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# taz.de -- Tanja Handels über den Literaturbetrieb: „Der Text muss gut flie…
> Darüber, wer was übersetzen darf, gab es zuletzt viel Wirbel.
> Ausschlaggebend sollten Kompetenz und Können sein, sagt Übersetzerin
> Tanja Handels.
Bild: Tanja Handels übersetzte unter anderem „Mädchen, Frau etc.“ von Ber…
taz: Frau Handels, Übersetzer:innen bleiben oft unerwähnt, führen quasi
ein Schattendasein. Die Schriftstellerin und Übersetzerin Isabel Bogdan
fordert, wann immer Autor:innen genannt werden, auch die
Übersetzer:innen zu nennen. Wäre das in Ihrem Sinne?
Tanja Handels: Das fände ich schon toll, weil ich mir größere Sichtbarkeit
für den Berufsstand wünsche. Auch in den Rezensionen, und zwar nicht nur
dann, wenn sie an der Übersetzung etwas auszusetzen haben, sondern auch,
wenn der Stil des Buchs hochgelobt wird.
Kann man die Übersetzung nur anhand der Übersetzung, also ohne Kenntnisse
der Sprache des Originals, beurteilen?
Auf jeden Fall! Das muss man auch, wer kann schon alle Sprachen. Beim
Englischen können es viele beurteilen oder glauben, es beurteilen zu
können. Bei den romanischen Sprachen wird es schon schwieriger, und ganz
schwierig ist es bei seltenen Sprachen. Da kann man die Übersetzung oft
nicht mehr mit dem Original abgleichen. Man kann aber, unabhängig von der
Ausgangssprache, beurteilen, wie der Text auf Deutsch funktioniert.
Anhand welcher Kriterien?
Der deutsche Text muss gut fließen, und wenn man das Gefühl hat, man liest
ein stilistisch großartiges und begeisterndes Buch auf Deutsch, dann ist
die Übersetzung gut.
Ist es dann nicht besonders ärgerlich für Sie, dass im Falle Ihrer
Übersetzung von „Mädchen, Frau etc.“ von Bernadine Evaristo in Rezensionen
das hohe sprachliche Vermögen der Autorin oft hervorgehoben, Sie selbst
aber genauso oft mit keinem Wort erwähnt werden?
Ja und nein. Bei mir ist es inzwischen so, dass ich es immer auch als Lob
an mich betrachte, wenn der Stil und das Buch gelobt werden – auch wenn das
nicht explizit so gesagt wurde.
Wie gehen Sie selbst beim Übersetzen vor, lesen Sie erst das Buch einmal
durch?
Ich versuche, es immer erst einmal als Leserin durchzulesen, weil dieser
Leseeindruck dann später in meine Arbeit einfließt. Ich bin quasi die
Modellleserin und lasse das Buch nur auf mich wirken. Davor lese ich
natürlich rein, um zu entscheiden, ob ich es machen möchte.
Das ist das normale Prozedere?
Mittlerweile schon. In den Anfangszeiten habe ich noch alles übersetzt, was
nicht bei drei auf dem Baum war. Inzwischen zeigt mir die Erfahrung, dass
nicht jedes Buch für jede Stimme geeignet ist. Für mich ist wichtig, dass
ich irgendwo andocken kann, und zwar mehr auf der sprachlichen als auf der
inhaltlichen Ebene. Ich höre dann beim Lesen schon, wie das auf Deutsch
klingt. Und wenn ich das nicht höre, dann lehne ich den Auftrag ab.
Das machen alle so?
Das ist ganz individuell. Ich weiß, dass es auch sehr renommierte
Kolleg:innen gibt, die ihre Bücher vorher nicht ganz lesen. Um dann beim
Übersetzen interessierter und gespannter zu bleiben.
Wie Sie eingangs schon sagten, werden Übersetzer:innen oft nur erwähnt,
wenn es etwas auszusetzen gibt. Ihre [1][Evaristo]-Übersetzung wurde
mancherorts heftig kritisiert. Ich selbst bin beim Lesen über das Adjektiv
„farbig“ gestolpert. Haben Sie dieses Wort gewählt, weil die Episode in
einer anderen Zeit spielt und damals eben auch andere Begriffe benutzt
wurden?
Ich habe „farbig“ nur in einzelnen Kapiteln verwendet. Das waren Kapitel,
die in früheren Jahrzehnten spielen. Das Buch erstreckt sich ja vom Ende
des 19. Jahrhunderts bis 2016. Auch Evaristo verwendet ganz
unterschiedliche Ausdrücke. „Coloured“ kommt bei ihr nur in diesen früher…
Kapiteln vor, da man es heute auf Englisch eher nicht mehr benutzt. Das ist
das Problem mit diesen Triggerwörtern. Wenn ich das Buch noch mal
übersetzen würde, würde ich eine Nachbemerkung zur Übersetzung schreiben,
um meine Vorgehensweise zu erläutern.
Ein andere Bezeichnung, die Sie verwenden und die kritisiert wurde, lautet
„milchkaffeefarbene Sprösslinge“?
Das erklärt sich nicht aus der Zeit, sondern aus der Figur heraus, die hier
spricht. Sie ist ein junger Mann, der Inbegriff jedes nur denkbaren weißen
Privilegs.
Im Original spricht er von seinen potenziellen Nachkommen mit seiner
schwarzen Ehefrau als „tawny offspring“.
Und das wird als viel neutraler wahrgenommen. Dem ist aber nicht so. Es
ist zwar kein explizit rassistisch konnotierter Begriff, aber ein deutlich
abwertender, weil er häufig für Gegenstände und Tiere verwendet wird. Auf
Englisch klingt es, als spräche er über einen Wurf Hundewelpen. Es ist also
durchaus beabsichtigt, dass man beim Lesen kurz zuckt, das ist im Original
so angelegt. Ich kann absolut nachvollziehen, dass bestimmte Begriffe
verletzend sein können. Ich finde aber auch, Literatur muss das dürfen,
wenn es einen bestimmten Zweck erfüllt und in einem konkreten Kontext
steht. Evaristo selbst verwendet noch ganz andere Wörter, deren deutsche
Entsprechung ich nie benutzen würde.
Wer was übersetzen sollte, ist gerade ein großes Thema, Stichwort
[2][Amanda Gorman]. Wie erleben Sie die Debatte?
Ich finde die [3][Diskussion] überspitzt, nach dem Motto: „Ich kann Homer
nicht übersetzen, ich bin kein Grieche aus dem 7. Jahrhundert.“ Für mich
laufen da zwei Dinge durcheinander: Das eine ist das politische Anliegen,
das ich unterstütze. Die gesamte westliche Literaturbranche ist weiß
dominiert, das könnte und sollte anders werden, und eine Autorin wie Amanda
Gorman wäre tatsächlich eine Chance, junge, schwarze Stimmen ranzulassen.
Dennoch dürfte es nicht immer einfach sein, eine Übersetzer:in zu
finden, der oder die eins zu eins zum Autor:innenprofil passt. Wichtig
bleibt vor allem, dass Übersetzungen von Übersetzer:innen gemacht
werden.
Das spricht gegen die Lösung für die deutsche Übersetzung von Amanda
Gorman, die von drei Frauen, darunter nur eine Übersetzerin, geleistet
wurde?
Übersetzen ist ein Handwerk, ein Beruf, den man erlernt, und nichts, was
man so nebenbei macht. Das Ausschlaggebende sollte immer die Kompetenz und
das übersetzerische Können sein. Ich habe einige Bücher von Männern
übersetzt, die mit zu meinen Lieblingsprojekten gehören. Es ist schwer
vorstellbar, dass nur Schwarze Schwarze übersetzen, Weiße Weiße, Frauen
Frauen und Männer Männer.
Deswegen fordert das auch eher niemand. Sie sind auch die deutsche Stimme
von [4][Zadie Smith].
Gerade im Fall von Zadie Smith glaube ich, dass ich eine gute Besetzung
bin. Tatsächlich habe ich jenseits der Hautfarbe recht viel mit der Autorin
gemeinsam.
Also ist das doch wichtig?
Ich habe eben auch innerlich gegrinst, als ich das gesagt habe. Aber es
gibt nun einmal einige Gemeinsamkeiten, wie unser ähnliches Alter oder die
Tatsache, dass wir beide sehr alte Väter hatten. Wir haben auch einen
ähnlichen Blick auf die Welt. Aber das spielte bei der Auftragvergabe an
mich keine Rolle.
Sie haben Zadie Smith nicht von Anfang an übersetzt, es wurde damals jemand
Neues gesucht.
Für mich war es die Erfüllung eines Traums, weil ich Zadie Smith schon
immer wahnsinnig gern gelesen habe. Ein Glücksfall.
Bernadine Evaristo hat Sie kürzlich auf Facebook sehr für Ihre Übersetzung
von „Mädchen, Frau etc.“ gelobt.
Das hat mich sehr gefreut. Ihr Roman hält sich schon relativ lange in den
deutschen Top Ten, was sie eben auch meiner Übersetzung zuschreibt.
20 Apr 2021
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## AUTOREN
Shirin Sojitrawalla
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