| # taz.de -- Politologin über Putins Ukrainepolitik: „Putins Politik? Nötigu… | |
| > Da die Ukraine vom Westen übersehen wird, hat der russische Präsident | |
| > mehr Platz für Manöver, sagt die Politologin Lilija Schewzowa. | |
| Bild: Eine ukrainische Soldatin schaut an der Trennlinie nahe Donezk durch ein … | |
| taz am wochenende: Frau Schewzowa, rechnen Sie mit Krieg zwischen Russland | |
| und der Ukraine? | |
| Lilija Schewzowa: Niemand will Krieg. Weder Russland, noch die Ukraine, | |
| schon gar nicht Putin. Er ist weder Kamikaze, noch ist er verrückt. Aber in | |
| einer Situation begrenzter ökonomischer Ressourcen und mit beschränktem | |
| Einfluss auf die Umgebung greift Putin zu Zwang und Nötigung. Das ist der | |
| Schlüssel in der derzeitigen Strategie des Kremls gegenüber der Ukraine, | |
| damit sie zum Minsker Abkommen und faktisch in die Rolle eines russischen | |
| Satelliten zurückkehrt, so wie es in Paris und Berlin damals unterschrieben | |
| wurde. | |
| Kann Russland dann an den westlichen Verhandlungstisch zurück? | |
| Moskau will unbedingt zurück. Putin ist nicht in Syrien einmarschiert, um | |
| Assad zu helfen. Er wollte zurück zum Dialog mit Obama, den USA, und wollte | |
| die Ukraine vergessen machen. Zurzeit beschreibt „Nötigung“ Putins Politik | |
| gegenüber der Ukraine und den USA deshalb am besten. Er hofft, dass der | |
| Westen den Druck nicht aushält und das Minsker Abkommen anerkennt. Erst sah | |
| es so aus, [1][als ginge Biden mit dem Vorschlag zu einem Treffen mit Putin | |
| darauf ein]. So einfach ist das jedoch nicht. Daher macht Putin mit der | |
| Eskalation weiter. Wenn die Ukraine und der Westen Putins Forderungen nicht | |
| annehmen, dürfte er weiter unter Druck stehen, rote Linien zu | |
| überschreiten. Krieg bedeutet für Russland nicht nur innenpolitisch | |
| Probleme. Es ist nicht mehr die Zeit, in der die Gesellschaft Särge und | |
| Leichen aus der Ukraine hinnimmt und sich mobil machen lässt. Das ist | |
| Dummheit. | |
| Moskau müsste härteste Sanktionen und internationale Isolation fürchten. | |
| In der Isolation könnte Russland die Rolle einer Großmacht nicht mehr | |
| erfüllen. Die ergibt sich nur aus dem Umgang mit anderen. Der Kreml hat den | |
| US-Botschafter einberufen und gedroht, mit Gegensanktionen zu antworten. | |
| Noch spielt Putin weiter. | |
| US-Präsident Joe Biden will sich jetzt mit Putin treffen, nicht erst im | |
| Sommer? | |
| Laut US-Seite möchte Biden sich sofort treffen. Erstens soll die Eskalation | |
| aufgehalten werden, außerdem will er Putins Reaktion einschätzen können. Am | |
| 2. Juni stehen US-Sanktionen wegen der Chemiewaffenverletzung [2][im | |
| Zusammenhang mit der Vergiftung Alexei Nawalnys] in Russland an. Wenn man | |
| sich mit Putin nicht einigen kann, sind härtere Maßnahmen zu erwarten. Zwar | |
| will niemand eine Zuspitzung, es erkennt aber auch keiner den genauen | |
| Verlauf der roten Linien! | |
| Bislang haben sich die USA für sanfte Sanktionen entschieden. 20 Prozent | |
| der russischen Staatsschulden befinden sich in ausländischen Händen. | |
| Sollten die mit Sanktionen belegt werden, würde der Rubel abstürzen. Die | |
| Amerikaner gehen sehr behutsam vor, sehr vorsichtig sogar. | |
| Dabei hätten die USA auch harte Mittel, etwa Nord Stream 2 oder den | |
| Ausschluss aus dem Swift-Zahlungsverkehr. | |
| Der Westen ist zu dieser Eskalationsstufe nicht bereit. Auf dem Treffen mit | |
| der Nato in Brüssel wurde die Ukraine nur als Punkt unter ferner liefen | |
| angesprochen, nicht unwichtig, aber sie stand auch nicht im Mittelpunkt. | |
| Afghanistan und der Truppenabzug sind entscheidend. Die Taliban drohen bei | |
| einer Verzögerung bis September mit Blut. Die Europäer stellen mehr | |
| Soldaten als die Amerikaner in Afghanistan. Sie sind wegen der Taliban sehr | |
| beunruhigt, weit weniger durch die Konfrontation in der Ukraine. Danach | |
| drängt der Iran, wo sich die Lage auch zuspitzt. China und Taiwan stehen | |
| ebenfalls auf der Dringlichkeitsliste. | |
| Die Ukraine wird übersehen? | |
| Präsident Selenski hat Ursula von der Leyen zum Unabhängigkeitstag der | |
| Ukraine im August nach Kiew eingeladen. Dort sollte zusammen mit dem Westen | |
| die Krim diskutiert werden. Das passte nicht in ihren Fahrplan. Sie kommt | |
| nicht. So sieht das Verhältnis zur Ukraine aus. | |
| Was bedeutet das für Putin? | |
| Putin erhält mehr Platz für Manöver. Moskau kann seine Truppen jedoch nicht | |
| ewig an der Grenze und in Woronesch stationieren. Russland und die USA | |
| setzen das Spiel fort. Gleichzeitig sind die Interessen zwischen Russland | |
| und der Ukraine unvereinbar. Der Konflikt kann jederzeit ausbrechen. | |
| Was stört Putin in seinem Bunker zurzeit besonders? | |
| Selenski nimmt Putins Oligarchen Medwedtschuk drei TV-Kanäle ab. Er hält | |
| sich nicht an das Minsker Abkommen und begrenzt den Einfluss prorussischer | |
| Kräfte. Russland ist isoliert und befindet sich lediglich im Vorfeld | |
| geopolitischer Aktionen. Die Ukraine ist so lästig wie eine Fliege – das | |
| könnte Putin durch den Kopf gehen. | |
| Russland wird nicht wahrgenommen, obwohl es sich das so sehr wünscht. Durch | |
| Zwang und Nötigung versucht es stattdessen, auf sich aufmerksam zu machen | |
| und seinen Willen zu erzwingen, wie ein Schlägertyp im Zweiteiler. | |
| Es gibt keine einheitliche westliche Tagesordnung, auch kein klares Konzept | |
| zur Lösung des Ukrainekonfliktes. Europa ist ukrainemüde und hoffte, der | |
| Konflikt sei eingefroren. Die USA haben eigene Probleme, US-Präsident | |
| Biden fehlt auch noch ein Russlandteam. In einem älteren | |
| US-Geheimdienstpapier aus den 2000er Jahren zu Russland und China wird die | |
| Ukraine gar nicht erwähnt. Kurzum, der Westen hat seit Langem weder | |
| Konzept, Wunsch noch Verständnis, wie er vorgehen soll. In dieser Lähmung | |
| hat Putin entschieden, die Szene aufzubrechen. Solange er im Kreml sitzt, | |
| wird sich an der Interpretation von Minsk jedoch nichts ändern. Was aber | |
| soll Moskau mit den beiden Republiken anfangen? Immerhin leben drei | |
| Millionen Menschen dort. Die Ukraine zahlt auch Renten aus, aber der | |
| Waffenstillstand hält nicht. Nur neutrale Friedenstruppen können daran | |
| etwas ändern. | |
| Putin hatte neutralen Friedenstruppen ursprünglich auch zugestimmt. | |
| Er hat die Zustimmung aber schnell widerrufen. | |
| Russland ist ein imperiales Land. Welche Bedeutung hat die Ukraine für | |
| Russlands Elite und Putin? | |
| In der Ukraine geht es nicht um Einflusssphären wie in Georgien, im | |
| Baltikum oder Kasachstan. Putin und die Eliten nehmen Russland und die | |
| Ukraine als ein Volk wahr, was die Frage noch schmerzlicher macht. Ukrainer | |
| und Belarussen sind nicht nur Teil ein und desselben Volkes, sondern auch | |
| die Fortschreibung des russischen Staates. Das macht alles viel | |
| komplizierter. | |
| 16 Apr 2021 | |
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