| # taz.de -- Die Kunst der Woche in Berlin: Am extraordinären Ort | |
| > Die Ausstellung „Gewand in drei Akten“ im Mies van der Rohe Haus ist | |
| > zeitlos. Und Cecily Brown wandelt auf düsteren Spuren durch den Blenheim | |
| > Palace. | |
| Bild: Martha Lemke (re.) mit Besucherin auf der Terrasse des Mies van der Rohe … | |
| Sich an Ostern schnelltesten zu lassen war ein Ding der Unmöglichkeit. Die | |
| elenden Warteschlangen an den paar Apotheken in der Nähe ließen nichts | |
| Gutes ahnen. Also stellte sich die Frage nach Alternativen. Und eine | |
| unbedingt empfehlenswerte Antwort lautet: Besuchen Sie das [1][Mies van der | |
| Rohe Haus] in Lichtenberg. | |
| Dank des wunderbaren Gartens und der Fenster, die Mies zu diesem Garten hin | |
| als Glaswände gestaltet hat, ist „Gewand in drei Akten“ auch vom Freien aus | |
| ganz wunderbar zu erleben. Die Ausstellung verbindet auf Schönste die | |
| Imagination der Kunst mit den phantastischen Funden der Forschung. | |
| Im großen Gartenzimmer ist Stef Heidhues’ Installation „Untitled“ aus dem | |
| Jahr 2020 zu sehen. Die 1975 in Washington D.C. geborene Künstlerin, die | |
| bei Franz Erhard Walther studierte, drapiert über ein schwarzes | |
| Metallgestänge schneeweißes und naturfarbenes Leinen überlappend | |
| übereinander, wobei die Leinwände in je eigene abstrakte Formen geschnitten | |
| wurden. Zwei neongrüne Haltegurte verankern das Wandrelief, das vom | |
| Spannungsverhältnis von Linie und Fläche lebt und Alexander Calders Mobiles | |
| in Erinnerung ruft oder Marcel Breuers aus Leisten und Flächen gebaute | |
| Stühle und Sessel, dezidiert im Heute. | |
| Die Wand des kleinen Gartenzimmers bedeckt eine schwarzweiße Fototapete, | |
| die paradiesische Nackheit inmitten der Natur zeigt, wie sie Max Pechstein | |
| 1912 für die Wandbespannung des Speisezimmers im Haus Perls gemalt hat, das | |
| Mies van der Rohe kurz zuvor in Berlin-Zehlendorf fertig gestellte hatte. | |
| Auf dem Beistelltisch MR515 von 1928 liegt die Forschungsarbeit in der | |
| Annika Weise, neben Dominik Olbrisch und Jan Maruhn eine der | |
| Kurator:innen der Schau, der Geschichte der Wanddekoration nachgeht. | |
| Mit ihr artikuliert Pechstein erstmals ganz deutlich eine expressive | |
| reduzierte Formensprache. Das „Gewand“ der Wand im Haus Perls zeigte, wie | |
| Weise herausfand, „Ocker, gebrannte Siena und Grün als Erdfarbe zu | |
| violetten Türen“ und gilt heute als verschollen. | |
| Im Damenzimmer schließlich trägt eine Schneiderbüste das weiße Kleid, das | |
| man auf einer Fotografie an der Wand wiedererkennt. Die Aufnahme stammt vom | |
| Bauhäusler Howard Dearstyne und sie zeigt 1933 Martha Lemke, die | |
| Hausherrin, in eben jenem Kleid mit einer Besucherin auf der Terrasse ihres | |
| im Jahr davor bezogenen Hauses. Auch das Gewand des dritten Raums, ein | |
| zeitlos modernes Sommerkleid, vom Typ Tenniskleid, ist eine | |
| Forschungsarbeit. Es wurde nach der Fotografie peinlichst genau | |
| rekonstruiert, nicht nur von der Form, mit den angeschnittenen Ärmeln, | |
| sondern auch von den zwei verwendeten Stoffen her. | |
| ## Von Buschallee bis Blenheim Palace | |
| Ein phantastischer Fund, nicht der Forschung, nur der schnöden Neugierde | |
| und des Zufalls: zu ihm führt der Abstecher von der Oberseestraße zur | |
| Buschallee. Eigentlich geht es nur um die Bruno Taut-Häuser mit den | |
| breiten, kastenartig ausgeführten Loggien. Aber durch einen der Durchgänge | |
| nach hinten gegegangen, zu den sogenannten Grünflächen, steht man völlig | |
| verblüfft vor einem riesigen Areal vollkommen verfallener Häuser und | |
| monumentaler Gebäude mit hochaufragendem Schornstein. Man weiß nicht, ist | |
| das Wirklichkeit? Oder ist man auf ein Filmset geraten? Das wäre dann | |
| freilich ein extrem überzeugendes Ruinenkunstwerk. Ein völliges Rätsel, in | |
| jedem Fall. Und absolut sehenswert. | |
| Aber zurück in die derzeit wirkliche, also virtuelle Welt. Auch hier wird | |
| man schnell fündig, bei der Suche nach extraordinären Orten. Über die | |
| Website von [2][Contemporary Fine Arts] zum Bespiel kommt man mit deren | |
| Künstlerin Cecily Brown in den Blenheim Palace, wo 1874 Winston Churchill | |
| geboren wurde. Auch hier geht's ums Gewand des Hauses. Was der britischen, | |
| freilich seit Mitte der 1990er Jahre in New York lebenden und arbeitenden | |
| Malerin Cecily Brown dabei in dem Riesenkasten als erstes auffiel, waren | |
| die Tapisserien und Gemälde von Jagd- und Kriegsszenen an den Wänden. | |
| Sie bilden die Grundlagen zu ihren neuen, großformatigen Leinwänden, die in | |
| für sie bekannter Art und Weise zwischen Abstraktion und Figuration | |
| changieren. Und so wie sie in expressivem Farbauftrag in leuchtendem Rosa, | |
| Rot, Orange und Ocker strahlen, können sie interessanteweise durchaus als | |
| zeitgenössisches Pendant zu Max Pechsteins Berliner Paradies gesehen | |
| werden. Freilich geht es in Cecily Browns Natur- und Landschaftsszenerien | |
| nicht so friedlich zu: Die roten Fräcke, ob sie nun die Jagdgesellschaft | |
| oder die Soldatenuniform meinen, dominieren. Dazu kommen die Hunde, die mal | |
| selbst Jäger, dann aber auch als gejagte und vom Wildschwein aufgespießte | |
| Kreatur zu erleben sind. | |
| Zu Browns Motiv wird aber auch der Blenheim Spaniel, also der Familienhund | |
| wie ihn Joshua Reynolds (1723-1792) in seinem Porträt der „Marlborough | |
| Family“ (1778) festgehalten hat. Den kleinen Hund platziert Brown wie | |
| Reynolds in die untere rechte Ecke ihrer Gemälde und macht ihn so zum | |
| visuellen Anker in der überbordenden Leinwand. Hat man ihn erst erkannt, | |
| wird man auch der anderen Tiere und menschlichen Körper gewahr. | |
| Vor Cecily Brown war auch schon mal Maurizio Cattelan ins Schloss | |
| eingeladen worden. Und hier gibt es nun wieder eine Parallele zu Berlin. | |
| Cattelan ließ in einen Toilettenraum seine goldene WC-Muschel „America“ | |
| einbauen, die von den Besucher:innen je 3 Minuten lang benutzt werden | |
| konnte – bis sie, deren Wert mit 5,4 Millionen Euro beziffert wird, am 14. | |
| September 2019 gestohlen wurde. Die Diebe verursachten dabei eine | |
| Überschwemmung im Palast. Die Berliner Goldmünze wurde übrigens nur auf 3,7 | |
| Millionen Euro taxiert. | |
| 6 Apr 2021 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://www.miesvanderrohehaus.de/ausstellungen/gewand-in-drei-akten/ | |
| [2] https://cfa-berlin.de/news/ | |
| ## AUTOREN | |
| Brigitte Werneburg | |
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