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# taz.de -- Plastikrecycling in Honduras: Altplastik ist bares Geld
> Vor 27 Jahren ist George Gatlin ins Recyclingbusiness eingestiegen. Heute
> leitet er das größte Wertstoffunternehmen Mittelamerikas.
Bild: Honduras: Tonnen von Müll säumen jedes Jahr die Strände der Region nah…
OMOA/Puerto Cortés taz | Jedes Jahr im Herbst wiederholt sich das Desaster
an der honduranischen Küste nahe Omoa und Puerto Cortés. Hunderte
[1][Tonnen von Müll] säumen dann die Strände der Region. Für die Müllflut
ist der Río Motagua verantwortlich, so George Gatlin. „Der Fluss
transportiert den Unrat jedoch nur die letzten Kilometer. Das eigentliche
Problem ist der aus Guatemala kommende extrem verschmutzte Río Vacas, der
in den Rion Motagua mündet“, erklärt der 47-jährige Recyclingunternehmer.
Er hat ein ehrgeiziges Projekt: Er will den dreckigen Fluss sauber kriegen
– zusammen mit The Ocean Cleanup.
Diese niederländische Umweltorganisation ist seit mehr als drei Jahren in
der Grenzregion von Guatemala und [2][Honduras] aktiv. Untersuchungen zu
Wasserstand, Strömung und Plastikanteil von Müll wurden bereits gemacht,
nun geht es darum zu handeln. Dabei ist eine zentrale Frage: Wohin mit dem
Müll?
An diesem Punkt kommt George Gatlin mit seinem Recyclingunternehmen aus San
Pedro Sula ins Spiel. Invema heißt es, bezieht Wertstoffe aus der gesamten
Region, die entweder sortiert und gereinigt über den Hafen von Puerto
Cortés in die USA und nach Asien exportiert oder auf dem Werksgelände
direkt weiterverarbeitet werden. Das nötige Equipment dazu steht in den
modernen Werkhallen auf dem Firmengelände im Industriegebiet von San Pedro
Sula.
Invema ist kaum zu verfehlen. Schon am frühen Morgen bildet sich dort eine
lange Schlange aus kunstvoll beladenen Pick-ups und Lkw, die Dosen,
Plastikflaschen, Altpapier und Altmetall anliefern. Für George Gatlin ein
vertrautes Bild. Von seinem Büro im ersten Stock des
Invema-Verwaltungsgebäudes hat der kräftige Mann mit der penibel rasierten
Glatze einen guten Blick auf die sich langsam fortbewegende Karawane der
recicladores, der Wertstoffsammler.
„Wir haben etwa 14.000 Lieferanten in unserer Datei und mindestens siebzig
Prozent davon liefern regelmäßig“, erklärt Gatlin. Stolz schwingt in seiner
Stimme mit, denn Invema ist sein Baby. Zu vielen seiner Lieferanten hat
Gatlin den Kontakt noch persönlich aufgebaut, als er im Frühjahr 1994
erstmals die Dörfer im Hinterland der honduranischen Industriemetropole
abklapperte, um die Menschen davon zu überzeugen, Aludosen gegen einen
Festpreis für ihn zu sammeln.
„Damals wurde ich für verrückt erklärt. Erst als ich das Geld auf den Tisch
legte, haben sie begonnen, mich ernst zu nehmen“, erinnert sich Gatlin an
seinen nicht ganz freiwilligen Start in die Selbstständigkeit.
Gatlin, Sohn eines US-Amerikaners aus dem Tropenholzhandel, wuchs in
Honduras auf und musste sich, nachdem sein Vater den Holzhandel urplötzlich
verkauft hatte, etwas einfallen lassen. „Eine eigene Businessidee musste
her.“
Der Tipp eines Kommilitonen brachte ihn auf die damals noch vollkommen
unbedeutende [3][Recyclingbranche]. Mit einem Lkw, einer Presse und zwei
Mitarbeitern begann er die Jagd nach Aludosen; heute verlassen 500
Wertstoffcontainer pro Monat das Werksgelände, auf dem 445 Menschen unter
dem Invema-Logo festangestellt arbeiten.
## PET-Flaschen sind Grundstoff
Aus dem Start-up ist ein modernes mittelständisches Unternehmen geworden.
Nicht nur Wertstoffe werden hier gereinigt, sortiert und verpackt, sondern
auch verarbeitet. „Kunststoffe, vor allem PET-Flaschen, bilden heute das
Rückgrat von Invema“, sagt Gatlin und weist den Weg aus dem Büro über den
Hof zu den Produktionshallen.
Dort werden Plastikflaschen zu Zigtausenden sortiert und gewaschen, bevor
sie zu Plastikflocken geschreddert werden. „Das ist unser derzeit
wichtigster Rohstoff“, sagt George Gatlin und lässt die Arme bis zu den
Ellenbogen in den hellgrauen, transparenten Plastikpartikeln verschwinden
und sie anschließend durch die Finger zurück in den Kunststoffsack rieseln.
„Aus den Flocken stellen wir Plastikfolien sowie Kunststoffschalen für
Lebensmittel her – dort drüben“, Gatlin zeigt hinüber in die angrenzende
Halle.
Dort dominiert Hightech aus Österreich und Deutschland das Ambiente. Die
Logos von Maschinenbauern aus der Recyclingsparte zieren die
Produktionsstraße, wo helle transparente Plastikfolie auf eine Spule
aufgerollt wird. Die Spulen werden vom Verkaufsteam um Angela Fajardo an
lokale und regionale Verpackungsunternehmen verkauft. Dabei hilft die
Tatsache, dass die Anlage nicht nur als lebensmittelneutral zertifiziert,
sondern auch von einem der größten Player auf dem regionalen Markt, der
Coca-Cola Company, gelobt wird. Darauf ist Gatlin stolz und er ist sich
sicher, dass das Potenzial für Recycling in der Region noch viel stärker
genutzt werden kann.
„Wir haben einen hohen Plastikverbrauch, unsere Recyclingquote bei
PET-Flaschen liegt bei 86 Prozent, aber bei anderen Plastikabfällen ist sie
extrem niedrig. Das muss sich ändern“, mahnt der Familienvater und verweist
auf das französische Beispiel. „Dort muss bei der Neuproduktion immer auch
ein Anteil Altplastik verarbeitet werden. Das ist in Honduras und der
ganzen Region noch nicht der Fall. Es würde uns aber helfen, mehr
Arbeitsplätze zu schaffen“, meint Gatlin.
Dafür engagiert er sich. Joghurtbecher werden seit Jahresbeginn in seiner
modernen Anlage verarbeitet und in ein paar Monaten soll Altplastik aus
Guatemala hinzukommen: aus dem Río Vacas.
Die ersten Tests sind positiv verlaufen, meint Gatlin und dabei kommt ihm
die leistungsstarke Reinigungsanlage entgegen, die mit aufgefangenem
Regenwasser betrieben wird. Die Energie für den Reinigungsprozess liefern
mehr als 5.000 Solarpanels, die auf den Dächern der Fabrikhallen
installiert sind. Sie haben dafür gesorgt, dass die Energiekosten bei
Invema um mehr als dreißig Prozent gesunken sind. „Wir arbeiten mit kleinen
Margen, jeder Centavo hilft und ein Windrad könnte mittelfristig auf dem
Gelände noch hinzukommen“, meint Gatlin, dessen 24-jähriger Sohn bereits in
die Planungen involviert ist.
Doch das nächste Etappenziel lautet erst einmal das Altplastikrecycling aus
den Grenzflüssen in Gang zu bringen. Die Verhandlungen mit lokalen
Umweltorganisationen, Dorfgemeinschaften und Stadtverantwortlichen auf
beiden Seiten der Grenze laufen bereits und sollen dafür sorgen, dass der
Müll am besten vorsortiert bei Invema ankommt.
## Recycling als Jobmaschine
Das wäre optimal, denn alles andere läuft quasi automatisch auf dem Gelände
ab, meint Gatlin. Für ihn ist der Recyclingsektor Jobmaschine und
Zukunftssektor in einem: „Wir gehen davon aus, dass hinter jedem unserer
14.000 Lieferanten etwa vierzig weitere stehen, die ihn oder sie beliefern.
Wir können nur wachsen, weil sie uns vertrauen. Das weiß ich zu schätzen“,
betont Gatlin.
Das sei nicht einfach so dahingesagt, bestätigen Mitarbeiter und
Lieferanten. „Hier erhalten alle den gleichen Ankaufpreis. Es gibt keine
Unterschiede zwischen großen und kleinen Lieferanten. Das ist fair“,
urteilt Marco Julio Rompero, 55-jähriger Wertstoffsammler aus dem
nahegelegenen La Lima. Seit 14 Jahren sammelt er Flaschen, Dosen und Co und
beliefert nur Invema, weil dort nicht nur die Preise stimmen, sondern auch
der Umgang, wie er sagt.
Für Gatlin ist dieser Umgang mit den Menschen Teil seiner
Unternehmensphilosophie, die für eine motivierte Belegschaft sorgt. Das
lässt sich der Mann mit honduranischem und US-amerikanischem Pass etwas
kosten. „Invema zahlt rund 25 Prozent über dem Mindestlohn“, sagt Angela
Fajardo, die das An- und Verkaufsteam leitet und zufrieden mit ihrem Gehalt
ist.
Das ist in Honduras alles andere als gewöhnlich und das hat Gatlin auch
schon die eine oder andere Schlagzeile in der regionalen Presse
eingebracht. So zum Beispiel, als Invema zu Beginn der Coronapandemie im
März und April letzten Jahres etliche Tausend Kunststoffvisiere an
Krankenhäuser und soziale Einrichtungen spendete. „Überall gab es damals
Defizite an Masken. Wir haben hier auf der Anlage begonnen, Face Shields zu
produzieren, sie zum Teil gespendet, zum Teil verkauft“, erinnert sich
Fajardo.
Diese Idee rettete Invema vor roten Zahlen. Denn mit einer
Sondergenehmigung durfte das Unternehmen auch während des Lockdowns im
April weiterproduzieren.
Es ist ein Erfolg, der nicht dem Zufall geschuldet ist. Denn mit seinem
Team sondiert der Recyclingpionier aus San Pedro Sula ständig den Markt
nach weiteren Optionen. Aber neue Projekte wie das eigene Windrad oder das
regionale Stahlwerk sind derzeit noch Zukunftsvisionen. In den nächsten
Monaten geht es erst einmal um die Verwertung des Altplastiks aus Flüssen
wie dem Río Vacas und dem Motagua. Das hat höchste Priorität.
30 Apr 2021
## LINKS
[1] /Abfallreform-der-Umweltministerin/!5763787
[2] /Flucht-aus-Honduras-in-die-USA/!5744612
[3] /Plastikrecycling-in-Indien/!5701902
## AUTOREN
Knut Henkel
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