# taz.de -- Album „Ambuya!“ von Stella Chiweshe: 20 Metallzungen gegen Herz… | |
> „Ambuya!“, das Signaturalbum der simbabwischen Künstlerin Stekka | |
> Chiweshe, wird neu veröffentlicht. Ein Rückblick auf ihre Karriere. | |
Bild: Stella Chiweshe kam in den 80er Jahren von Simbabwe nach Berlin | |
Gelegentlich fährt [1][Stella Chiweshe] an die Krumme Lanke, einen See im | |
Südwesten Berlins gelegen, um mit ihrer Mbira für das Wasser zu spielen. | |
Dabei habe sie festgestellt, so erzählt die Musikerin, die in Simbabwe groß | |
geworden ist und seit den frühen 1980ern in Berlin lebt, dass der Klang | |
ihres Instruments, das zur Familie der Lamellophone gehört und auch | |
Daumenklavier genannt wird, nicht zuletzt für die Enten in der Krummen | |
Lanke ein Magnet sei. | |
„Jedes Mal, wenn ich beim Spielen die Augen aufmache, ist eine mehr da.“ | |
Sie klingt belustigt, als sie beim Gespräch mit der taz von dieser | |
Begebenheit erzählt. Doch zugleich zeigt sich die Künstlerin überzeugt: | |
Ihre Mbira hat heilsame Kräfte. Diese habe sie schon als junge Frau für | |
sich entdeckt. Und ist sich sicher: Die Klänge wirken auch auf andere | |
Lebewesen. | |
Gerade wurde „Ambuya!“ wieder veröffentlicht, Stella Chiweshes Album von | |
1987, das ihr den internationalen Durchbruch bescherte – ein guter Anlass, | |
um auf die außergewöhnliche Laufbahn der afrikanischen Musikerin zu | |
blicken. Dass Chiweshe ihr Instrument auf diesem Album erstmals elektrisch | |
verstärkte, war ein Sakrileg – allerdings nicht das erste, mit dem es die | |
resolute Künstlerin aufnahm. | |
Als sie in den späten 1960er Jahren die Mbira für sich entdeckte, brach sie | |
mit Gesetz und Tradition auf gleich mehreren Ebenen. Seinerzeit war es den | |
Menschen in ihrem Heimatland, das damals noch Rhodesien genannt wurde, | |
offiziell verboten, dieses – und andere traditionelle Instrumente – | |
überhaupt zu spielen; man konnte dafür von der britischen Kolonialmacht ins | |
Gefängnis geworfen werden! | |
## Das Spiel der Mbira kuriert Herzschmerz | |
Zudem war beim Volk der Shona, zu dem Chiweshe gehört – wie etwa 70 Prozent | |
der Bevölkerung von Simbabwe –, das Mbira-Spiel Männern vorbehalten – und | |
wurde ausschließlich bei rituellen Anlässen eingesetzt. Trotz dieser | |
Widerstände spielte Chiweshe 1974 ihr Debütalbum „Kasahwa“ein. Dass sie | |
ihrem Instrument Mbira treu blieb, erklärt sie heute so: „Ich hatte | |
Herzschmerzen, ihr Klang hat mich kuriert.“ | |
„Ambuya!“ ließ auch die britische Radio-DJ-Legende John Peel aufhorchen. | |
Peel spielte ihre Songs regelmäßig im Programm von BBC und brachte Chiweshe | |
neuen Publikumsschichten nahe. Dann lud er Chiweshe auch zu einer seiner | |
beliebten „Peel Sessions“ ein und sie spielte dafür live auf Sendung. | |
Diese Aufnahmen von 1988 gibt es nun zur Wiederveröffentlichung von | |
„Ambuya!“ dazu. Das Wort Ambuya bedeutet übrigens Großmutter, aber | |
beschreibt auch – auf abstrakterer Ebene – einen weiblichen Geist. | |
Mittlerweile ist der Albumtitel mit einem Ausrufezeichen statt Fragezeichen | |
versehen – wohl weil die heute 74-jährige Chiweshe sich damit selbst meinen | |
darf. | |
Aufgenommen hat sie das Album damals mit der angepunkten Global-Beats-Combo | |
3 Mustaphas 3. Als die Band 1982 anfing, wild zu fusionieren, was ihnen | |
unterkam, war die sogenannte Weltmusik, heute ein umstrittener Begriff, | |
noch gar nicht erfunden: 3 Mustaphas 3 [2][mixten Balkan-Beats] mit | |
lateinamerikanischen Rhythmen und spielten gerne auf Instrumenten aus dem | |
Mittleren und Fernen Osten. | |
## Polyrhythmischer Drive und viel Popappeal | |
Diese anarchistische Herangehensweise brachte die Band auch in die Sessions | |
mit Chiweshe ein. Die Aufnahme erinnert die Musikerin als „einen | |
fantastischen Moment. Als ich die Band zum ersten Mal traf“, erzählt sie, | |
„gingen wir nach zwei Stunden Probe zusammen auf eine Festivalbühne – und | |
danach direkt ins Studio.“ | |
Ein Bandmitglied von 3 Mustaphas 3, der britische Musikologe Ben Mandelson | |
(alias Hijaz Mustapha), produzierte das Album, bei dem der durchdringende | |
und zugleich warme, vibrationsreiche Klang der Mbira prominent eingebunden | |
ist in einen polyrhythmischen Drive und viel Popappeal. | |
„Ambuya!“ transportiert Chiweshes charakteristische Vitalität und einen | |
Bandspirit, der sich etwa von Chiweshes ebenfalls tollen, deutlich | |
hypnotischeren Album „Taking Mbira“ (2002) unterscheidet, bei dem die Mbira | |
eher Soloinstrument ist. | |
Aus den gut 20 Metallzungen, die über einen hölzernen Resonanzkörper | |
gespannt sind und angeschlagen werden, holt Chiweshe einen erstaunlich | |
facettenreichen Klang. Die Mbira spielt sie mit beiden Daumen, mit denen | |
sie die Zungen nach unten schlägt, und einem nach oben schlagenden | |
Zeigefinger. Neben Chiweshes Signatur-Instrument und ihrer eindrücklichen | |
Stimme tragen die Perkussionsinstrumente Marimbaphon und Hosho zum | |
charakteristischen Sound von „Ambuya!“ bei, zudem ein elektrischer Bass und | |
Drums. | |
Über seinen ersten Produzentenjob sagt Mandelson rückblickend: „Das Gute an | |
diesem Sprung ins kalte Wasser war: Keiner kann sagen: so macht man das.“ | |
Mit dem Album nahm Chiweshes internationale Karriere auch an Fahrt auf. | |
Trotzdem blieb sie immer bei einem emanzipatorischen statt folkloristischen | |
Ansatz, wie er in der sogenannten Weltmusik seinerzeit sehr verbreitet war; | |
sie agiert freigeistig, ohne das kulturelle Vermächtnis ihres Instruments | |
aus den Augen zu verlieren. | |
Immer wieder reist die Berlinerin in ihre alte Heimat und ist dort | |
sozialpolitisch aktiv. Gerade sammelt sie per Crowdfunding Geld für das | |
„Chivanhu Project“: ein Musikzentrum, das sie als ihr Vermächtnis in | |
Simbabwe bauen lassen will. | |
6 Apr 2021 | |
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## AUTOREN | |
Stephanie Grimm | |
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