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# taz.de -- Neue Regeln für Müllexporte: Papiertiger gegen Plastikmüll
> Seit Anfang Januar gibt es neue Vorschriften für den weltweiten Handel
> mit Plastikmüll. Doch sie sind schwammig und Kontrollen fehlen.
Bild: Arbeiter sortieren während der Corona-Pandemie in Indonesien Plastikflas…
Berlin taz | Die neue Verordnung klingt nach Fortschritt: Seit Anfang des
Jahres [1][dürfen nur noch Kunststoffabfälle international gehandelt
werden], die leicht recycelt werden können. Es dürfen nur noch Abfälle über
Grenzen gebracht werden, die aus einer einzigen Kunststoffart bestehen und
kaum Störstoffe enthalten, wie Metall oder Schmutz. Exporte in Länder
außerhalb der EU müssen genehmigt werden oder sind verboten; innerhalb der
EU darf weiter relativ frei gehandelt werden. Rund 1 Million Tonnen
Kunststoffabfälle hat Deutschland 2018 laut Umweltbundesamt exportiert; zu
88 Prozent handelt es sich dabei um Gewerbemüll, 12 Prozent sind
Verpackungen.
„Kein Plastik aus Europa soll mehr die Umwelt von Entwicklungsländern
belasten oder ewig in den Weltmeeren schwimmen“, sagt Umweltministerin
Svenja Schulze (SPD). Allerdings: Wie die schönen neuen Regeln umgesetzt
werden sollen, ist unklar. Die Verordnung besagt, dass die Abfälle
„weitgehend frei“ von Störstoffen sein und „vorwiegend aus“ bestimmten
Kunststoffen bestehen müssen. Doch was heißt das? Bei den Unternehmen
herrsche eine „große Unruhe“ über die neuen Regeln, sagt Peter Kurth,
Präsident des Entsorgerverbandes BDE.
„Es kommt jetzt darauf an, mit welchen Prozentzahlen die bislang
unbestimmten Formulierungen untersetzt werden“, sagt Sabine Fankhänel, bei
der Sonderabfallgesellschaft Berlin-Brandenburg zuständig für den
internationalen Abfallhandel. So erlaubt das Standard setzende Duale System
Deutschland für Abfall aus Kunststoff-Folien – etwa Plastiktüten – einen
Störstoffanteil von 8 Prozent. Abfälle aus Bechern – wie für Joghurt –
dürfen 6 Prozent Störstoffe enthalten. Sie gelten dann als „sortenrein“.
Derzeit werden EU-weite Leitlinien dazu erarbeitet, im Gespräch sind
Höchstgrenzen für Störstoffe von 2 Prozent. Viele Experten halten das für
technisch derzeit nicht machbar. Die großen Kunststoff- und
Recyclingverbände der EU haben deshalb schon davor gewarnt, dass der Handel
mit Recyclingmaterial aus Plastik ganz zum Erliegen kommen könnte.
Branchenexperten sehen das einerseits als Problem, weil der Markt für die
gebeutelten Abfallsortierer noch enger würde; andererseits halten sie es
für wichtig, endlich in Europa Kapazitäten für Kunststoffkreisläufe
aufzubauen. Die neue Verordnung könne dies anstoßen.
## Gut gemeinte Absicht mit Nebenwirkungen
Lobbyist Kurth hält das für Wunschdenken. In Deutschland etwa verhinderten
die hohen Energiekosten und das Lohnniveau den Aufbau bestimmter
Verwertungsstrukturen, etwa für Landwirtschaftsfolien oder andere weniger
anspruchsvolle Kunststoffsorten. Kurth fürchtet, dass die „gut gemeinte
Absicht, nach Malaysia keine Kunststoffe mehr zu exportieren, letztlich nur
dazu führt, dass hierzulande mehr Kunststoff verbrannt und weniger
stofflich recycelt wird“.
Michael Jedelhauser, beim Umweltverband Nabu zuständig für
Kreislaufwirtschaft, hält die beschlossenen Sonderregeln für den EU-Raum
für problematisch. Als China seine Grenzen für schmutzigen Plastikmüll
geschlossen habe, seien viele Exporteure nach Osteuropa und in die Türkei
ausgewichen. Berichte über wachsende Müllkippen in diesen Ländern häufen
sich, Kapazitäten für hochwertiges Recycling fehlen. Diese Exporte
ermögliche die Verordnung weiterhin, sie müssten stärker eingeschränkt
werden, fordert Jedelhauser. Nur sauber sortierte Abfälle sollten nach
Zustimmung exportiert werden dürfen – und nur an zertifizierte und
kontrollierte Verwertungsanlagen.
Doch für die wahre Schwachstelle der neuen Verordnung halten viele Experten
nicht ihre Vorschriften, sondern ihre Umsetzung. Die Genehmigungsverfahren
seien aufwändig und bürokratisch, ist zu hören, Unternehmen würden sie
umgehen, wenn nicht entsprechend kontrolliert werde. Zuständig für die
Kontrollen sind unterschiedliche Stellen: das Bundesamt für Güterverkehr,
der Zoll und Genehmigungsbehörden der Länder, also
Sonderabfallgesellschaften oder Regierungspräsidien.
Nach stichprobenartigen Anfragen in Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg
oder beim Zollkriminalamt wird in keiner Behörde Personal umgeschichtet
oder aufgestockt, um zu überprüfen, ob die Unternehmen die neuen Vorgaben
umsetzen. Lediglich das Bundesamt für Güterverkehr teilt mit, „im Rahmen
bundesweiter Großverfahren finden derzeit umfangreiche Stellenbesetzungen
im Straßenkontrolldienst des Bundesamtes statt, die im weiteren
Jahresverlauf sukzessive zu einer deutlichen personellen Verstärkung und in
der Folge zu einer entsprechend erhöhten Kontrolldichte auch im Abfallrecht
führen werden“.
Im vergangenen Sommer hatte die internationale Polizeiorganisation Interpol
[2][einen Bericht zu Plastikmüll veröffentlicht] und gewarnt, illegale
Exporte hätten in den vergangenen Jahren stark zugenommen und gefährdeten
vor allem in Südostasien Umwelt und Gesundheit.
12 Jan 2021
## LINKS
[1] /Handel-mit-Plastikmuell/!5591346
[2] /Bericht-von-Interpol-zu-Plastikabfaellen/!5710376
## AUTOREN
Heike Holdinghausen
## TAGS
Plastik
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