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# taz.de -- Porträtmalerei der US-Präsidenten: Ein Katalog der Träume
> Herrscherpaar und schwarze Community: In Los Angeles sind die offiziellen
> Gemälde der Obamas im Kontext der „Black American Portraits“ zu sehen.
Bild: Immersiv: Amy Sheralds Porträt von Michelle Obama
Dass Frida Kahlos Selbstporträt „Diego und ich“ jüngst zum Rekordpreis
von 35 Millionen Dollar verkauft wurde, unterstreicht, dass Porträts neben
Landschaften das beliebteste Sujet waren und sind. Maler haben Regenten,
Reiche und Prominente ihrer Zeit nicht zuletzt deswegen porträtiert, weil
davon einträglich zu leben war. Und nicht nur nebenbei haben sie (wie Frida
Kahlo) häufig auch Konterfeis von sich selbst, von Malerfreunden,
Kulturschaffenden und Mäzenen angefertigt.
Die passenderweise gerade im Getty Museum, Los Angeles, gezeigten Gemälde
des jüngeren Holbein aus dem 16. Jahrhundert haben diese Selbstbespiegelung
der politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Elitennetzwerke quer
durch Europa früh zur Meisterschaft gebracht.
Wie die Medici oder der Sonnenkönig haben sich auch demokratische
Regierungschefs in Öl oder Acryl verewigen lassen. Seit einigen Jahren
beauftragt die Smithsonian National Portrait Gallery in Washington, D. C.,
regelmäßig Künstler und seltener Künstlerinnen, aus dem Amt scheidende
Präsidenten zu porträtieren.
## Kein Donald-Trump-Porträt
Der letzte in der Reihe war nicht Donald Trump, der offenbar mit dieser
Tradition brechen will, sondern sein Vorgänger [1][Barack Obama] und
dessen Frau Michelle, bekanntlich die ersten People of Color im Weißen
Haus. Da war es nur konsequent, dass die beiden mit [2][Kehinde Wiley] und
Amy Sherald zwei bekannte afroamerikanische Künstler gewonnen haben. (Das
Porträt des ersten, von Bill Clinton gewählten nichtweißen Künstlers,
Simmie Knox, ist nicht zu besichtigen, weil der Maler einen versteckten
Hinweis auf das blaue Kleid von Monica Lewinsky ins Bild geschmuggelt
hatte.)
Die Obama-Porträts brechen deutlich mit der steifen repräsentativen
Porträtmalerei früherer Zeiten, wenn man von dem posthum von John F.
Kennedy angefertigten Porträt absieht, das ihn in nachdenklicher Pose mit
gesenktem Blick im Sommeranzug zeigt. Die beiden Obama-Gemälde sind
inzwischen auf Tournee gegangen und haben als zweite Etappe nach Chicago
das Los Angeles County Museum of Arts (LACMA) erreicht.
Hier ist vor allem der Kontext interessant. Das Museum, das seit Jahren
afroamerikanische Kunst sammelt und präsentiert, stellt die lebensgroßen
Porträts nämlich in eine Reihe mit 150 Gemälden, Fotografien, Skulpturen
und Videoinstallationen von 100 ganz überwiegend nichtweißen Künstlern, die
ausschließlich Afroamerikaner*innen zeigen.
## Barack Obama
Diese „Black American Portraits“ nehmen eine dezidiert schwarze Perspektive
ein und unterstreichen damit nicht nur, dass seit 1776 der erste nichtweiße
Präsident die Vereinigten Staaten regiert und repräsentiert hat. Sie weisen
auch darauf hin, dass sich die Rassendiskriminierung in und nach dem Ende
seiner Amtszeit eher noch verschärft hat.
Da Wileys Obama so bewusst an die Tradition der neuzeitlich europäischen
Herrscherporträts anschließt, fragt sich, wie sich diese mit dem
ausdrücklichen black gaze verträgt, der in den Nebenräumen vorherrscht.
Black Gaze hat die auch in Deutschland bekannte Kulturwissenschaftlerin
Tina Campt die spezielle Art des Schauens bezeichnet, wenn Schwarze Blicke
unter sich und mit anderen (im Fall dieser Ausstellung mit überwiegend
Weißen) wechseln: so intim wie distanziert und nie leicht zu entschlüsseln.
Für Campt geht es darum, „unser tägliches Leben, die Schönheit unseres
Körpers, unsere naiven und kühnen Bestrebungen und unsere Hoffnungen und
Träume zur Veränderung unserer gegenwärtigen Realität zu katalogisieren.
Unser Repertoire besteht nicht mehr aus handgefertigten Alben oder
Sammelalben; es sind jetzt Facebook, Youtube, Instagram, (schwarzes)
Twitter und zahlreiche andere selbstkuratierte Onlinesammlungen, die von
gewöhnlichen Menschen erstellt wurden, um die Wechselfälle des schwarzen
Lebens einzufangen.“
Schwarze Menschen waren lange unsichtbar oder Objekte übergriffiger
Schaulust; sie standen weißen Malern Modell, sangen, spielten und tanzten
vor weißen Besuchern als exotische Schausteller. Die kompakte Ausstellung
im LACMA zeigt eher Alltags- und Familienszenen im safe space der schwarzen
Community, wie das Großfoto des queeren Künstlers Clifford Prince King im
Kreis seiner Freunde.
## Schwarze Persönlichkeiten
Zu sehen sind auch Idole wie der Abolitionist Frederick Douglass, selbst
ein ehemaliger Sklave, oder Thurgood Marshall, der erste schwarze Richter
am Supreme Court, die Ausnahmeperformerin Grace Jones, die beiden
Black-Power-Athleten Tommie Smith and John Carlos bei den Olympischen
Spielen von 1968 mit erhobener Faust, und Patrisse Cullors, Initiatorin von
Black Lives Matter. Und nicht zuletzt der Malerstar Jean-Michel Basquiat
und der im Gefängnis zur Malerei gestoßene Fulton Leroy Washington.
Alle Porträtvarianten von Holbein und Nachfolgern finden sich hier wieder.
Manche demonstrieren Selbstbewusstsein, andere senden verschlüsselte
Botschaften, wie das sarkastische Blackfacing in Kerry James Marshalls
„Porträt des Künstlers als Schatten eines früheren Selbst“.
Es fehlen nicht Zeugnisse von Gewaltexzessen gegen Afroamerikaner, aber die
wenigsten der überwiegend aus eigenen Beständen geholten Exponate geben sie
in subalternen Positionen wieder. Gleich das Erste ist der um 1800 von
unbekannter Hand entstandene „Sailor“, wohl ein Bildnis des schwarzen
Captain Paul Cuffe, der es zu einigem politischen Einfluss und großem
Reichtum gebracht hatte.
## Wie Abraham Lincoln
Von ihm spannt sich der Bogen zum Herrscherporträt Barack Obamas, der sich
auch in den Podcast-Dialogen mit Bruce Springsteen immer mehr wie eine
Ikone der Popkultur präsentiert. In der Manier Abraham Lincolns lässig
vorgebeugt auf einem Holzstuhl sitzend, die Hände auf den Knien und mit
offenem Hemdkragen, schaut er hier auf die Besucherprozession. Wenn Wiley
ihn in rankende Pflanzen unterschiedlicher Provenienz (Kenia, Hawaii,
Chicago) taucht, soll das seine letztlich multikulturelle Identität
hervorheben.
Raffinierter noch als dieser Black Adam im üppigen Paradiesgarten wirkt Amy
Sheralds kleinformatigeres Porträt von Michelle LaVaughn Robinson Obama,
wie sie mit vollem Namen heißt. Besucher reagieren auf ihr ernstes, fast
geisterhaft wirkendes, grau gedecktes Gesicht eher enttäuscht: So sah sie
nicht aus, sie war doch eine strahlende, energische Person!
## Michelle Obama
Dass sie selbst genau diese Darstellung gewünscht hat, ist schon ein
Argument für diese Variante, doch vor allem hat Sherald (genau wie in ihren
sonstigen Arbeiten en grisaille) die frühere First Lady weder aus ihrer
Community herausragen lassen wollen noch sie als Repräsentantin einer
nichtweißen Minderheit ausgewiesen.
Sherald hebt die öde Kombination von Farbe und „Rasse“ auf, vermeidet
demonstrative Blackness und lässt lieber immersiv den Black Gaze wirken.
Das ist der Clou der Kombination im LACMA: Das abgetretene Herrscherpaar
reiht sich ein und wird zugleich von der Resistenz der übrigen
Porträtierten berührt. Mehr kann ein Ex-Präsident kaum erreichen. Aber
vielleicht eine Ex-First Lady?
11 Dec 2021
## LINKS
[1] /Kara-Walker-in-der-Schirn-Kunsthalle/!5805644
[2] /New-Yorker-Museen/!5762161
## AUTOREN
Claus Leggewie
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Zeitgenössische Malerei
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