# taz.de -- Kara Walker in der Schirn Kunsthalle: Keine Lust zum Role-Model | |
> Künstlerin Kara Walker hat ihr Archiv geöffnet. In Frankfurt sind die | |
> verstörenden rassistischen Zerrbilder zu sehen – die sie mit Witz | |
> ausbreitet. | |
Bild: Ausschnitt aus Kara Walkers Arbeit “'merica 2016“ | |
„Ich fühle nicht wirklich das Bedürfnis, ein Statement zu einer | |
Malerei-Ausstellung abzugeben“, schrieb die Künstlerin Kara Walker 2017 | |
anlässlich einer Eröffnung ebenjener. Die genervte Erschöpfung, mit der sie | |
es dann doch tut, ist dem folgenden Text anzumerken. Sie wisse, was nun von | |
ihr erwartet werde, und habe gewissermaßen ja auch mitgespielt, schreibt | |
Walker. | |
Nach einer ausführlichen Abhandlung über rassistische Abscheulichkeiten | |
schließt sie mit dem denkbar Konkretesten, was sich über ihre Kunst zu | |
diesem Zeitpunkt sagen lässt; einer Aufzählung von Materialien und Farben | |
nämlich, die sie für besagte Ausstellung verwendet hat. Und dem Fazit, | |
diese sei „in keiner Weise erschöpfend, aktivistisch oder umfassend“. | |
Eine „Stimme zu haben“ oder, „schlimmer noch, ein ‚role-model‘ zu sei… | |
wie es in dem Text von ihr heißt, darauf hat die US-Amerikanerin auch in | |
Frankfurt keine Lust. Ja, ihre Kunst handelt davon, eine Frau zu sein, | |
Schwarz, Amerikanerin. Offenkundig. Aber darüber hinaus macht Walker zur | |
Eröffnung von „A Black Hole Is All A Star Longs To Be“ deutlich: Sucht hier | |
bitte nicht nach Welterklärungen. Für einen Ablasshandel im | |
Ausstellungsraum ist sie nicht zu haben. | |
Seit Jahrzehnten bringt Kara Walker Protagonisten in den Ausstellungsraum, | |
die man in den USA längst vergessen haben wollte: Die Pickaninnies, | |
Mandingos, Mammys und Uncle Toms, rassistische Karikaturen aus den | |
Südstaaten, die sich als Memorabilia bis heute geheimer Beliebtheit | |
erfreuen. Jene verletzenden und verstörenden Bilder breitet Walker seitdem | |
mit beißendem Witz und einer Lust an der Zurschaustellung jener | |
Perversionen, aus denen sie sich speisen, aus. | |
## Zeichnungen, Collagen, Skizzen und Filme | |
Jetzt werden rund 650 ihrer Arbeiten auf Papier in der Schirn Kunsthalle in | |
Frankfurt präsentiert, zuvor waren sie in Basel zu sehen: klein- und | |
großformatige Zeichnungen, Collagen, Notizen, Skizzen und Aquarelle, vieles | |
ultraassoziativ, zudem einige Filme mit Walkers berühmten | |
Scherenschnittfiguren. Die Künstlerin hat ihr Archiv geöffnet – und auch | |
solche Arbeiten mitgebracht, die sie zunächst als gar nicht geeignet für | |
den Ausstellungsraum befand: die Skizze, das Unfertige, auch mal | |
Unraffinierte, der Affekt. | |
Doch scheint gerade das Medium der Zeichnung geeignet, um die Widersprüche | |
und Gleichzeitigkeiten zwischen Fremd- und Selbstzuschreibung, | |
Künstlerinnenalltag und Tagespolitik aufzufächern. Denn Walkers Verhandeln | |
ist ein Verhandeln im Wortsinn. | |
Ein Hadern, Zaudern, Zurückweisen – nur um die Bilder von Lynchmorden und | |
Sklaverei, Afrika-Exotik und [1][Jim-Crow-Ära] andernorts vorzuschicken, | |
gegen andere und sich selbst in Stellung zu bringen. Kara Walkers | |
alternative Geschichtsschreibung changiert zwischen Ohnmacht und | |
Selbstermächtigung, enthemmter Gewalt und unerwarteter Zartheit. | |
Ihre Strichführung ist selbstbewusst; aus primär hellen und dunklen, aber | |
auch bunten Farben erwachsen ganze Historienbilder, während grobe, breite | |
Linien Skizzen und Slogans ergeben. Überhaupt spielt Sprache eine wichtige | |
Rolle im Werk der Künstlerin. Oft grätschen Metakommentare ins Bild oder | |
ergeben selbst eines: „Is Race Less Fluid Than Gender? Like Viscous | |
Dehydrated Semen? Caked Upon Your Face?“ | |
## „I Am Not My Negro“ | |
Formal stechen die großformatigen Pastellkreide-Arbeiten heraus, die Barack | |
Obama als Projektionsfolie eigener Obsessionen und der anderer verhandeln. | |
Als „Othello, der Mohr“ trägt der ehemalige US-Präsident den Kopf seines | |
Nachfolgers unterm Arm. Doch auch einem Heilsbringer Obama wird die | |
gebotene Skepsis entgegengebracht, wenn der göttergleich vom Himmel auf die | |
Erde blickt. | |
Trotz der formal plakativen Sprache weiß man manchmal am Ende nicht, welche | |
Geschichte man hier genau erzählt bekommt und von wem. Witz und doppelter | |
Boden sind wichtiges Arbeitsinstrument. „I Am Not My Negro“, heißt es | |
Schwarz auf Grafitgrau-Weiß, in Anlehnung an [2][Raoul Pecks Film über | |
James Baldwin]. | |
Walkers Zeichnungen zeugen vom Bewusstsein, dass race gleichzeitig | |
ausgedachter Bullshit ist wie gesellschaftliche Realität – und wenn das so | |
ist, dann kann man den täglichen Kampf mit den Bildern doch gleich | |
künstlerisch fruchtbar machen. | |
Ein Rundgang durch Walkers Zeichnungsarchiv wirft zwangsläufig Fragen nach | |
dem Fetischgehalt jener Bilder auf: Was hätte es zu bedeuten, wenn da | |
tatsächlich eine pervertierte Form von Romantik aus manchen der von Walker | |
zitierten Stereotypen trieft, wie es 2002 eine taz-Besprechung nahelegt? | |
Und muss man sie fürchten, kann man ihrem faulen Zauber verfallen? | |
## Walker erlaubt sich keine Angst | |
Erwähnenswert ist, dass Walker selbst sich erst später, vermittelt durch | |
Bilder und Besuche der Südstaaten, Schwarz zu fühlen begann, wie sie einmal | |
erklärte. Ihre Zeichnungen sind Suchbewegungen, die den Dualismus, den sie | |
sich selbst zu Nutze machen, gleichsam unterlaufen wollen. Nicht zuletzt | |
handeln sie von der Untauglichkeit der Symbole, dem Misstrauen auch gegen | |
die eigene Bildschaffung. | |
Es bleibt ein stetiges Austarieren zwischen der Vereinnahmung der Bilder | |
und dem Sich-vereinnahmen-Lassen durch ebenjene. Aus dieser nervösen | |
Grundhaltung erwächst ein Kosmos, der im Ausstellungstitel von vergehenden | |
und entstehenden Planeten den Urzustand künstlerischer Schaffenskraft | |
beschreibt, phonetisch aber noch etwas anklingen lässt – will der Stern nun | |
ein Schwarzes Nichts oder ein Schwarzes Ganzes werden? Dieses | |
Alles-oder-Nichts findet sich in Walkers Zeichnungen wieder; einmal | |
verschwindet eine Figur wörtlich in einem See aus Kohlschwarz. | |
Kara Walker erlaubt sich keine Angst. Sie betrachtet die Zerrbilder der | |
anderen und wirft den Blick zurück auf Papiere und Leinwände. In den | |
Ausstellungshallen suchen sie nun ihr Publikum heim. Es spukt im White | |
Cube. Die erlösende Katharsis bleibt weiterhin aus. | |
21 Oct 2021 | |
## LINKS | |
[1] /Buch-ueber-Rassismus-in-den-USA/!5346726 | |
[2] /Politischer-Film/!5380712 | |
## AUTOREN | |
Katharina J. Cichosch | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Rassismus | |
Ausstellung | |
Kunst | |
Moderne Kunst | |
Kolonialgeschichte | |
Grimms Märchen | |
Zeitgenössische Malerei | |
Schwerpunkt Rassismus | |
Schwerpunkt Rassismus | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Museum in Amsterdam: In den Echokammern der Kolonialzeit | |
Das Tropenmuseum Amsterdam zeigt die Schau „Unser koloniales Erbe“. Sie | |
reflektiert kritisch die Verflechtungen von Kolonialismus und Ethnologie. | |
Henrik Schrat illustriert Grimms Märchen: Seinen Platz in der Welt suchen | |
Der Berliner Künstler illustriert Grimms Märchen und plötzlich sieht man | |
sie als Geschichten von Ausgestoßenen und Außenseitern. | |
Porträtmalerei der US-Präsidenten: Ein Katalog der Träume | |
Herrscherpaar und schwarze Community: In Los Angeles sind die offiziellen | |
Gemälde der Obamas im Kontext der „Black American Portraits“ zu sehen. | |
„Ein anderes Land“ von James Baldwin: Zum Greifen nah | |
James Baldwins „Ein anderes Land“ ist ein Roman über das rettende Potenzial | |
der Liebe – das immer wieder verspielt wird. Nun ist er neu erschienen. | |
Politischer Film: Was wissen schon die Kennedys? | |
Raoul Peck gelingt mit „I Am Not Your Negro“ ein brillanter, wenngleich | |
pessimistischer Filmessay über Rassismus in den USA. | |
Buch über Rassismus in den USA: Im Fleischwolf der Strafverfolgung | |
Schwarz? Ab in den Knast! Das Buch „The New Jim Crow“ der Juristin Michelle | |
Alexander hat in den USA eine breite Debatte ausgelöst. |