfungen. Erschwerend kommt hinzu, dass an Wochenenden kaum
geimpft wird. An Samstagen und Sonntagen weist die Regierungswebseite
lediglich 10.000 bis 30.000 Impfungen aus.
Es bleiben nur noch drei Monate, um die Impfquote von aktuell 23 auf die
angestrebten 70 Prozent zu heben. Umfragen von mehreren
Meinungsforschungsinstituten in diesem Jahr machen der Regierung wenig Mut
auf Besserung. Die Umfrageergebnisse zur Impfbereitschaft schwanken
zwischen 43 und 76 Prozent, insgesamt weisen sie aber auf eine ausgeprägte
Impfskepsis in Südafrika hin.
„Ich bin keine Impfgegnerin“, stellt Nicolene klar. Niemand werde sie mit
Parolen und Plakaten auf der Straße sehen. Tatsächlich genießen Impfungen
in Südafrika eigentlich ein hohes Ansehen. Der „Wellcome Global Monitor“,
eine internationale Umfrage zu Gesundheitsthemen, ermittelte 2018, dass
mindestens vier von fünf Menschen in Südafrika Impfungen für sicher und
auch effektiv halten. Was ist bei den Covid-19-Impfungen anders?
Nicolene und Silindile fehlen Erfahrungswerte zu langfristigen
Nebenwirkungen, denen sie vertrauen können. „Ich glaube nicht, dass die
Impfung momentan schon sicher ist. Ich habe das Gefühl, wir sind immer noch
in einer Testphase. Ich brauche mehr Zeit“, sagt Nicolene. „Wir wissen doch
gar nicht, was in dem Impfstoff ist“, ergänzt Silindile und betont, dass
sie unbedingt Mutter werden wolle. „Ich habe von niemandem gehört, der sich
impfen ließ, schwanger wurde und ein gesundes Kind bekommen hat.“
## Rücktritt des Gesundheitsministers
Derselbe Behördenapparat, der sie momentan von der Sicherheit des
Impfstoffs überzeugen will, stellt ihre Interessen als Bürgerinnen oft
hintan. „Wir haben so viel Korruption in diesem Land. Es war nie anders. Da
verlierst du das Vertrauen in die Menschen“, erklärt Silindile.
Erst Anfang August musste der damalige Gesundheitsminister Zweli Mkhize
seinen Hut nehmen, nachdem bekannt geworden war, dass er Staatsverträge an
Personen aus seinem eigenen Umfeld vergeben hatte. Noch zu Amtszeiten hatte
Mkhize zur Impfung aufgerufen und die Wirksamkeit des Vakzins von Johnson &
Johnson gepriesen. Er war nicht der einzige Politiker, der sich an
öffentlichen Geldern zur Pandemiebekämpfung bereicherte.
Dass die Impfstoffe auch von internationalen Regierungen und Organisationen
wie der Weltgesundheitsorganisation als sicher eingestuft und werdenden
Müttern empfohlen werden, ändert die Entscheidung der beiden
Südafrikanerinnen nicht.
Auch eine im Juli durchgeführte Erhebung der Universität von Johannesburg
ermittelte Misstrauen in politische Institutionen als einen der wichtigsten
Gründe für die Ablehnung der Covid-Impfung. Silindile gesteht, dass sie
womöglich anders über die Impfung denken würde, wenn sie beispielsweise in
Norwegen lebte.
## Kostenloser Transport zu Impfstellen
Nicolenes Familien- und Freundeskreis befürwortet die Impfung mehrheitlich.
Dagegen öffnet sich in Silindiles Familie eine Generationenschere. Ihre
26-jährige Schwester zögere, ihre Mutter und die älteren Familienmitglieder
seien geimpft. „Ich glaube, junge Leute wollen die Impfung nicht, weil sie
ihrer Regierung grundsätzlich misstrauen“, sagt Silindile. Der Frust sitzt
tief. Denn während sich viele Politiker*innen an Steuergeldern
bereichern, [2][haben 44 Prozent der unter 35-Jährigen weder Arbeit noch
sind sie in Ausbildung].
Je jünger die Befragten, desto stärker die Impfskepsis, das bekräftigen
auch die Meinungsforscher*innen. Ramaphosas Regierung sollte besonders ein
Trend aufhorchen lassen. Während die Impfbereitschaft generell offenbar
zunimmt, sinkt sie bei den 18- bis 25-Jährigen. Für diese Altersgruppe
hatte die Regierung erst am 20. August die Impfung freigegeben.
Das Gesundheitsministerium präsentierte dem Parlament nun eine Strategie,
die die Nachfrage nach Impfungen erhöhen soll. Die Grundpfeiler bilden ein
kostenloser Transport zu Impfstellen und eine breit angelegte
Informationskampagne. Dabei soll über Kooperationen mit Tiktok-Influencern
die junge Generation erreicht werden. Reicht das, um genügend
Südafrikaner*innen in den nächsten Monaten von der Sicherheit der
Impfung zu überzeugen?
„Ich denke, in einem Jahr verstehen wir vielleicht besser, wie die Impfung
wirkt“, meint Silindile. Auch Nicolene schließt eine Impfung in nächster
Zeit aus. Die Vakzine der beiden Mitbewohnerinnen werden wohl noch eine
Weile ungenutzt im Kühlschrank liegen.
31 Aug 2021
## LINKS
[1] /Delta-Variante-in-Suedafrika/!5783321
[2] /Suedafrika-in-der-Krise/!5774973
## AUTOREN
Tycho Schildbach
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