Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Coronahilfe für arme Länder: Wettlauf gegen die Zeit
> Die G7 wollen bis Ende 2022 eine Milliarde Impfdosen in die ärmsten
> Länder liefern. Und bis dahin? Könnten Tests, Medizin und Sauerstoff
> helfen.
Bild: Kabul, 11. Mai: Eine Ärztin bereitet eine Spritze für die Coronaimpfung…
Zum [1][G7-Gipfel in Cornwall] hat Joe Biden ein Geschenk im Gepäck: 500
Millionen Impfdosen für die ärmsten Länder der Welt. Damit reagiert der
US-Präsident auf Chinas umstrittene Impfkampagne und wohl auch auf einen
Aufruf von Tedros Adhanom Ghebreyesus, dem Generaldirektor der
Weltgesundheitsorganisation WHO: „Wir brauchen 250 Millionen Impfdosen bis
September und jeweils 100 Millionen davon noch im Juni und Juli.“
Nur so lasse sich das ohnehin schon korrigierte Impfziel, 10 Prozent der
Weltbevölkerung bis September zu impfen, erreichen. „Die G7-Staaten haben
die Macht, diese Ziele zu erfüllen: Deshalb rufe ich sie auf, ihren
Impfstoff zu teilen, und dies bereits im Juni und Juli.“
Doch daraus wird wohl nichts, und das, obwohl der britische Premier Boris
Johnson am Freitag sogar versprach, die G7 würden 1 Milliarde Impfdosen
spenden. Das Problem ist die Zeit. Johnsons wie auch Bidens Versprechen
soll erst bis Ende 2022 eingelöst werden, ebenso wie die aus Deutschland
(30 Millionen Dosen) und der EU (100 Millionen Dosen). Bis dahin wird sich
wohl das fortsetzen, was WHO-Direktor Tedros Adhanom Ghebreyesus eine
„zunehmend gegenläufige Entwicklung“ der Pandemie nennt: Während reiche
Länder zum Alltag zurückkehren, gibt es in Afrika, Lateinamerika und im
asiatisch-pazifischen Raum immer mehr Coronatote.
In den meisten dieser Länder sind nicht einmal die Risikogruppen geimpft.
Ein Filmteam der WHO war Anfang Mai dabei, als im afghanischen
Masar-i-Scharif der Arzt Azizullah Basij eine der 470.000 Impfdosen für 38
Millionen Afghaninnen und Afghanen erhielt. Der Arzt ist sichtlich
erleichtert. Ein Lächeln zieht sich unter seinem Schnurrbart von Wange zu
Wange, er kann es selbst kaum fassen. „Ärztinnen und Ärzte kämpfen an der
Front der Pandemie, die ersten, die hier infiziert wurden, waren wir“,
berichtet er. „Denn meine Kollegen und ich, wir wollten den Menschen
natürlich helfen, deshalb blieb unser Krankenhaus offen. Aber es war eine
schreckliche Erfahrung.“
## Ungerecht verteilt
Gerecht verteilt, hätten die bisher weltweit verimpften 2 Milliarden Dosen
laut WHO ausgereicht, um nicht nur Azizullah Basij, sondern alles
medizinische Personal weltweit und dazu noch alle älteren Menschen impfen
zu lassen. Die Wirklichkeit dagegen beschreibt Bruce Aylward, der Chef der
globalen Anti-Covid-Allianz ACT Accelerator, so: „Von den 2 Milliarden
Dosen sind drei Viertel in nur zehn Ländern verimpft worden. Ganze drei
Länder, China, die USA und Indien, haben 60 Prozent aller Impfdosen
verbraucht. Auf der anderen Seite stehen die ärmsten Staaten, in denen
jeder zehnte Erdenbürger lebt. Sie haben nicht einmal ein halbes Prozent
der verfügbaren Impfdosen erhalten.“
Seit Indien die versprochenen Impfstofflieferungen für das globale
Impfprogramm Covax, das zum ACT-Accelerator gehört, gestoppt hat, sind
manche Regierungen so verzweifelt, dass sie Impfstoff von dubiosen
Zwischenhändlern oder sogar im Internet kaufen, teils zum doppelten Preis.
Der WHO-Expertin Soumya Swaminathan bleibt nur, zur Überprüfung fremd
gekauften Impfstoffs aufzurufen. Schließlich gebe es auf dem Markt sowohl
minderwertige wie auch gefälschte Vakzine.
Der Schwarzmarkt ließe sich wohl am ehesten bekämpfen, indem mehr Impfstoff
hergestellt würde. Doch für den Vorstoß in der Welthandelsorganisation, die
Patente auf Impfstoffe vorübergehend aufzuheben, ist auch nach einer
weiteren Verhandlungsrunde in dieser Woche kein Durchbruch in Sicht. Vor
allem die EU blockiert.
Die [2][Impfungerechtigkeit] ist Teil eines viel größeren Problems: Die
Länder, die keinen Impfstoff haben, haben auch sonst fast nichts, um die
Pandemie zu bewältigen. In Afrika hat gerade einmal jedes zehnte
Krankenhaus Tests vorrätig, PCR-Tests sind noch seltener, wie Françoise
Vanni vom Global Fund festgetellt hat. „Das bedeutet, dass Krankenhäuser
nicht die Möglichkeit haben herauszufinden, ob die Patienten, die zu ihnen
kommen, positiv sind, und sie entsprechend zu behandeln.“
Besonders gefährlich ist das für Ärzte wie Azizullah Basij: Sie wissen
nicht, ob sie einen Covidpatienten behandeln. Da es ihnen an Masken und
anderem Schutz mangelt, können sie sich leicht infizieren. „Reiche Länder
testen 125-mal so viel wie Länder mit niedrigem Einkommen“, bilanziert
Bruce Aylward von der WHO.
„Wir haben sehr genaue und bezahlbare Tests entwickelt. Aber weil sich alle
auf die Impfstoffe konzentrieren, fehlt uns das nötige Geld, um sie zu
kaufen.“ Bisher flossen insgesamt 9,5 Milliarden Dollar in das Impfprogramm
Covax. Für die weltweite Verbreitung von Tests aber gerade einmal 1
Milliarde Dollar. Gebraucht würde etwa 10-mal so viel.
„Wenn wir diese Lücke nicht schließen, dann können wir die nötigen
Testraten in den Entwicklungs- und Schwellenländern nicht erreichen“, warnt
Emma Hannay von der auf Diagnostik spezialisierten Organisation FIND. Die
Britin, die coronabedingt im Homeoffice arbeitet, gut zwei Autostunden von
Cornwall entfernt, hofft, dass die G7 bei ihrem Gipfel nicht nur die
Impfungen, sondern die globale Covidstrategie als Ganzes stärken werden. So
hatten die Staats- und Regierungschefs es versprochen, als sie den
ACT-Accelerator Ende April vergangenen Jahres aus der Taufe hoben.
Davon, dass in seinem Rahmen bezahlbare Schnelltests entwickelt wurden,
profitieren auch die Industrieländer. Doch dafür, Schnelltests weltweit zur
Verfügung zu stellen, will niemand zahlen, beobachtet Hannay. „In den
Ländern, in denen die Infektionsrate jetzt steigt, kann ein potenziell
Erkrankter wenig tun: Tests sind teuer, man muss oft weit reisen, um einen
zu bekommen, und es dauert Tage bis zum Ergebnis. „Dass viele unter diesen
Umständen ganz auf Tests4 verzichten, ist ein Problem für die ganze Welt.
Denn neue Varianten breiten sich dadurch unbemerkt aus, bis sie irgendwann
in einem Industrieland auftauchen.
Anders als der Impfstoff sind die Tests vorhanden. „Wir könnten die
Lieferungen sofort erhöhen, um den Gesamtbedarf abzudecken“, sagt Hannays
Kollegin Françoise Vanni vom Global Fund. Sie hat bei mehr als 110
Regierungen nachgefragt, was in der Pandemie besonders dringend benötigt
wird. Das Ergebnis: „Tests, und zunehmend auch medizinischer Sauerstoff“.
Die Therapie gegen Covid-19 – neben Sauerstoff gehört dazu auch die
Entwicklung und Verbreitung von Medikamenten – leidet allerdings wie die
Diagnostik unter akuter Geldnot: Bis jetzt sind erst 700 Millionen Dollar
geflossen, gebraucht würden 3,2 Milliarden. Die geplanten 100 Millionen
Dosen Sauerstoff bis Jahresende lassen sich so nicht finanzieren.
## Uneingelöste Zusagen
Von den ursprünglich geplanten 245 Millionen Therapien sind erst 3
Millionen gekauft, was allerdings auch an anfänglichen Verzögerungen in der
Forschung liegt, wie Caroline Schmutte sagt. Sie leitet das
Deutschland-Büro des Wellcome Trust. „Man hat dann aber relativ bald
Medikamente gefunden, die sehr wohl sehr hilfreich sind: insbesondere
Dexamethason, das in Kombination mit einem Arthritis-Medikament die
Sterblichkeit auf der Intensivstation um 30 bis 50 Prozent reduziert hat.
„Eine wichtige Entwicklung“, wie Schmutte sagt, die aber zunächst nur den
reicheren Ländern geholfen habe – wieder einmal. „Natürlich haben
diejenigen, die am schnellsten Zugriff auf diese ganzen neuen Produkte
haben, immer einen zeitlichen Vorteil – und wenn das dann auch noch Länder
sind, die eine relativ gut funktionierende Gesundheitssystem-Struktur
haben, dann ist das natürlich ein doppelter Vorteil.“
Die G7 hätten die nötigen Milliarden, um Tests und Behandlungsmöglichkeiten
in den Ländern zu ermöglichen, denen sie den Impfstoff vorläufig weiter
vorenthalten. Die Gesundheitsminister der Staaten haben Anfang Juni ihre
Unterstützung zugesagt. „Die Staats- und Regierungschefs der G7 könnten
jetzt eine wirklich wichtige Rolle spielen“, sagt Emma Hanney fast
beschwörend. Ob sie das tun werden, ist ungewiss. Kanada und Italien haben
bislang weniger gegeben, als sie anteilsmäßig sollten. Und Frankreich hat
nicht einmal die Zusagen aus dem vergangenen Jahr eingelöst.
11 Jun 2021
## LINKS
[1] /Besuch-von-Joe-Biden-in-Europa/!5774528
[2] /Weltweite-Coronabekaempfung/!5773198
## AUTOREN
Marc Engelhardt
## TAGS
Schwerpunkt Coronavirus
COVAX
G7-Gipfel
Joe Biden
G7-Gipfel
Schwerpunkt Coronavirus
Schwerpunkt Coronavirus
Joe Biden
Joe Biden
Schwerpunkt Coronavirus
Lesestück Recherche und Reportage
## ARTIKEL ZUM THEMA
G7-Gipfel in England: Reizthema Nordirland
Bis zur Mittagspause gaben sich die Wirtschaftsmächte harmonisch. Während
Merkel und Biden über Nordstream 2 sprechen, gerät Johnson wegen Nordirland
unter Druck.
G7 über Gesundheit und Wirtschaft: Pandemiebekämpfung im Fokus
Die G7-Staaten verkünden einen Gegenentwurf zu Chinas „Neuer Seidenstraße�…
Außerdem wollen die Westmächte ärmeren Ländern eine Milliarde Impfdosen
spenden.
Aktuelle Nachrichten in der Coronakrise: Impfung als Nasenspray
Die 7-Tage-Inzidenz in Deutschland sinkt. In Mexiko hat sich bisher ein
Viertel der Bevölkerung infiziert. Russland testet eine Verabreichung von
Sputnik V als Nasenspray.
US-Präsident auf Europa-Tour: Feige und zu kurz gedacht
US-Präsident Biden will die demokratischen Länder hinter sich scharen, um
Peking vereint entgegenzutreten. Berlin sollte die Chance nutzen.
Besuch von Joe Biden in Europa: Den Weckruf nicht gehört
Europa hat es verpasst, sich von den USA zu emanzipieren. Viele
EU-Politiker sind aus der Zeit gefallen und schwärmen für ein Amerika, das
es nicht mehr gibt.
Weltweite Coronabekämpfung: Impf-Apartheid verhindern
Der unterschiedliche Schutz vor Covid-19 darf nicht zu einer globalen
Spaltung führen. Ausgerechnet die G7-Staaten könnten nun genau das
verhindern.
Coronapandemie in Afrika: Impfquote 0,5  Prozent
Zu wenig Testmöglichkeiten, schlecht ausgestattete Kliniken und
Impfstoffmangel: In vielen afrikanischen Ländern schlägt Covid-19 jetzt
richtig zu.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.