# taz.de -- Doppelte Besteuerung der Rente: Letzte Warnung der Finanzrichter | |
> Noch ist die Rentenbesteuerung nicht verfassungswidrig, entschied der | |
> Bundesfinanzhof. Doch bei künftigen Klagen könne das schnell anders | |
> aussehen. | |
Bild: Komplizierte Rechnerei: Das Alterseinkünftegesetz ist nicht verfassungsw… | |
FREIBURG taz | Der Bundestag muss die Regeln zur Besteuerung der Renten | |
nachbessern. Das folgt aus einem Grundsatzurteil des Bundesfinanzhofs | |
(BFH), des obersten deutschen Steuergerichts, in München. In einem | |
Musterfall hatte der 78-jährige Rentner Horst W. Bangert aus | |
Bietigheim-Bissingen geklagt. Der ehemalige selbständige Steuerberater | |
machte geltend, dass seine seit 2007 bezogene Rente teilweise doppelt | |
besteuert werde. Unterstützt wurde seine Klage vom Bund der Steuerzahler, | |
der überall verfassungswidrig hohe Steuerpflichten wittert. | |
Der BFH lehnte seine Klage nun aber ab. Bangert werde im Laufe seines | |
voraussichtlichen Rentnerlebens nicht doppelt besteuert. Die | |
Richter:innen rechneten vor, dass Bangert 133.000 Euro steuerpflichtige | |
Beiträge in die Rentenversicherung einbezahlt hat. Bei durchschnittlicher | |
Lebenserwartung werde er voraussichtlich 157.000 Euro steuerfreie | |
Rentenbezüge erhalten. Damit ist laut BFH [1][das Alterseinkünftegesetz] | |
von 2004 derzeit noch nicht verfassungswidrig. Der BFH musste das Gesetz | |
also nicht dem Bundesverfassungsgericht zur Entscheidung vorlegen. | |
Das Gesetz von 2004 regelt eine gigantische Umgestaltung der | |
Rentenbesteuerung. Auf Vorgabe des Bundesverfassungsgerichts von 2002 | |
sollen die Rentenbeiträge künftig steuerfrei bleiben und die Renten | |
besteuert werden. Der Gesetzgeber hat dabei eine lange Übergangsphase | |
zugelassen. | |
Bis 2025 soll die Besteuerung der Rentenbeiträge langsam auf Null sinken. | |
Bis 2040 soll die Besteuerung der Renten langsam von 50 Prozent auf das | |
volle Maß steigen, die Übergangs-Freibeträge sollten entsprechend sinken. | |
Zwingendes Ziel war und ist, dass die Summe der versteuerten Rentenbeiträge | |
in jedem Jahr und für jede Konstellation niedriger ist als die Summe der | |
steuerfreien Rentenbezüge. | |
## Die Gefahr der Doppelbesteuerung wächst | |
Umstritten war aber, wie beide Summen zu berechnen sind. Der | |
Bundesfinanzhof hat hier mit dem Urteil am Montag vier grundsätzliche | |
Weichen gestellt. Die wichtigste wirkt zugunsten der Rentner:innen. Der | |
Grundfreibetrag für das Existenzminimum (Essen, Wohnen, Kleidung) habe | |
einen eigenen Zweck und diene nicht der Vermeidung von Doppelbesteuerung, | |
entschied der BFH. So hatte aber das Finanzministerium argumentiert. Auch | |
steuerfreie Beiträge zur Krankenversicherung dürfen hier nicht | |
berücksichtigt werden, so der BFH. | |
Zugunsten des Fiskus wirken aber zwei andere Weichenstellungen des BFH, die | |
dazu führten, dass Kläger Bangert eben doch nicht als doppelt besteuert | |
gilt. So werden ihm die Freibeträge einer potenziellen Hinterbliebenenrente | |
seiner Ehefrau zugerechnet. Und bei den Übergangs-Rentenfreibeträgen wird | |
die Inflation nicht herausgerechnet. | |
Auch wenn das Alterseinkünftegesetz derzeit noch nicht als | |
verfassungswidrig gilt, zeigte die Vorsitzende Richterin Jutta Förster doch | |
auf, dass das Gesetz mit der Zeit in zunehmenden Konstellationen | |
verfassungswidrig werden könnte. Förster benannte vier tendenziell | |
betroffene Gruppen: | |
Erstens drohe Männern eher Doppelbesteuerung, weil sie eine kürzere | |
Lebenserwartung haben als Frauen und daher auch weniger | |
Übergangs-Rentenfreibeträge nutzen können. | |
Zweitens seien Unverheiratete eher betroffen, weil ihnen keine Freibeträge | |
einer potenziellen Hinterbliebenen-Rente ihrer Partnerin oder ihres | |
Partners zugerechnet werden können. Drittens hält Richterin Förster die | |
Selbständigen für besonders bedroht, weil bei ihnen auf der Beitragsseite | |
keine steuerfreien Beiträge von Arbeitgeber:innen anfallen. Und | |
viertens wächst die Gefahr einer Doppelbesteuerung für jeden späteren | |
Rentenjahrgang, weil die Übergangs-Steuerfreibeträge beim Rentenbezug bis | |
2040 von 50 Prozent graduell auf Null sinken. | |
Der BFH hat dem Bundestag zwar keinen expliziten Auftrag zur Neuregelung | |
erteilt. Aber Richterin Förster war deutlich genug, dass jeder verstanden | |
hat: die nun geklärte Rechenmethode des BFH wird bei künftigen Klagen mit | |
hoher Wahrscheinlichkeit zur Feststellung verfassungswidriger | |
Doppelbesteuerung führen. Der Bundestag wird sich daher nach [2][der Wahl | |
im Herbst] des Themas Rentenbesteuerung annehmen müssen. | |
Nach Angaben der CDU/CSU werden derzeit dank Grundfreibetrag und | |
Umstellungfreibeitrag nur ein Viertel aller Renten besteuert. Bei den | |
Renter:innen ist der Unmut über die ungewohnte Besteuerung allerdings | |
groß, bei den Finanzämtern liegen bereits rund 140.000 Einsprüche gegen | |
Steuerbescheide. Die dürften nach den Rechenmethoden des BFH allerdings | |
noch ganz überwiegend erfolglos sein – so wie bei Rentner Bangert aus | |
Bietigheim-Bissingen. | |
31 May 2021 | |
## LINKS | |
[1] /Rentner-klagt-gegen-Steuernachteile/!5066678 | |
[2] /Schwerpunkt-Bundestagswahl-2021/!t5007549 | |
## AUTOREN | |
Christian Rath | |
## TAGS | |
Rentenpolitik | |
Bundesfinanzhof | |
Gerichtsurteil | |
Steuerpolitik | |
Briefkastenfirmen | |
Rentenreform | |
Riester-Rente | |
Rentenversicherung | |
Rente | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Pandora Papers decken Steuertricks auf: Blamage für die EU | |
Auch Politiker, die Steuerschlupflöcher bekämpfen wollen, profitieren gern | |
von ihnen: Die internationalen Recherchen sind diesmal besonders pikant. | |
Junge Generation und Rentensystem: „Mehr Umverteilung in der Rente“ | |
Rente mit 68? Moritz Piepel von der Generationen Stiftung kritisiert, dass | |
die Politik das Rentenproblem trotz eines alarmierenden Gutachtens in die | |
Zukunft verschiebt. | |
Absturz der Riester-Rente: Rot-grüne Erblasten | |
Die Riester-Rente ist gescheitert, die Verträge drohen zum Zuschussgeschäft | |
zu werden. Die Grünen sollten ihre Fehler von damals korrigieren. | |
Mini-Garantiezinsen für Altersvorsorge: Schluss mit der Riester-Rente | |
Wer privat vorsorgt, zahlt mehr ein, als er bekommt. Die Riester-Rente muss | |
abgewickelt und in die gesetzliche Rentenversicherung überführt werden. | |
Petition zu unfairer Rentenzahlung: Keine Rente mehr für den toten Ex | |
Eine Rentnerin erhält weniger Rente, weil sie den Versorgungsausgleich für | |
ihren Ex-Mann zahlen muss – obwohl dieser verstorben ist. |