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# taz.de -- Die Kunst von Lynette Yiadom-Boakye: Sie malt keine Opfer
> Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen K20 in Düsseldorf: „Wenn sie pathetisch
> werden, überleben sie nicht“, sagt Lynette Yiadom-Boakye über ihre
> Figuren.
Bild: „A Concentration“ heißt dieses Bild von Lynette Yiadom-Boakye aus de…
In sich ruhend und zugleich angespannt sitzen sich zwei Schwarze Männer in
der Hocke gegenüber. Mit aufmerksamem Blick fixieren sie den jeweils
anderen. Die Figuren wirken vertraut und geheimnisvoll zugleich, ihr Lauern
ebenso verschwörerisch wie bedrohlich. Beide Männer scheinen bereit, der
konzentrierten Pose schon im nächsten Augenblick eine unvorhersehbare
Bewegung folgen zu lassen. Ihre rätselhafte Körperhaltung, die
Voodoo-Rituale gleichermaßen impliziert wie kunsthistorische Vorbilder, ist
ebenso wenig eindeutig zu bestimmen wie der undefinierte Raum aus
weiß-grauen Farbspuren, der die beiden Körper hinterfängt.
Die Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen K20 zeigt Lynette Yiadom-Boakyes
„Fliegen im Verbund mit der Nacht“, die erste umfangreiche Ausstellung der
britischen Künstlerin in Deutschland. Die Ausstellung folgt einer ersten
Präsentation in der Tate Britain, die im Jahr 2020 aufgrund des Lockdowns
nur wenige Tage geöffnet war – allerdings mit so großer Resonanz, dass die
Schau in diesem Jahr nach einer weiteren Station in Luxemburg noch einmal
in das traditionsreiche Haus zurückgeholt werden soll.
Lynette Yiadom-Boakye wurde 1977 in London geboren, wo sie heute lebt und
arbeitet. Sie ist ghanaischer Abstammung und nahm 2019 am von der Kritik
hochgelobten Ghana Freedom Pavilion auf der Internationalen Biennale von
Venedig teil. Im Jahr 2018 wurde sie mit dem renommierten Carnegie
International Prize ausgezeichnet und stand 2013 auf der Shortlist für den
Turner Prize.
Yiadom-Boakye gilt als eine der bedeutendsten figurativen Künstlerinnen der
Gegenwart. Ihre Arbeiten sind in Museumssammlungen auf der ganzen Welt
vertreten und wurden in Einzelausstellungen, etwa im New Museum of
Contemporary Art, New York (2017), oder im Haus der Kunst, München (2015),
ausgestellt.
## Das Porträt erneuern
Yiadom-Boakye gehört zu einer Reihe zeitgenössischer Künstler und
Künstlerinnen, die in den zurückliegenden Jahren das traditionellste aller
Genres modifiziert haben: das gemalte Porträt. In ihren Gemälden stellt sie
ausschließlich Menschen dar, Frauen und Männer, einzeln und in Gruppen. Sie
erscheinen in ihrer rätselhaften Besonderheit absolut lebensecht.
Tatsächlich aber, so betont die Künstlerin, entspringen sie ihrer
Vorstellung. Es gefalle ihr einfach, bemerkt die Künstlerin, die auch
Schriftstellerin ist, dass ihre Figuren durchweg „erkennbar schwarz“, aber
nicht real, sondern „ganz und gar mein Konstrukt“ sind.
Aus unterschiedlichen Bildquellen extrahiert Yiadom-Boakye ihre Motive,
stöbert im Bildreservoir der europäischen Kunstgeschichte des 19. und 20.
Jahrhunderts, ebenso wie in Familienalben, Zeitungen und Modemagazinen, sie
studiert Gesten, Begegnungen und Alltagserfahrungen gleichermaßen [1][wie
Details aus Gemälden Alter Meister]. Den Rest schafft die Imagination im
Zusammensetzen von Persönlichkeiten.
## Motive aus der Kunstgeschichte
Das Verführerische dieser Mischwesen aus Fakten und Fiktion verstärkt sich
in Szenen, in denen sich die Persönlichkeit der Dargestellten mit bekannten
Motiven aus der Kunstgeschichte überlagert. Yiadom-Boakyes Erkundungen des
Chiaroscuro erinnern an Bildnisse von Rembrandt van Rijn oder die
sogenannten schwarzen Bilder von Francisco de Goya. Die Verwendung subtiler
Grau- und Weißtöne zeugt gleichermaßen von der Verwandtschaft mit Paul
Cezannes Tischtüchern oder den voluminösen Kissen, auf denen Edouard Manets
Olympia ruht. Die Leidenschaft der Malerin für ein intensives Rot ist vor
allen auf die Bildnisse des britischen, heute kaum mehr bekannten
Fin-de-Siècle-Malers Walter Sickert zurückzuführen.
Die Bilder verführen dazu, sich beim Betrachten vor allem auf die
reduzierte, zurückhaltende Atmosphäre und die ruhigen, gelassenen Gesten
der Figuren zu konzentrieren. Das genaue Studium der Hintergründe der
Gemälde kann aber ebenso lohnend sein. Sie überzeugen als virtuose Übungen
in Monochromie, welche die komplexe Rätselhaftigkeit der Darstellung noch
verstärken. Im Verzicht auf detailreiche Inszenierungen und Hinweise auf
konkrete Zeiten und Orte gelingt Yiadom-Boakye die Flüchtigkeit einer
Stimmung. Interieurs sind oftmals dunkel und nur flüchtig markiert, und
Außenräume werden in undefinierbaren Landschaften angesiedelt.
## Traditionelle Genres subtil untergraben
Für die Düsseldorfer Ausstellung wurden rund siebzig meist großformatige
Gemälde in einen überzeugenden Dialog gebracht. Er erlaubt einen profunden
Einblick in das seit den frühen 2000er Jahren geschaffene Werk und
konfrontiert frühe Arbeiten, in denen gedämpfte, erdige Farben überwiegen,
mit aktuellen Arbeiten, die sich durch stärkere Kontraste auszeichnen.
Durchweg zitiert Yiadom-Boakye Bildtypen wie das Porträt, das
Konversationsstück und das Gruppenporträt. Indem sie in ihren Darstellungen
jedoch jede soziale Zuordnung vermeidet, werden traditionelle Genres auf
subtile Weise untergraben. Mittels der Fantasiekonstrukte ihrer People of
Color paraphrasiert Yiadom-Boakye die westliche Moderne und kalibriert
unsere Vorstellungen von Kunstgeschichte neu.
Den Prozess, in dem sich das besondere Wesen ihrer Subjekte herausbildet,
beschreibt die Künstlerin so: „Wenn sie pathetisch werden, überleben sie
nicht – sobald mir jemand leid tut, werde ich ihn oder sie los. Ich male
keine Opfer.“ Die Aussage ist sowohl Verweis auf den jahrhundertealten
Kanon der westlichen Malerei, in dem Schwarze Menschen oftmals auf eine
marginalisierte Rolle reduziert wurden, als auch Beispiel einer „conceptual
correctness“.
Indem Yiadom-Boakye es vermeidet, Stereotypen zu erfinden, werden ihre
fiktiven Protagonist*innen zu nachdenklichen, souveränen und
selbstbestimmten Akteur*innen. Die Stimmung in ihren Gemälden ist die eines
Familienalbums, einer Gemeinschaft gleichgesinnter Freunde, die einander
respektieren. Gemeinschaft wird Liebe und Eros vorgezogen.
## Schöne, selbstbewusste Schwarze Menschen
Auch wenn der Begriff Blackness zentral für ihr Werk ist, hat Yiadom-Boakye
immer wieder klarzustellen versucht, dass ihr die formale Seite der Malerei
besonders wichtig ist: das Interesse an der Wechselwirkung und Erforschung
von Form und Farbe. Raffinierte Schichtungen, modulierte Nuancen,
Schattierungen und monochrome Modulationen demonstrieren Raffinesse und
Vergnügen, mit denen die Künstlerin eine breite Vielfalt von
Pigmentierungen innerhalb einer einzigen Farbe untersucht.
Bereits der assoziative Titel der Ausstellung, „Fliegen im Verbund mit der
Nacht“, legt nahe, dass es die dunklen Koloraturen sind, die es
Yiadom-Boakye besonders angetan haben. Das durchgehende Chiaroscuro
befördert allerdings weniger Assoziationen von Unterdrückung und Rassismus
als von lapidar in dunkles Kolorit gefärbten Räumen und Landschaften, die
die Figuren in harmonischer Tonalität wie selbstverständlich hinterfangen.
Hatte Yiadom-Boakye in den 2000er Jahren noch Figuren mit fratzenhaft
verzerrten Gesichtern gemalt, sind ihre Protagonist*innen neuerdings
schöne, selbstbewusste Schwarze Menschen. Das „vorsätzlich grob“ Gemalte
und die „leicht böswillige Ausstrahlung“, das die Tate-Kuratorin Andrea
Schlieker Yiadom-Boakyes frühen Figuren in ihrem Katalogessay attestiert,
ist in den jüngeren Arbeiten „weitgehend verschwunden“. Was durchaus zu
bedauern ist: Auch wenn sie ihre malerische Handschrift über die Jahre
perfektionieren konnte, die Emphase der frühen Werke von Yiadom-Boakye ist
in den neuen Werken verglüht.
12 Jan 2022
## LINKS
[1] /Serie-Alte-Meister/!t5482010
## AUTOREN
Jacqueline Rugo
## TAGS
Kunst
Malerei
Porträt
Zeitgenössische Malerei
Nachruf
Kunst
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