| # taz.de -- Berliner Literaturszene: „Den Wonnen der Sprachlust erlegen“ | |
| > Auf dem Sommerfest des LCB dreht sich in diesem Jahr alles ums | |
| > Übersetzen. Jürgen Jakob Becker vom Übersetzerfonds erklärt, warum das so | |
| > spannend ist. | |
| Bild: Das Sommerfest des LCB gilt schon lange als eines der Highlights im Berli… | |
| taz: Herr Becker, am 28. August feiert der Deutsche Übersetzerfonds im | |
| Rahmen des Sommerfests im Literarischen Colloquium Berlin (LCB) seinen 25. | |
| Geburtstag. Wozu braucht es eigentlich einen Übersetzerfonds? | |
| Jürgen Jakob Becker: Seit den 70er Jahren hat sich die Literaturförderung | |
| für Autoren durch Preise und Stipendien, die Gründung von Literaturhäusern | |
| und den wachsenden Veranstaltungsbetrieb recht dynamisch entwickelt. Nur | |
| die Übersetzer blieben lange am Rande. Die Idee zu einem Übersetzerfonds | |
| ist aus dem Bedürfnis heraus entstanden, Übersetzung als eigene | |
| Kunstgattung zu sehen, in der Sprach- und Interpretationskunst und | |
| Vermittlungsarbeit zusammenkommen. Die [1][Übersetzerin Rosemarie Tietze] | |
| und ihre Mitstreiter haben damals bei der Kulturpolitik viel | |
| Überzeugungsarbeit geleistet. Schließlich gab es tatsächlich Fördergelder | |
| des Bundes, und der Übersetzerfonds konnte Ende der 90er Jahre loslegen. Es | |
| entstanden Arbeits- und Reisestipendien, erste Grundlagenseminare, später | |
| kamen Mentoringprogramme, Gastdozenturen und Projektförderungen dazu – und | |
| Initiativen wie Toledo und Babelwerk, die das Wissen der Übersetzer in die | |
| öffentliche Diskussion bringen. Das Übersetzen ist nicht mehr die | |
| verborgene Kunst, die sie früher einmal war. | |
| Ist es denn heute möglich, in Deutschland vom literarischen Übersetzen zu | |
| leben? | |
| Nach wie vor sind die Honorare niedrig und hinken der Entwicklung der | |
| Realeinkommen hinterher. Es ist schwer, sich allein mit den üblichen | |
| Seitenhonoraren von um die 20 Euro eine Existenz aufzubauen. Viele sind auf | |
| Einkünfte aus Nebenberufen angewiesen. Bestseller sind sehr selten, und die | |
| literarisch anspruchsvollen Texte erfordern besonders viel Zeit und | |
| verkaufen sich oft schlecht. Die Übersetzerförderung ist deshalb für viele | |
| ein wichtiger Faktor. | |
| Sie sind ja selbst kein Übersetzer – also, wie kam es überhaupt zu Ihrem | |
| Interesse am Übersetzen? | |
| Ich habe Lateinamerikanistik unter anderem bei Übersetzern wie Maria | |
| Bamberg oder Berthold Zilly studiert, habe es mir aber selbst gar nicht so | |
| zugetraut. Anfang der 90er bin ich ans LCB gekommen, wo damals die erste | |
| Übersetzerwerkstatt unter der Leitung von Karin Graf stattfand. Die „Lust | |
| am Text“, die ich in den Diskussionen dort erlebte, faszinierte mich. Ich | |
| war umgeben von klugen, interessanten, dabei sehr großzügigen und | |
| zugänglichen Leuten; ich fühlte mich da sehr wohl. | |
| Können Sie etwas genauer beschreiben, was das für Typen sind, diese | |
| Übersetzer? | |
| Das Bestiarium ist natürlich bunt und vielfältig, mit überdurchschnittlich | |
| vielen hochgebildeten, weltläufigen Charakterköpfen. Ich las unlängst ein | |
| Buch von Ian Kershaw in der Übersetzung von Klaus Binder, der nicht nur den | |
| ganzen Kershaw und Greenblatt übersetzt hat, sondern auch den Philosophen | |
| Lukrez und hundert andere Bücher. Es gibt die introvertierten, | |
| unscheinbaren Sprachgenies und die bühnenreifen Performer. Den Wonnen der | |
| Sprachlust sind die meisten erlegen. | |
| Sie kümmern sich aber nicht nur um Übersetzungen ins Deutsche, sondern auch | |
| aus dem Deutschen, richtig? | |
| Das ist in den letzten Jahren immer wichtiger geworden, ja. Wir bringen | |
| Übersetzer aus der ganzen Welt mit deutschen Autoren zusammen, machen | |
| Sommerakademien, internationale Übersetzertreffen. Stark gewachsen ist | |
| die Präsenz der Übersetzer aus dem Deutschen in eine Fremdsprache, die in | |
| Deutschland leben. | |
| Inwiefern hat sich der Blick auf das Übersetzen verändert? | |
| Übersetzen wurde lange Zeit als rein handwerkliche Sache abgetan und galt | |
| in den akademischen Diskursen eher als niederer Dienst. Aber das ist jetzt | |
| anders. In den letzten Jahren sind viele Neuübersetzungen von Klassikern | |
| erschienen, in denen Übersetzerinnen wie etwa Miriam Mandelkow in ihren | |
| Nachworten zu den [2][James-Baldwin-Übersetzungen] den eigenen Ansatz | |
| offenlegen und übersetzerisches Wissen anschaulich machen. Auch die | |
| postkoloniale Debatte hat das Übersetzen thematisiert und das Bild vom | |
| kulturellen Brückenbauer hinterfragt – man denke nur an die Debatte über | |
| Amanda Gorman letztes Jahr. Übersetzerische Fragen als Fragen an die | |
| Gegenwart – das hat es früher seltener gegeben. | |
| Ist es heute eigentlich einfacher oder komplexer geworden, Literatur zu | |
| übersetzen? | |
| Das Internet hat vieles beschleunigt. Heute wird vorausgesetzt, dass man | |
| sich auskennt in der Welt, aus der man übersetzt, was per Internet leichter | |
| machbar ist. Auch die internationalen Arbeitsbeziehungen sind viel | |
| intensiver geworden. Dadurch ist es auch einfacher, | |
| Entschlüsselungsprobleme zu lösen. Die Entschlüsselung des Ausgangstextes | |
| ist allerdings nur die erste Hürde. Daraus einen literarischen Text im | |
| Deutschen zu machen erfordert literarisches Talent und Sprachkraft – und | |
| lebenslanges Lernen. Unsere Akademie der Übersetzungskunst ist der Ort, wo | |
| man diese Talente und Kräfte stärken kann. | |
| Wie sehen Sie die Zukunft des Übersetzers in Zeiten, in denen die | |
| künstliche Intelligenz immer klüger wird – sehen Sie eine Zukunft? | |
| Es wird sich einiges verändern. Früher sorgten die Google-[3][Übersetzungen | |
| von Proust-Sätzen] für Lacherfolge in Übersetzerdiskussionen. Das ist heute | |
| anders, die Fortschritte, die die Maschinen machen, sind ganz verblüffend. | |
| Ich glaube nur, dass es noch eine ziemliche Zeit dauern wird, bis das beim | |
| „hochliterarischen“ Übersetzen richtig ins Gewicht fallen wird. Für | |
| bestimmte Arten von Unterhaltungsliteratur mag es bald schon Programme | |
| geben, die Rohübersetzungen erstellen können, die dann nur noch lektoriert | |
| werden müssen. | |
| 26 Aug 2022 | |
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| ## AUTOREN | |
| Susanne Messmer | |
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