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# taz.de -- Patente auf Corona-Impfstoffe: Die Lizenz zum Gelddrucken
> Patente für Corona-Impfstoffe werden mit hohen Forschungskosten
> begründet. Aber die mRNA-Impfstoffe gibt es nur dank hoher öffentlicher
> Investitionen.
Bild: Profitierte von staatlicher Forschung: Moderna-Poduktion in den USA
Diesen Dienstag berät die Welthandelsorganisation (WTO) in Genf bereits zum
siebten Mal über den von Indien und Südafrika eingebrachten Antrag, die
Patentrechte der großen Pharmaunternehmen für Corona-Impfstoffe
vorübergehend auszusetzen. Mit dieser Maßnahme, die von einer großen
Mehrheit der WTO-Mitglieder gefordert wird, soll eine deutlich erhöhte
weltweite Produktion und eine gerechtere Verteilung von Impfstoffen
ermöglicht werden.
Doch [1][nach der jüngsten Zustimmung der USA] und anderer Industriestaaten
wird der Antrag weiterhin in erster Linie von Deutschland und von der
EU-Kommission blockiert. Der Haupteinwand ist die von den Pharmakonzernen
übernommene Behauptung, sie hätten Milliardensummen in die Forschung und
Entwicklung der Impfstoffe gesteckt und würden bei ausgesetzten
Patentrechten um ihre Gewinne geprellt. Damit würde auch der Anreiz für
künftige Forschungs- und Entwicklungstätigkeiten der Konzerne wegfallen.
Nur: Diese Behauptungen sind Märchen.
Bereits Mitte des vergangenen Jahrhunderts begannen jene
Grundlagenforschungen, die über 60 Jahre später die Corona-Impfstoffe von
Biontech/Pfizer und Moderna ermöglichen sollten. Sie fanden ausschließlich
an Universitäten und anderen öffentlichen Einrichtungen statt, die mit
Steuergeld finanziert werden: in erster Linie in den USA, in Frankreich und
zuletzt an der Universität Mainz. Der entscheidende Durchbruch gelang
Wissenschaftlerinnen 1961 mit dem Nachweis der Messenger-RNA (mRNA), eine
Art Bote, der genetische Informationen in die Zellen des Körpers bringt und
damit dort den Aufbau von Proteinen ermöglicht.
Die heutigen Hersteller von Impfstoffen gegen Covid-19 stiegen erst später
ein – Biontech im Jahr 2008, Moderna 2010. An der Gründung dieser
Unternehmen waren Professoren führend beteiligt, die die Ergebnisse ihrer
bis dato öffentlich finanzierten Forschung nun mit den Impfstoffen in viel
Geld umwandeln: bei Biontech [2][Uğur Şahin, Onkologe an der Universität
Mainz], und bei Moderna Timothy Springer und Derrick Rossi von der
Harvard-Universität sowie Robert Langer vom Massachusetts-Institut für
Technologie (MIT).
## Niedrige Lizenzgebühren
Diese Unternehmen konnten die öffentlich finanzierten wissenschaftlichen
Erfolge der vorangegangenen über 50 Jahre, die nie patentiert wurden,
einfach übernehmen. Den letzten wichtigen Schlüssel zur Entwicklung ihrer
Impfstoffe holten sich Biontech und Moderna in den USA bei den öffentlich
finanzierten National Institutes of Health (NIH): Sie kauften Lizenzen für
die [3][vom NIH-Virologen Barney Graham] entwickelte Methode, stabile
Spikeproteine von Viren nachzubilden.
Dank dieses Durchbruchs kann mit der mRNA auch der Bauplan von
Corona-Spikeproteinen in den Körper geschleust werden, damit das
Immunsystem Antikörper bildet. Für die Lizenzen zahlten die Unternehmen
laut ihrer Berichte an die US-Börsenaufsicht lediglich einen „tiefen
einstelligen“ Prozentsatz ihrer Verkaufsumsätze.
Moderna hat in den Jahren 2016 bis 2019 lediglich zwei Milliarden US-Dollar
für eigene Forschung ausgegeben – wovon wiederum ein Teil öffentlich
finanziert wurde – und Biontech maximal eine Milliarde Dollar. Das sind die
gesamten Forschungsausgaben der Unternehmen, und nicht alles davon ist in
die Entwicklung von Corona-Impfstoffen geflossen. Im Jahr 2020 wendete
Biontech/Pfizer zwar 1,5 Milliarden Dollar zur Entwicklung des Impfstoffs
auf, erhielt aber zeitgleich von den Regierungen Deutschlands und der USA
Subventionen in Höhe von insgesamt 1,9 Milliarden.
Moderna gab im vergangenen Jahr überhaupt keine eigenen Finanzmittel für
die Impfstoffentwicklung aus, erhielt dafür aber vom US-amerikanischen
Gesundheitsministerium 3 Milliarden Dollar. Biontech/Pfizer und Moderna
werden bereits im laufenden Jahr mit den Corona-Impfstoffen weit mehr
verdienen, als sie selber für Forschung und Entwicklung ausgegeben haben.
Laut ihrem Geschäftsbericht vom Mai verzeichnete Biontech/Pfizer bereits im
ersten Quartal 2021 einen gewaltigen Umsatzsprung auf 2,05 Milliarden Euro
im Vergleich zu 27,7 Millionen im ersten Quartal 2020. Der Gewinn betrug
1,13 Milliarden Euro. Für das Gesamtjahr 2021 erwartet das Unternehmen
einen Umsatz von mindestens 26 Milliarden Euro und einen Gewinn von über 6
Milliarden Euro. Moderna steigerte seinen Umsatz im ersten Quartal auf 1,9
Milliarden US-Dollar (2020: 8 Millionen) und machte einen Gewinn von 1,2
Milliarden nach einem Verlust von 124 Millionen im ersten Quartal 2020.
Der zweite Einwand gegen ein Aussetzen der Patentrechte lautet: Dieses sei
sinnlos, weil die Länder des Südens und ihre Unternehmen zu dem
komplizierten Herstellungsprozess von Corona-Impfstoffen nicht in der Lage
seien. Dieser Einwand ist – zumal in dieser Pauschalität – falsch. Die
frühzeitig begonnene und erfolgreiche Kooperation zwischen dem
britisch-schwedischen Konzern AstraZeneca und dem [4][Serum Institute of
India] beweist das Gegenteil.
Dieser Einwand ist aber auch höchst kurzsichtig. Wo Länder des Südens
derzeit tatsächlich noch nicht über die notwendigen Kenntnisse,
Einrichtungen und Fähigkeiten verfügen, sollten ihnen die nördlichen
Industriestaaten möglichst schnell zu eigenen Produktionskapazitäten
verhelfen: durch den Transfer von Technologie und Know-how, durch Lizenzen
und durch die Aussetzung von Patentschutzrechten.
Das läge auch im wohlverstandenen Eigeninteresse der Industriestaaten. Denn
ohne all diese Maßnahmen wird die globale Bekämpfung der Pandemie
scheitern. Je weniger Menschen in Afrika, Asien und Lateinamerika geimpft
werden, desto größer ist das Risiko von Mutationen, gegen die dann auch die
Menschen in Europa, Nordamerika, Japan oder Israel selbst bei einer
Impfquote von 100 Prozent nicht mehr geschützt wären.
7 Jun 2021
## LINKS
[1] /Patente-fuer-Corona-Impfstoffe/!5765580
[2] /Portraet-ueber-die-Biontech-Chefs/!5723970
[3] https://en.wikipedia.org/wiki/Barney_S._Graham
[4] ttps://www.astrazeneca.com/media-centre/press-releases/2021/serum-institute…
## AUTOREN
Andreas Zumach
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