# taz.de -- Finanzrisiko neue Produktionsanlagen: Der Plastikgipfel ist in Sicht | |
> Wie viel Plastik braucht die Menschheit? Die Industrie meint: immer mehr. | |
> Ein Irrtum, der Investoren 400 Milliarden Dollar kosten könnte. | |
Bild: Einzeln eingeschweißte Früchte in einem Supermarkt in Peking | |
BERLIN taz | [1][Die Erde versinkt im Plastikmüll] und das ist nicht nur | |
ein Umwelt-, sondern auch ein Finanzproblem: Weltweit will die Industrie in | |
den nächsten Jahren 400 Milliarden Dollar in den Aufbau neuer | |
Produktionsanlagen stecken. Das haben die Denkfabrik Carbon Tracker und das | |
Öko-Beratungsunternehmen SystemIQ, beide in London ansässig, ausgerechnet. | |
Sie warnen zugleich, dass es sich dabei um eine gigantische Fehlinvestition | |
handelt. | |
„Es gibt einen gewalten Graben zwischen dem, was die Industrie aufbaut und | |
dem, was die Gesellschaften wollen, nämlich weniger Plastik“, sagt | |
Kingsmill Bond, einer der Autor*innen der Studie. Er selbst sei | |
Finanzexperte und komme zu der simplen Schlussfolgerung: Da lauere ein | |
großes Finanzrisiko, nicht nur für die petrochemische, sondern auch für die | |
Ölindustrie. | |
Die Internationale Energieagentur geht davon aus, dass bis zum Jahr 2040 | |
jährlich zwei Prozent mehr Plastik verbraucht wird – und da sind politische | |
Maßnahmen, was dagegen zu machen, schon drin. Das würde bedeuten, dass die | |
Plastiknachfrage weltweit bis dahin von 350 auf 540 Millionen Tonnen im | |
Jahr steigen wird. Mit den globalen Klimazielen ist das absolut | |
unvereinbar, denn über die Lebenszeit verursacht jede Tonne Öl, die in | |
Plastik umgewandelt wird, doppelt so viel CO2 als Öl, das als Brennstoff | |
verbraucht wird. Die Industrie rechnet im Schnitt sogar mit drei bis vier | |
Prozent Plastikwachstum im Jahr. | |
Ist das realistisch? Nein, sagt Bond. Er geht in der neuen Studie von einem | |
„Peak Plastic“ im Jahr 2027 aus, danach würde der Verbrauch weltweit nicht | |
mehr steigen. Allein diese Stagnation würde derzeit geplante Investitionen | |
in petrochemische Anlagen wertlos machen – und allein die summieren sich | |
auf 400 Milliarden Dollar, fast ausschließlich in den USA, China und den | |
Golfstaaten. „Uns hat das auch überrascht, aber Europa ist ausnahmsweise | |
mal fein raus“, sagt Bond. | |
Er warnt deshalb vor „stranded assets“, also vor Investitionen in | |
Unternehmungen, die wegen Klima- und Unmweltregulierungen absehbar nichts | |
mehr wert sein werden. Carbon Tracker ist Pionier in dieser | |
Klimaschutzstrategie: Investoren aufzeigen, was sie verlieren, wenn | |
CO2-Emissionen gesenkt werden, sie so zum Rückzug aus schädlichen | |
Industrien bewegen und damit den ökologischen Wandel beschleunigen. Mit | |
Erfolg übrigens, mittlerweile ist es für Energiekonzerne immer schwieriger, | |
Gelder für riskante Ölexplorationen oder Kohlekraftwerke aufzutreiben. | |
## Vorschlag: Steuer auf nicht recycelten Müll | |
Die Studie zählt dann auch diverse politische Reformen auf, die die | |
Industrie in ihren Wachstumsszenarien offenbar nicht berücksichtigt hat. | |
Die EU-Kommission schlägt derzeit eine Steuer von 800 Euro auf jede Tonne | |
Plastikmüll vor, der nicht recycelt wird. Ohnehin soll Europa bis mitte des | |
Jahrhunderts eine Kreislaufwirtschaft haben, also Plastik fast komplett | |
wiederverwerten. Die Entwicklungsländer weden die Nachfrage wohl nicht | |
auffangen: Greenpeace listet auf, dass [2][in Afrika 34 Staaten] Maßnahmen | |
gegen Plastikmüll ergriffen haben. | |
Auch China arbeite längst an solchen Maßnahmen, aus einem einfachen Grund: | |
Weniger Plastikverbrauch bedeutet weniger Ölimporte und damit weniger | |
Abhängigkeit vom Ausland. Umweltpolitik ist für China im Fall von Plastik | |
also Machtpolitik. Und: Laut einer Online-Umfrage befürworten 80 Prozent | |
der Menschen in 28 Industrieländern politische Maßnahmen gegen Plastik. | |
Das Problem geht übrigens über die chemische Industrie hinaus. Die | |
Ölindustrie rechnet mittlerweile fest damit, dass Plastik die sinkende | |
Nachfrage nach ihrem Rohstoff auffängt, wenn immer mehr Elektroautos | |
kommen. BP etwa geht von einer steigenden Nachfrage nach Öl aus, wobei 95 | |
Prozent des Wachstum aus Plastik kommen soll. Das sei geradezu dämlich, | |
sagt Bond. | |
Die volkswirtschaftlich günstigste Alternative zur Plastikverpackung ist | |
laut der Studie übrigens: möglichst keine Verpackung. Am schlechtesten | |
schneidet als Alternative ab, Plastikverpackungen einfach durch Papier zu | |
ersetzen. | |
4 Sep 2020 | |
## LINKS | |
[1] /Export-von-Plastikabfall/!5703046 | |
[2] https://www.greenpeace.org/africa/en/blogs/11156/34-plastic-bans-in-africa/ | |
## AUTOREN | |
Ingo Arzt | |
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