# taz.de -- Kulturszene in Bosnien-Herzegowina: Nicht mehr ihr Land | |
> Die Stadt Mostar hatte vor dem Krieg ein reiches Kulturleben. Heute | |
> wandert die kreative Szene ab. Daran wird auch die Wahl nichts ändern. | |
Bild: Die Street Art in Mostar gedeiht, doch viele junge Künstler sehen keine … | |
MOSTAR taz | Die Stadt seiner Kindheit ist für Muky nicht mehr Heimat, | |
sondern nur eine verlorene Hoffnung, und deswegen will er weg, und zwar | |
diesmal für immer. | |
„Ich kann einfach nicht mehr“, sagt er. Was soll er, ein DJ, geprägt vom | |
Sound der Berliner Techno-Szene, auch anfangen an diesem Ort, wo es für | |
seine Musik kein Publikum gibt, kein Geld und keine Clubs? Mustafa Kajan, | |
alias DJ Mr. Muky, 33 Jahre, lebt in Mostar, Bosnien und Herzegowina, ein | |
dünner Mann mit Sonnenbrille und ausgeblichenem Hemd. Er sitzt auf der | |
Terrasse des Jugendkulturzentrums Abrasevic. Sein Deutsch ist akzentfrei. | |
Als der Bosnienkrieg ausbrach, floh seine Familie nach Mainz. | |
Es waren die 90er Jahre, die Hochzeit der Techno-Kultur. Mustafa Kajan war | |
dieser Musik sofort verfallen. Dann endete der Krieg, und er wollte zurück. | |
Er war 16 und glaubte, dass er die Stadt so vorfinden würde, wie er sie in | |
Erinnerung hatte. Die Wirklichkeit, sagt er, traf ihn wie ein Schock, | |
überall Soldaten, ausgebrannte Häuser, verwüstete Siedlungen. | |
Das ist inzwischen fast 20 Jahre her. Weite Teile der Stadt sind wieder | |
aufgebaut worden. Doch dicht unter der Oberfläche gären Ängste und | |
verdrängte Erinnerungen. Mostar, früher eine multiethnische Stadt mit | |
lebendiger, vielseitiger Kulturszene, ist in zwei Hälften zerfallen: Die | |
muslimischen Bosniaken dominieren den Osten, die katholischen Kroaten den | |
Westen. „Es ist, als wäre das jetzt eine andere Stadt“, sagt Kajan. | |
Der DJ steht für eine Generation junger Kreativer, deren Antrieb sich an | |
den desolaten Strukturen erschöpft. Die Parlaments- und | |
Präsidentschaftswahlen am Sonntag werden daran nichts ändern; die führenden | |
ethnonationalistischen Parteien haben kein Interesse an Reformen, von denen | |
die ganze Bevölkerung profitieren würde. Korruption und Misswirtschaft | |
blockieren die Entwicklung des Landes. Kajan wird daher nicht wählen gehen, | |
„bringt nix“. | |
## Folklore und Mafiagehabe | |
Kurz nach dem Krieg sah es eine Weile so aus, als wäre ein Aufbruch | |
möglich. Kajan erinnert sich an illegale Technopartys in Kriegsruinen, an | |
Raves und DJ-Workshops, finanziert mit internationalen Geldern. Dann | |
versiegten die Fördermittel, Projekte liefen aus. Ein Club, in dem jede | |
Woche Techno-DJs auflegten, wurde in eine Turbofolk-Disko umgewandelt. | |
Turbofolk, das ist eine Mischung aus Folklore, stampfenden Beats, Kitsch, | |
Silikon-Starlets und Mafiagehabe, die während des Krieges aufkam. „Das wird | |
jetzt in fast allen Clubs gespielt“, sagt Mustafa Kajan matt. „Total | |
bescheuert.“ | |
Zwar gibt es städtische Kulturzentren. Aber das Programm ist dürftig. Vor | |
allem fehlt es an unabhängigen Plattformen, wo sich junge Künstler | |
ausprobieren und vernetzen können. Ein paar Kreative versuchen, selbst eine | |
kulturelle Infrastruktur zu schaffen. Mustafa Kajan ist Teil einer Gruppe, | |
die das Abrasevic betreibt. Fast täglich gibt es dort Konzerte, Filmabende | |
oder Lesungen. Kajan legt ab und an auf. Doch das reicht nicht. „Ich | |
verliere meine Energie“, sagt er. „Das ist nicht mehr mein Zuhause.“ Er h… | |
ein halbes Jahr in Berlin verbracht. Dort will er hin, und zwar so schnell | |
wie möglich. Sein Visum hat er bereits beantragt. | |
Wegen seiner dysfunktionalen Politik und maroden Wirtschaft gilt Mostar als | |
Mikrokosmos Bosnien und Herzegowinas. Die Stadt breitet sich in einem | |
Talkessel aus. In der Mitte fließt die Neretva, auf einer Seite ragen | |
ottomanische Minarette auf, auf der anderen hohe Kirchtürme; weiter östlich | |
liegen rissige Straßen zwischen verfallenen Gebäuden, daneben geschlossene | |
Geschäfte, Schusslöcher, Schilder, die vor Einsturzgefahr warnen, bleierne | |
Apathie, zwischen Fluss und Berghang gegossen. | |
## „Die Regierung mag uns nicht“ | |
Ein frisch gestrichener Bau hebt sich hell aus dem Straßenbild ab. Das | |
Pavarotti Music Center ist, wie das Abrasevic, ein wichtiger Baustein der | |
unabhängigen Kulturszene von Mostar. | |
Im Foyer sitzt Orhan Maslo, hochgewachsen und kräftig, mit krausen Haaren | |
und Bart, 36 Jahre. „Der größte Teil unseres Wissens und Könnens sickert in | |
den Westen ab“, sagt er. „Den Kindern wird gesagt: Geht bei der ersten | |
Chance, die ihr habt.“ Maslo war jahrelang als Schlagzeuger Teil der | |
Rockband Dubioza Kolektiv. Vor drei Jahren stieg er aus, um die Leitung der | |
Mostar Rock School zu übernehmen, die im Pavarotti-Center untergebracht | |
ist. 100 Kinder nehmen dort Musikstunden – aus beiden Seiten der Stadt. | |
„Die Regierung mag uns nicht“, sagt er. „Sie unterstützt uns kein Stück… | |
Er selbst hat einen Teil seiner Kindheit auf der Straße verbracht; mit | |
zwölf lief er von zu Hause weg. Als der Krieg begann, war er 13 oder 14 und | |
schloss sich einer bosniakischen Miliz an. „Es war ein Weg, etwas zu essen | |
und ein Bett zu bekommen.“ Später kam er in einem Waisenhaus unter. Dort | |
lernte er den britischen Komponisten Nigel Osborne kennen, der nach Mostar | |
gekommen war, um ein Musiktherapieprogramm für traumatisierte Kinder | |
aufzubauen. Eine Weile begleitete er Osborne, der ihn zu seinem Assistenten | |
gemacht hatte. Mit Dubioza Kolektiv war er als Musiker erfolgreich. Die | |
Gruppe, eine der bekanntesten des Balkans, gab 180 Konzerte im Jahr, | |
weltweit. Für Bands, die nur in Bosnien und Herzegowina auftreten, ist es | |
fast unmöglich zu überleben, sagt er, der Markt ist viel zu klein. „Wir | |
haben unser Geld auf dem internationalen Markt gemacht.“ | |
## Auswandern oder bleiben? | |
Inzwischen ist es ihm wichtiger, in Mostar zu bleiben. Er will die Musik | |
nutzen, aber er macht sich nichts vor. „Musiker sind keine Politiker. | |
Kultur kann ein Werkzeug sein“, sagt er, „doch ohne Förderungssystem, nur | |
mit gutem Willen, erreichst du nicht viel.“ | |
Westlich des Boulevards sind die Häuser in besserem Zustand, zwischen | |
renovierten Fassaden liegen Pizzerien und Bistros. Ein schmaler Mann in | |
Bermudashorts zieht durch eine Seitenstraße, vorbei an einem Park, und | |
betritt ein Café. Mirko Bozic, Schriftsteller, 32 Jahre, gehört zu denen, | |
die mit ihrer Heimat abgeschlossen haben. Er wird auswandern, sagt er, | |
„sobald es geht“. Auch er spricht Deutsch, weil er als Kind zwei Jahre in | |
Neuss gelebt hat. In seinen Gedichten geht es um das Leben in seinem Land, | |
„um die kleinen Absurditäten des Alltags“. Sein Gedicht „Der Patriot“ | |
handelt davon, nicht dazugehören, kein Teil einer Gruppe sein zu wollen, | |
„weil es dich zwingt, in bestimmten Mustern zu denken.“ | |
Bozic hat drei Lyrikbände veröffentlicht. Geld verdient er damit kaum. Er | |
schreibt Kolumnen für Nachrichtenwebsites, doch auch die zahlen nicht | |
regelmäßig. Ein Buch herauszubringen, ist nicht schwierig, ein Publikum zu | |
erreichen umso mehr. Es gibt kaum noch Literaturkritiker, sagt er, viele | |
Zeitungen haben nicht einmal mehr einen Kulturteil, „und niemand scheint es | |
zu vermissen“. | |
## Misstrauen gegen die Kultur | |
Der Literatur gehe wie allen anderen Bereichen: Geld und Vetternwirtschaft | |
bestimmen das Geschäft, die Qualität leidet. „Die ökonomische und die | |
politische Situation und die allgemeine Atmosphäre sind kleinbürgerlich“, | |
sagt er mit einer Stimme wie trockenes Gras. Kleinbürgerlich heißt für ihn: | |
misstrauisch gegenüber der Kultur, konservativ, religiös, homophob. Ehe das | |
Land seine Spaltung überwinden kann, müsse es erst mit der Wirtschaft | |
aufwärtsgehen. Kapitalismus kann durchaus eine einigende Wirkung haben, | |
sagt er. | |
Zwar gibt es in Mostar nach wie vor zwei Elektrizitätswerke, zwei | |
Telefonanbieter, zwei Universitäten und zwei Müllabfuhren. Aber in der | |
Shoppingmall treffen alle Ethnien aufeinander. „Oder bei McDonald’s. Das | |
ist auch eine Art Versöhnungsfaktor, da stehen sie alle zusammen in der | |
Schlange, und keiner achtet auf den anderen, weil alle auf diese blöden | |
Burger gucken.“ | |
In der Nähe breitet sich eine asphaltierte Fläche aus. Der Spanische Platz | |
war vor dem Krieg ein belebtes Zentrum. Jetzt ist er eher ruhig. „Manchmal | |
denke ich, dass die soziale Spaltung inzwischen schlimmer ist als die | |
politische, zwischen Arm und Reich“, sagt Valentina Mindoljeciv. Sie steht | |
vor einem orangefarbenen Prachtbau am Rand des Platzes. Vor acht Jahren hat | |
darin das United World College eröffnet, das sie leitet – eine der wenigen | |
Schulen landesweit, in der Kinder aller Ethnien zusammen lernen, dazu 40 | |
weitere Nationen. Die Direktorin ist mit Ljubica Bajo gekommen, einer | |
jungen Lehrerin. An ihrer Schule, sagt Mindoljevic, mischen sich Schüler, | |
die sonst keine Gelegenheit hätten, einander kennenzulernen. Die Narben des | |
Kriegs heilen nur langsam. „Im Moment stagniert alles. Jetzt, kurz vor den | |
Wahlen, erstehen alle Vampire wieder auf.“ | |
## Die Graffitikunst gedeiht | |
Aber die Mauern ringsum sind mit Graffiti bedeckt, ein Astronaut schwebt | |
über dem Platz, weiter hinten sind Pilze, Blumen und Fantasiewesen zu | |
sehen. Seit drei Jahren organisieren Mindoljevic und Bajo jeden Sommer ein | |
Street Art Festival, bei dem junge Graffitisprayer und internationale | |
Street-Art-Künstler die Fassaden der Stadt gestalten. „Es geht darum, das | |
Leben zurück auf die Straße zu bringen“, sagt Ljubica Bajo. Die jungen | |
Kreativen sollen den öffentlichen Raum zurückerobern. Die Stadt lässt sie | |
gewähren. „Es kostet sie ja nichts und hat zudem einen touristischen Wert.“ | |
Valentina Mindoljevic stammt aus Kroatien; sie kam nach dem Krieg als | |
humanitäre Helferin nach Mostar. „Es war wie ein Kulturschock“, sagt sie. | |
Vor dem Krieg prägten Rock ’n’ Roll und Alternative die einheimische Musik; | |
aber die Mainstreamkultur hat sich seither verändert. Turbofolk ist ein | |
Massenphänomen geworden. Mindoljevic verdreht die Augen. „Die Leute hätten | |
sich früher geschämt, so was zu hören.“ | |
Trotz allem bringt sie es nicht fertig, Mostar zu verlassen. „Manchmal | |
frage ich mich: Bin ich eigentlich verrückt? Aber ich kann nicht gehen. Es | |
ist, als hätte ich hier noch eine Aufgabe zu erledigen.“ Dann machen sich | |
die zwei Frauen auf den Heimweg. Sie laufen zwischen Trümmern, | |
Fastfood-Ständen, Werbeplakaten und brüchigem Beton, auf dem bunte Bilder | |
leuchten. | |
12 Oct 2014 | |
## AUTOREN | |
Gabriela Keller | |
## TAGS | |
Bosnien und Herzegowina | |
Mostar | |
Kunst | |
Ex-Jugoslawien | |
Bosnien und Herzegowina | |
Wahlen | |
Bosnien und Herzegowina | |
Mostar | |
Asylpolitik | |
Bosnien | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Musik im ehemaligen Jugoslawien: Vom Krieg zum Beat | |
Der Weg des Turbofolks von Vukovar über Dayton bis zum Ende des | |
Milošević-Regimes war lang. Eines ist sicher: Er ließ niemanden kalt. | |
Reformen in Bosnien und Herzegowina: Ein Vorstoß aus Berlin | |
Die Außenminister aus Großbritannien und Deutschland wollen Bosnien | |
Reformen andienen, um sich der EU anzunähern. Dafür gebe es auch Geld. | |
Kommentar Wahl Bosnien-Herzegowina: Sieg der alten Garde | |
Die neue demokratische Strömung konnte die 46 Prozent Nichtwähler nicht | |
mobilisieren. So haben wieder die Nationalisten gewonnen. | |
Kommentar Brüssels Bosnien-Politik: Die EU versagt in ihrem Protektorat | |
Die Wähler in Bosnien sollen „positiven Schwung“ ins Land bringen, fordert | |
die EU – als hätte sie nichts mit der verkorksten Lage zu tun. | |
Die Brückenspringer von Mostar: „Du zahlst, ich springe“ | |
Die Brücke von Mostar in Bosnien-Herzegowina galt als Sinnbild der | |
multiethnischen Stadt. Für Edi Fink bietet sie die Möglichkeit, Geld zu | |
verdienen. | |
Kommentar „Sichere Herkunftsländer“: Gute Menschen, schlechte Menschen | |
Asyl für Balkan-Flüchtlinge? Die Grünen müssen entscheiden, ob Bosnien, | |
Serbien und Mazedonien sicher sind. Deals sind fehl am Platz. | |
Überschwemmungen in Bosnien: Die Menschen leben wieder in Angst | |
Weniger als ein halbes Jahr nach dem letzten großen Hochwasser sind die | |
Dörfer um Prijedor schon wieder von Fluten bedroht. |