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# taz.de -- Coronapandemie in Afrika: Impfquote 0,5  Prozent
> Zu wenig Testmöglichkeiten, schlecht ausgestattete Kliniken und
> Impfstoffmangel: In vielen afrikanischen Ländern schlägt Covid-19 jetzt
> richtig zu.
Bild: Kenia erhielt über eine Million Impfdosen, die schnell an medizinisches …
Nairobi taz | Drei Männer laden Impfdosen von einem Laster vor einer Reihe
von kleinen Geschäften in Ongata Rongai. Keiner trägt Mundschutz, so wie
viele auf der Straße in dem Pendlerstädtchen, das ein paar Kilometer
außerhalb der kenianischen Hauptstadt Nairobi liegt. Als ein Passant die
Männer darauf anspricht, sich selbst und andere durch das Tragen einer
Maske gegen Covid-19 zu schützen, erntet er lautstarkes Lachen. Einer der
Männer sagt: „Wir sind Afrikaner, wir sterben nicht an Covid, das
überlassen wir den Weißen.“
Schaut man sich die offiziellen Zahlen an, erscheint das beinahe glaubhaft.
Laut offiziellen Zahlen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) vom 1. Juni
gab es auf dem gesamten afrikanischen Kontinent seit Anfang der Pandemie
etwas über 4,8 Millionen Corona-Infektionen. Das sind nur 2,9 Prozent der
weltweiten Fälle. In Afrika gab es bisher etwa 130.000 registrierte
Covid-19-Todesfälle – bei 1,37 Milliarden Einwohnern.
„Die Zahlen von Afrika stimmen natürlich nicht“, sagt Professor Khama Rogo,
Arzt und Mitglied eines Expertenausschusses zu Covid-19 im Westen Kenias.
„Es wird hier kaum getestet. Die meisten der durchgeführten Tests erhielten
Menschen bei Verdacht auf eine Covid-Erkrankung oder Reisende. Wenn aber in
meinem Dorf zwei Bewohner an Atemnot sterben, wird nicht sofort massiv
getestet.“
Das gilt nicht nur für Kenia. In der Demokratischen Republik Kongo sind 32
Mitglieder des Parlaments an Covid-19 gestorben, das sind 5 Prozent der 608
Vertreter. Angenommen, es würden 5 Prozent der 86 Millionen Kongolesen an
den Folgen einer Covid-19-Erkankung gestorben sein, wären das 4,3 Millionen
Tote. Jedoch lautet die offizielle Zahl der Todesfälle von behördlicher
Seite 786 Menschen – wenn auch vor dem Hinweis, dass kaum getestet werde.
## Große Teile der Bevölkerung leben auf dem Land
Coronatests sind teuer. In Kenia kostet ein PCR-Test zwischen 40 und 100
Euro, in Nigeria zwischen 70 und 80 Euro und in Südafrika rund 70 Euro.
Ungefähr 40 Prozent der gesamten Bevölkerung Afrikas leben unter der
Armutsgrenze von etwas mehr als 1 Euro pro Tag.
Jedoch liege es nicht nur am Mangel an Testmöglichkeiten, dass die
offiziellen Zahlen der Corona-Infektionen in Afrika viel niedriger sind,
sagt der kenianische Professor Rogo. „Afrika ist nicht immun gegen
Covid-19, die Krankheit kam hier erst später an. Würde man die Ausbreitung
des Virus mit einem Marathon vergleichen, würden China und der Westen zwei
Stunden früher als Afrika gestartet sein. Daraus können wir schließen, dass
das, was im Westen passiert ist, hier noch geschehen wird. Wahrscheinlich
bald.“
Tatsächlich wurde Afrika erst später von der Pandemie getroffen, auch weil
die meisten Menschen weniger ins Ausland reisen und die Bevölkerung auf dem
Land nur selten in Großstädte kommt. In Uganda zum Beispiel leben drei
Viertel der Bevölkerung auf dem Land. Doch verbreite sich Covid-19 jetzt
auch auf dem Land in Afrika, sagt Professor Rogo, der jahrelang als
medizinischer Experte für die Weltbank arbeitete. „Das Leben dort spielt
sich oft weit entfernt von den Behörden und den Medien ab.“
Derweil erleben eine Reihe von Ländern schon jetzt einen erneuten Anstieg
der Covidfälle zwischen 20 und 30 Prozent. So stieg die Zahl der
Infektionen in Uganda innerhalb einer Woche um 131 Prozent, insbesondere in
Schulen und bei Gesundheitspersonal. Derzeit sind in Uganda, wo gerade mal
35.000 von 45 Millionen Einwohnern vollen Impfschutz genießen, alle
Intensivbetten mit Covid-19-Patienten belegt – so eine Auskunft der
Regierung. Seit dieser Woche sind auch Ugandas Schulen wieder geschlossen,
Überlandreisen werden ab Donnerstag verboten.
## Weniger als ein Intensivbett pro 100.000 Einwohner
Die Regierung der Demokratischen Republik Kongo rief am vergangenen
Donnerstag offiziell den Beginn der „dritten Welle“ aus, vor allem in der
Hauptstadt Kinshasa, wo viele Menschen auf engstem Raum ohne sanitäre
Einrichtungen leben. Ein Besuch des belgischen Königs in Kinshasa zum
Unabhängigkeitsjahrestag am 30. Juni wurde abgesagt.
Die meisten Länder sind nicht ausreichend ausgestattet, um einer neuen
Welle der Pandemie adäquat zu begegnen. „Viele Krankenhäuser und Kliniken
in Afrika sind nicht imstande, mit einem drastischen Anstieg der Zahl
schwerkranker Patienten fertig zu werden“, warnt Dr. Matshidiso Moeti,
Direktor der Afrika-Abteilung der WHO. In der Hälfte der Länder auf dem
Kontinent gibt es weniger als ein Intensivbett pro 100.000 Einwohner, im
Vergleich dazu hat Deutschland mehr als 25 Betten pro 100.000 Einwohner.
Mechanische Beatmungsgeräte gibt es wenige.
Gleichzeitig ist der Kontinent mit einem Mangel an Impfstoffen konfrontiert
und die Lieferungen nach Afrika sind fast zum Stillstand gekommen. Das
hängt vor allem damit zusammen, dass [1][Indien, der größte
Impfstoffproduzent der Welt] und wichtigster Lieferant Afrikas mit seiner
unter Lizenz produzierten Version des AstraZeneca-Impfstoffs, einen
zeitweiligen Exportstopp eingeführt hat, um die eigene Bevölkerung zu
impfen.
Die USA haben zwar versprochen, 80 Millionen Dosen an die internationale
Covax-Initiative zu liefern, die Länder mit niedrigem Einkommen kostenlos
versorgt, jedoch ist dies viel zu wenig für einen Kontinent, auf dem über
1,3 Milliarden Menschen leben. Das von der WHO und anderen multilateralen
Gremien unterstützte [2][Covax-Programm zielt darauf ab, Afrika mit 600
Millionen Impfdosen zu beliefern] – auch das reicht nur, um mindestens 20
Prozent der Bevölkerung vollständig zu impfen.
In 50 afrikanischen Ländern wurden bislang nach Angaben der Afrikanischen
Union (AU) insgesamt 53,5 Millionen Impfdosen angeliefert und 31,8
Millionen verabreicht. Bisher haben nur 1,86 Prozent der 1,37 Milliarden
Afrikaner mindestens eine Impfdosis erhalten und nur knapp 0,5 Prozent
haben den vollen Impfschutz (zum Vergleich: in der EU sind es mehr als 21
Prozent). Tansania, Burundi, Tschad und Eritrea haben noch gar nicht mit
dem Impfen begonnen.
## Für die zweite Runde AstraZeneca gibt es keine Vakzine
„Es ist dringend erforderlich, dem Impfprotektionismus und
Impfnationalismus ein Ende zu setzen, weil es die Impfungen in
einkommensschwachen und fragilen Ländern bedroht“, erklärte vor Kurzem
AU-Kommissionschef Moussa Faki. „Es ist ein sehr großer Fehler zu glauben,
dass die Welt sicher sein wird, während der afrikanische Kontinent noch
keinen Schutz vor dem Virus und seinen Varianten hat“.
Khama Rogo aus Kenia ist der gleichen Meinung. Er wohnt im Kisumu im Westen
von Kenia am Victoriasee, einer Region, die gerade mit dem Ausbruch der
besonders gefürchteten indischen Variante zu kämpfen hat. „Indien dachte,
die Lage unter Kontrolle zu haben, und exportierte mehr Impfungen, als in
Indien selbst verabreicht wurden. Ich fürchte, dass wir in eine ähnliche
Richtung gehen, mit viel zu wenig Impfdosen.“
Kenia hatte mehr als eine Million Impfdosen bekommen, die relativ schnell
in die Arme von medizinischem Personal, Lehrern und Älteren gingen. Doch
jetzt, wo die zweite Runde von AstraZeneca geimpft werden müsste, gibt es
keine Vakzine mehr. Was das bedeutet, ist nur zu erahnen. „Es ist eine neue
Krankheit, ohne Geschichte. Wir lernen jeden Tag dazu und wissen so vieles
noch nicht“, sagt Rogo.
Zwar erhält Kenia 70.000 Dosen aus dem Südsudan, damit diese dort nicht
verfallen. Mit dem Impfgeschenk aus dem bitterarmen Südsudan wird jedoch
gleich ein neues Problem deutlich. Es gibt Länder, die nicht einmal ihre
winzigen Impfstoffkontingente verbrauchen können.
## Impfdosen mussten vernichtet werden
Südsudan, das 2011 nach jahrzehntelangem Bürgerkrieg unabhängig wurde und
auch jetzt noch kriegsgebeutelt ist, hat zu wenig medizinisches Personal,
um die Impfungen vorzunehmen. Auch sind große Teile des Landes mangels
fehlender Infrastruktur kaum erreichbar. Zudem hatten die Behörden nicht
verstanden, dass der Impfstoff nur eine kurze Zeit haltbar ist, 59.000
Dosen mussten vernichtet werden. Malawi tat dasselbe mit 20.000 Dosen.
Und dann bleibt Corona noch immer eine rätselhafte Krankheit. Das hat
zuletzt die Regierung der Seychellen gemerkt, eines Archipels vor der Küste
von Ostafrika im Indischen Ozean. Es ist das meistgeimpfte Land der Welt –
67,5 Prozent der Bevölkerung sind zweimal geimpft, wobei dort nur 100.000
Menschen leben. Das war wichtig für den Inselstaat, der größenteils vom
Tourismus lebt und Corona vor den Sommerferien unter Kontrolle haben
wollte. Im Mai aber gab es wieder einen Anstieg der Infektionen. Es wird
vermutet, dass der chinesische Impfstoff Sinopharm, den die Seychellen
hauptsächlich nutzen, gegen neue Coronavarianten wenig ausrichtet. Eine
ähnliche Erfahrung hat auch Chile gemacht.
Es gibt aber auch in Afrika viele Menschen, die sich nicht impfen lassen
wollen. Zuletzt säten die sozialen Medien viel Misstrauen, etwa weil zwei
französische Ärzte vor einem Jahr vorschlugen, Impfstoffe zuerst in Afrika
auszuprobieren. In manchen Städten im Kongo nahmen Eltern ihre Kinder von
der Schule, als Gerüchte über Impfungen in Schulklassen die Runde machten.
In Ghana musste Präsident Nana Akufo-Addo die Bürger auffordern,
Verschwörungstheorien zu ignorieren.
Die Regierungen auf dem Kontinent haben große Angst vor
Infektionsausbrüchen. Mehr aber fürchten sie die wirtschaftlichen Schäden
durch Covid-19. Lockdowns sind kaum so streng aufzulegen wie in Europa oder
China. Von zu Hause zu arbeiten ist nur für einen kleinen Teil der
Bevölkerungen möglich. Laut UNDP, dem Entwicklungsprogramm der UNO, leben
nach nur einem Jahr Pandemie 40 Millionen Afrikaner zusätzlich in extremer
Armut. UN-Generalsekretär António Guterres erklärte zuletzt, dass das
wirtschaftliche Wachstum in Afrika dieses Jahr auf 3,4 Prozent gefallen
ist, im Vergleich zu 6 Prozent weltweit – normalerweise liegt Afrika über
dem globalen Durchschnitt.
8 Jun 2021
## LINKS
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## AUTOREN
Ilona Eveleens
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