# taz.de -- Neues Album von Pharoah Sanders: Bären haben die Musik | |
> Mit „Promises“ veröffentlichen der Londoner Elektroniker Floating Points | |
> und US-Jazzsaxofonist Pharoah Sanders eine vibrierende Kollaboration. | |
Bild: Reinheit ist die Pest: Pharoah Sanders und Floating Points beim Improvisi… | |
Was nach Engelsharfen und Glasperlenspiel klingt, ist in Wirklichkeit ein | |
Cembalo. Es grummelt kaum vernehmbar in der Ferne, dazu poltert ein | |
Klavierdeckel, der auf- und zugeklappt wird und dabei scharrt wie ein | |
Perkussionsinstrument. | |
Von Einkehr bis Aufbruch ist mächtig was los auf „Promises“: das gemeinsame | |
Album des britischen Elektronikproduzenten [1][Sam Shepherd (Floating | |
Points)] mit dem US-Freejazzsaxofonisten Pharoah Sanders und dem London | |
Symphony Orchestra, aufgenommen über einen Zeitraum von fünf Jahren. | |
Vorab: Die Musik will als Ganzes gehört werden, sie verlangt nach einer | |
anständigen Stereoanlage und ist Kopfhörern nicht abgeneigt, gerade weil | |
die Ausdrucksfülle von „Promises“ ziemlich filigran daherkommt. „Promise… | |
umfasst 46 Minuten, ein zusammenhängender Track, untergliedert in neun | |
Sequenzen zwischen einer und knapp zehn Minuten Dauer. | |
Den Auftakt macht ein Melodiemotiv, das wie eine Wegmarke sich durch das | |
ganze Album ziehen wird. Ein Wiedererkennungseffekt, mit dem bereits auf | |
John Coltranes Blaupause „A Love Supreme“ gearbeitet wurde, einem der | |
Sechziger-Jahre-Alben, das mit dem Freiheitsgedanken des modernen Jazz | |
synonym gesetzt wird. | |
## Pharoah Sanders | |
Genau jener omniversalistischen Klangwelt entstammt auch der 80-jährige | |
Pharoah Sanders, die zugleich immer auch ein Weltzugang ist. Er wirkt bei | |
mehreren Coltrane-Werken mit. Nach Coltranes frühem Tod 1967, spielte | |
Sanders an der Seite von dessen Witwe Alice Coltrane mit, etwa beim Album | |
„Journey in Satchidananda“. Bereits zuvor hatte er Soloalben | |
veröffentlicht. | |
„Karma“ von 1969 ist eines davon, und es mag retrospektiv fast wie ein | |
Vorgriff auf Sanders’ spätere Karriere als Wandler zwischen den Welten | |
wirken. Sein Hit „The Creator Has a Masterplan“ hat Künstlerkollegen wie | |
Louis Armstrong und Don Cherry zu Interpretationen inspiriert, und ist in | |
einer der schönsten Wendungen der jüngeren Musikgeschichte Mitte der 1980er | |
Jahre bei der US-Postpunk-Band The Gun Club wieder aufgetaucht. | |
1994 war Sanders mit dem marokkanischen Gnawa-Musiker Mahmoud Ghania an | |
dessen Album „The Trance Of Seven Colors“ und 1995 mit der Eigenkomposition | |
„Message From Home“ zu hören, beides Werke, die mit dem Produzenten Bill | |
Laswell entstanden sind und sehr zeitgemäß wirken. „The Trance Of Seven | |
Colors“ liegt seit 2019 als Wiederveröffentlichung des Berliner | |
Zehra-Labels vor. | |
## Floating Points | |
In den Neunzigern hätte die Zusammenarbeit einer Jazzlegende wie Pharoah | |
Sanders mit einem Elektronikproduzenten wie Floating Points noch für die | |
eine oder andere hochgezogene Augenbraue gesorgt; leider, um auch das zu | |
sagen, weniger bei der Elektronikfraktion. Mit der Erkenntnis, dass | |
Reinheit die Pest ist, dauert es halt. | |
Auf „Promises“ zumindest wird wild durcheinandergemischt und improvisiert. | |
Und was es da zu hören gibt! Pharoah Sanders steigt mit einem | |
Saxofonbeitrag ein, der vorsichtig vibrierend an einen behutsam beginnenden | |
Erzähler erinnert. Dabei bleibt es aber nicht. Im vierten Segment des | |
Albums hat Sanders auf seinem Saxofon einen vollen, kräftigen Ton erreicht, | |
im sechsten bläst er dann zu einer Attacke, deren Wirkung in ihrer | |
Unvermitteltheit besteht. Ansonsten ist „Promises“ kein Werk jäher Brüche. | |
An anderen Stellen grundiert und umspielt Floating Points das musikalische | |
Geschehen mit Sounds, bei denen nicht immer klar ist, was davon nun sakral | |
und was futuristisch klingt. Der Londoner Künstler nennt als seine | |
Einflüsse drei Namen, die für Atmosphäre, für Klanglandschaften und -räume | |
stehen: Claude Debussy, Olivier Messiaen und Bill Evans. | |
Shepherd versteht sich auch auf Pausen, in denen allerdings keine Stille | |
herrscht. Das fördert die Fantasie. In einem Gespräch zu „Promises“ fragt | |
Sam Shepherd Pharoah Sanders nach einem Traum. Er antwortet: „Ich bin auf | |
einem Schiff auf dem Ozean. Bären kommen vorbei und rauchen Zigarren. ‚Wir | |
haben die Musik‘, singen die Bären. ‚Wir haben, wonach du gesucht hast.‘… | |
26 Mar 2021 | |
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## AUTOREN | |
Robert Mießner | |
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