Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Amanda Gorman ins Deutsche übersetzt: Mission erfüllt
> Amanda Gormans Inaugurationsgedicht erscheint nun auf Deutsch. „Den Hügel
> hinauf“ überzeugt in den meisten Punkten.
Bild: Amanda Gorman bei ihrem Vortrag am Tag der Amtseinführung von Joe Biden
Schon in der deutschen Fassung des Titels lässt sich die Arbeitsweise der
drei Übersetzerinnen erkennen. Aus „The Hill We Climb“ wird schlicht und
schön: [1][„Den Hügel hinauf“]. Uda Strätling, Hadija Haruna-Oelker und
Kübra Gümüşay haben sich, um eine Relativkonstruktion zu vermeiden, für
eine reduzierte Variante entschieden, in der sowohl das Verb als auch das
lyrische Wir ausgespart ist, ohne dabei den Inhalt zu verfälschen.
Wenn man bedenkt, wie [2][emotional die Debatte] um die Frage geführt
wurde, wer das Inaugurationsgedicht von Amanda Gorman übersetzen soll, gibt
dieses Trio eine angemessen kühle Antwort, die weitgehend der Strategie
folgt, nah an der ebenfalls abgedruckten amerikanischen Vorlage zu bleiben,
ohne die sprachlichen Eigenheiten des Deutschen zu verkennen.
Eingeleitet wird das Buch mit einer Vorrede von Oprah Winfrey, die Gedicht
und Dichterin auf ein seltsam erhöhtes Podest stellt, indem sie von
„Kadenzen einer Klugheit“, einem „Inbild sanfter Anmut“, „Balsam für…
Seelen“, einem „Wunder“ und der „Macht der Poesie“ spricht. Von Lyrik
scheint die US-Talkmasterin nur wenig zu verstehen. Dass Amanda Gorman laut
ihrer Bewunderin „in ihrer strahlenden Präsenz ans Mikrofon trat“, ist
allerdings nicht zu bestreiten.
Vielleicht wäre es hilfreich gewesen, in dem Band einen Videolink zur
Veranstaltung aufzunehmen, denn nur über den Gedichttext lässt sich schon
bald nicht mehr nachvollziehen, warum der Auftritt der 22-jährigen
Lyrikerin die Amtseinführung von Joe Biden überstrahlte. Mit etwas Abstand
und bei genauer Lektüre fällt die simple Machart der Funktionspoesie eben
auf, die allzu offensichtliche „Recherche“ der Autorin. Das wird nicht
zuletzt durch den umfangreichen Anhang deutlich, in dem Bilder und Bezüge
aufgeschlüsselt werden.
## Erklärung und Entzauberung
Diese erste Übersetzung in Buchform ist gewiss für ein breites Publikum
gedacht, und so erfahren wir in einem Anmerkungsapparat, dass mit dem Hill
nicht nur das „Capitol als Sitz der Legislative und somit Zentrum der
amerikanischen Demokratie“ gemeint ist, das wenige Tage zuvor von
fanatischen Trump-Fans gestürmt wurde, sondern dass sich der Hügel auch auf
die Bergmetaphorik in der Bibel bezieht, aber genauso auf Zeilen der
afroamerikanischen Schriftstellerin Maya Angelou, die mit „On the Pulse of
Morning“ den Gedichtpart zur ersten Amtseinführung Bill Clintons übernahm.
Der Anhang erklärt und entzaubert das Gedicht gleichermaßen: „The Hill We
Climb“ offenbart sich demnach auch in deutscher Sprache als eine
naheliegende Mischung aus Anspielungen auf vergangene Anlasspoesie etwa von
Robert Frost und Richard Blanco, aus Zitaten von Barack Obama und Martin
Luther King, Sprechweisen aus dem gesellschaftlichen Diskurs der USA und
Verweisen auf Musicals sowie die Verfassung der USA.
Ein eigenständiger oder eigenwilliger Stil ist in Gormans Gospelpredigt
kaum zu erkennen. Auffällig ist ihre Vorliebe für Alliterationen, die von
Strätling, Haruna-Oelker und Gümüşay auf mal kreative, mal altmodisch
klingende Weise bestätigt werden. Aus „norms and notions“ werden
„Anschauung und Auslegung“ – schön, auch weil das Metrum hier eigene Wege
geht. Bei Gorman heißt es: „We seek harm to none, and harmony for all“. Die
Übersetzung wirkt hier holprig: „Wir wollen ohne Hader in Harmonie leben.“
An einer zentralen Stelle findet Gorman das starke Bild des „skinny Black
girls“, „Nachfahrin von Sklavinnen, Kind einer / alleinerziehenden Mutter�…
das „davon träumen kann, Präsidentin zu werden, und / nun hier, heute, für
einen Präsidenten vorträgt“. Das an dieser Stelle im Deutschen ein
generisches Femininum steht, ist sprachlich wie politisch eine kluge Wahl,
weil diese Variante den Geist des Ausgangstexts trifft.
Eine andere, ebenso wichtige Passage ist leider weniger überzeugend ins
Deutsche übertragen worden. Gorman erinnert an das Versprechen der
Verfassung: „To compose a country committed / To all cultures, colors,
characters / And conditions of man“. Strätling, Haruna-Oelker und Gümüşay
haben sich entschieden, die Hautfarbe nicht zu erwähnen, sondern den Text
mit Schlagworten zu verkürzen, die einen eher diffusen Bedeutungshorizont
aufweisen: „Ein Land für Menschen aller Art, / jeder Kultur und Lage, jeden
Schlags“. Die Übersetzerinnen erklären zwar ausführlich, warum sie das Wort
„color“ im Gedicht nicht erwähnen wollen, doch das Tilgen des
Problembegriffs wirkt trotzdem nicht souverän. Es scheint, als komme eine
„rassismuskritische Sicht“ hier an ihre lyrischen Grenzen.
29 Mar 2021
## LINKS
[1] /Inaugural-Poem-von-Amanda-Gorman/!5744435
[2] /Literatur-und-Identitaet/!5758624
## AUTOREN
Carsten Otte
## TAGS
Lyrik
Übersetzung
US-Literatur
Schwerpunkt Leipziger Buchmesse 2025
Zeitgenössische Malerei
Übersetzung
Intersektionalität
US-Wahl 2024
Bremen
Gedichte
## ARTIKEL ZUM THEMA
Marieke Lucas Rijnevelds Gedichtbände: Komm, wir streicheln uns
Zwischenräume, Übergänge, Metamorphosen und viele Tiere: „Kalbskummer“ u…
„Phantomstute“ heißen zwei furiose Gedichtbände von Marieke Lucas
Rijneveld.
Porträtmalerei der US-Präsidenten: Ein Katalog der Träume
Herrscherpaar und schwarze Community: In Los Angeles sind die offiziellen
Gemälde der Obamas im Kontext der „Black American Portraits“ zu sehen.
Tanja Handels über den Literaturbetrieb: „Der Text muss gut fließen“
Darüber, wer was übersetzen darf, gab es zuletzt viel Wirbel.
Ausschlaggebend sollten Kompetenz und Können sein, sagt Übersetzerin Tanja
Handels.
Politische Debattenkultur: Canceln und abkanzeln
Wenn eine Einzelne für die Widersprüche einer ganzen Gesellschaft herhalten
muss: Zwischenruf im Streit über die muslimische Feministin Kübra Gümüşay.
Debatte um Gedicht von Amanda Gorman: Eine verpasste Gelegenheit
Wer darf, kann und soll wen übersetzen und wie geht der Literaturbetrieb
mit Diversität um? Ein Rückblick auf die Debatte um Amanda Gorman.
Bremer Literaturpreis: Eine überfällige Ehrung
Marion Poschmann bekommt den Bremer Literaturpreis für ihren grandiosen
Gedichtband „Nimbus“. Die Preisverleihung wurde allerdings verschoben.
Neues Werk von Lyrikerin Anne Carson: Fragen in die Mona Lisa gießen
Rätselhaft schillernde Gedichte von Anne Carson in ihrem neuen Werk:
„Irdischer Durst“. Darin reiht sie Bilder und Worte assoziativ aneinander.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.