# taz.de -- Amos-Oz-Übersetzerin Ruth Achlama: „Seine Bücher leben“ | |
> Ruth Achlama hat 13 Bücher des israelischen Schriftstellers Amos Oz | |
> übersetzt. Zu dessen Todestag spricht sie über die Arbeit an seinen | |
> Werken. | |
Bild: Ruth Achlama in ihrer Wohnung in Tel Aviv, Dezember 2019 | |
taz: Frau Achlama, Sie sind 1945 geboren und in Mannheim aufgewachsen. | |
Jetzt leben Sie seit 45 Jahren in Israel und sind eine der wichtigsten | |
Übersetzerinnen vom Hebräischen ins Deutsche. Wie ist es dazu gekommen? | |
Ruth Achlama: Ich hatte in der Schule keine eindeutige Begabung. Nur | |
Nuancen in der Sprache entdecken, das konnte ich schon früh. Als ich als | |
Kind „Onkel Toms Hütte“ gelesen habe, dachte ich: „Was für eine | |
schreckliche Übersetzung!“. Vielleicht liegt es daran, dass ich als Kind | |
viel mit Erwachsenen zusammen war und dadurch einen großen Wortschatz | |
hatte. | |
Wie kamen Sie zum Hebräischen? | |
Israel hat mich schon in meiner Schulzeit begeistert. Das Pionierwesen, | |
die jungen Menschen, die ein neues Land aufbauen, das hat mich fasziniert. | |
Bei meinem Jurastudium in Heidelberg habe ich dann „meine ersten Juden“ | |
kennengelernt. Während des Sechstagekrieges 1967 hat ein junger | |
Heidelberger mit seinem VW-Bus Geld für Israel gesammelt, und ich habe | |
geholfen. So bin ich in den jüdischen Studentenverband hineingewachsen, ein | |
lustiges, liberales Grüppchen. Dort kam noch der israelische Mann dazu, mit | |
dem ich nach Israel auswanderte. Und dann gab es in Deutschland in den | |
siebziger Jahren plötzlich eine große Nachfrage nach Literatur aus Israel – | |
aber kaum Übersetzer. Es gab die Jekkes, also die deutschen Juden, die aus | |
Nazideutschland geflohen waren. Ihr Deutsch war schön, aber etwas veraltet, | |
Vorkriegsdeutsch. In diese Lücke bin ich gestoßen. | |
Sie sind zu Suhrkamps Hausübersetzerin für Amos Oz geworden. Gibt es ein | |
Buch, das Sie am liebsten übersetzt haben? | |
Schwer zu sagen. Jedes Buch hat seine Geschichte. Das erste ist das erste – | |
und allein schon deshalb bedeutsam („Der perfekte Frieden“, 1987, Anm. d. | |
Red.). Das zweite war der Briefroman „Black Box“, der gut zu mir gepasst | |
hat, weil es darin diesen interessanten Juristen gibt und ich aus meinem | |
Jura-Referendariat die Juristensprache kannte. Außerdem hatte ich mich zu | |
einer Meisterin des Briefeschreibens entwickelt, weil die Begin-Regierung | |
Ende der Siebziger solchen Schnickschnack wie ein Telefon nur für die | |
Siedlungen in den besetzten Gebieten für nötig hielt. Über das dritte Buch | |
stand ein Lob für die Übersetzung in der FAZ. Für das vierte – „Der drit… | |
Zustand“ – hat Oz den Friedenspreis bekommen. Den Roman mag ich übrigens | |
auch deswegen gerne, weil sich mit diesem Buch die Frauenfiguren ändern. Er | |
fing da wohl an, über seine Mutter hinwegzukommen … | |
… die Suizid begangen hat, als Oz knapp dreizehn war. Wie hängt das mit | |
seinen Frauenfiguren zusammen? | |
Die Frauen in seinen ersten Romanen, etwa Hannah in „Mein Michael“, kommen | |
schlecht mit ihrem Leben zurecht. Sie sind rätselhaft, unstet, packen nicht | |
an. Das ändert sich mit „Der dritte Zustand“. | |
Oz ist bereits mit fünfzehn Jahren von zu Hause weggegangen. | |
Ja. Sein Vater hat sich recht schnell getröstet, aus der neuen Beziehung | |
hat Oz zwei Halbgeschwister. Er ist aus all dem ausgebrochen, ist in den | |
Kibbuz gegangen und hat seinen Namen gewechselt. Aus Amos Klausner wurde | |
Amos Oz, was übersetzt Kraft, Stärke heißt. Im Kibbuz war er ein „jeled | |
chuz“, das ist eigentlich unübersetzbar, „ein Kind von außen“, und dann | |
war er auch noch aus Jerusalem, seine Eltern waren Revisionisten. Außerdem | |
war Amos nicht groß und stark, wie es das Kibbuz-Ideal wollte, sondern | |
einer, der gerne schreibt und liest. | |
Wie gut kennt man einen, dessen Literatur man fast zwei Jahrzehnte lang | |
übersetzt hat? | |
Wenn man übersetzt, geht man ja ganz tief in den Text hinein, muss bei | |
jedem Satz sehen, wie man ihn gleichwertig ins Deutsche rüberbringt. Da | |
lernt man jemanden kennen. Ansonsten habe ich immer gesagt, dass es Amos’ | |
Aufgabe ist, Bücher zu schreiben und für den Frieden zu kämpfen und meine, | |
seine Bücher zu übersetzen und nicht, mich aufzudrängen. Unser Verhältnis | |
war sehr nett, aber beruflich. Allerdings konnte ich ihn jederzeit anrufen | |
und fragen. | |
Das war nicht selbstverständlich? | |
Nein, seine Telefonnummer war geheim. Er hätte sich sonst wohl nicht vor | |
Anrufen retten können. Romantisch vor Frauen. Politisch vor Männern. | |
Inwiefern? | |
Er war ja politisch aktiv, hat Ende der 1970er Jahre Schalom Achschaw – | |
Peace Now – mitgegründet. Die Leute kriegten Drohanrufe. Samech Yishar, der | |
Verfasser von „Ein arabisches Dorf“, berichtete, dass er immer wusste, wann | |
die Erzählung, die von der Vertreibung der Araber aus einem Dorf 1948 | |
handelte, in der Schule wieder durchgenommen würde. Denn dann bekäme er | |
Drohanrufe. Die Erzählung stand natürlich nur zu Zeiten von linken | |
Regierungen auf dem Lehrplan und dürfte mittlerweile daraus verschwunden | |
sein. | |
Wie viel bei einer Übersetzung sind Sie, wie viel ist Amos Oz? | |
Ich versuche, den Stil aufzugreifen. Wenn einer lange Sätze macht, kann man | |
das nicht in Stakkato verwandeln. Wenn jemand in Umgangssprache schreibt, | |
kann ich nicht Hochsprache benutzen. Das Buch muss so wirken wie im | |
Original. Wenn die Leute im Hebräischen lachen, sollten sie es auch im | |
Deutschen tun. | |
Das Neuhebräische ist ja noch eine sehr junge Sprache. Konnten Sie die | |
Veränderung der Sprache in Oz’ Büchern sehen? | |
Jede lebendige Sprache ändert sich, das Hebräische ändert sich rasanter. In | |
Oz’ ganz frühen Werken, die jetzt erst auf Deutsch erschienen sind, hatte | |
er noch in einem recht hochgestochenen Hebräisch geschrieben. Das war aber | |
schon bei seinem Roman „Mein Michael“ weg. Erst nach und nach wurde | |
überhaupt Umgangssprache benutzt, er hat das früh in seine Sprache | |
aufgenommen. | |
Oz hatte sich eigentlich als Kind geschworen, niemals nach Deutschland zu | |
kommen. | |
Ja, er und seine Eltern boykottierten deutsche Produkte. Das galt | |
allerdings nicht für Bücher. Und dann wurden in den siebziger Jahren | |
Siegfried Lenz, Heinrich Böll und Günter Grass ins Hebräische übersetzt, | |
und damit sah Amos, dass es eine neue Kultur in Deutschland gab, eine | |
Auseinandersetzung mit der Vergangenheit. Mit Lenz war er schließlich bis | |
zu dessen Tod eng befreundet. Oz hat sich immer wieder mit dem speziellen | |
Verhältnis zwischen Deutschland und Israel beschäftigt. Er hat mehrfach | |
gesagt, dass er tagsüber Deutschland genießen kann – die Freunde, das | |
Essen, die Landschaft –, aber nachts keinen Schlaf findet. Insofern passte | |
Oz für Deutschland, und Deutschland passte für ihn. | |
Er ist Deutschlands wohl beliebtester israelische Autor geworden. | |
Es gibt kaum einen Literaturpreis in Deutschland, den er nicht bekommen | |
hätte. Von dem großartigen autobiografischen Roman „Eine Geschichte von | |
Liebe und Finsternis“ kriege ich bis heute Tantiemen. Das Buch verkauft | |
sich weiterhin. Oz wurde oft als das Gewissen Israels bezeichnet. Führende | |
israelische Politiker der Arbeitspartei, wie zum Beispiel Schimon Peres, | |
waren mit ihm befreundet und berieten sich gern mit ihm. Der Friedenspreis, | |
den Oz 1992 bekommen hat, ist natürlich wie geschaffen für ihn. Auch in | |
Deutschland gab es ja Schriftsteller, die nebenher politische Ratgeber | |
waren. Diese Kombination, der Literat als politisches Gewissen des Landes, | |
das hatten Israel und Deutschland gemeinsam. | |
Oz sagte immer wieder, er wollte als Kind ein Buch werden, weil es ihn | |
unsterblich machen würde. | |
Das ist ihm gelungen. Seine Bücher leben. Vor allem seine „Geschichte von | |
Liebe und Finsternis“. Die Kombination einer Autobiografie mit der | |
Geschichte des Landes, das gelingt selten auf diesem Niveau. Er hat kurz | |
vor seinem Tod noch ein wunderbares letztes Büchlein geschrieben, ein | |
Vermächtnis für seine Kinder und Enkel: „Der letzte Vortrag“, das im | |
kommenden Jahr in Deutschland erscheinen wird. Darin fasst er grandios sein | |
politisches Erbe zusammen. Diesen schmalen Band sollte man an alle | |
Haushalte verteilen. | |
28 Dec 2019 | |
## AUTOREN | |
Judith Poppe | |
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