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# taz.de -- Jazzalbum „Metaphysics“ wiederentdeckt: Sturm und Drang mit jed…
> Hasaan Ibn Ali war ein grandioser Pianist und schwieriger
> US-Jazzkünstler. Nun ist sein lange verschollenes Album „Metaphysics“
> wieder aufgetaucht.
Bild: Meister seines Fachs: Hasaan Ibn Ali (1931-1980) am Piano
Was ist denn hier los? Selten so unwiderstehliches Powerplay gehört und,
selbst in den ruhigeren Passagen, eine derart verschwenderische Intensität.
Mit dieser Musik müssten sich eigentlich alle zum Jazz bekehren lassen.
Eine gestochen scharfe Schwarz-Weiß-Rückblende in seine klassische Sturm-
und Drangphase, in die Hochblüte des Hardbop, aufgenommen an zwei Tagen im
Sommer 1965. Und wer spielt? Vor allem: Wer spielt hier Klavier?
Beinahe hätten wir das nie erfahren, denn die Originalbänder des Albums
„Metaphysics“ galten als verschollen und waren mutmaßlich einem Brand im
Archiv des US-Labels Atlantic zum Opfer gefallen. Der Krimi um das
Auftauchen einer sagenumwobenen Kopie, um ihre Restaurierung und die
sorgfältige Neuedition ist fast zu hübsch, um wahr geworden zu sein.
Dazu kommt noch die Aura der Hauptperson, des afroamerikanischen Pianisten
nämlich, der auf dem Grat zwischen Genie und Wahnsinn volles Risiko
einging, und das nicht nur am Klavier. Es ist wirklich alles angerichtet
für die große Legendenbildung.
„Metaphysics. The Lost Atlantic Album“, jetzt nach einer halben Ewigkeit
erstmals veröffentlicht, ist tatsächlich eine Sensation. Und der Mann, der
sie auf dem Kerbholz hat, eine so gut wie unerhörte Entdeckung.
## Sein Fürsprecher Max Roach
Denn von Hasaan Ibn Ali (als William Henry Lankford 1931 geboren) gab es
bisher nur ein einziges Werk: „The Max Roach Trio Featuring The Legendary
Hasaan“. Jazzdrummer Roach war damals einer seiner prominenten Fürsprecher
gewesen und hatte ihn 1964 Musikmogul Nesuhi Ertegun für Atlantic Records
empfohlen. Da Ali direkt nach den „Metaphysics“-Aufnahmen wegen
Drogenbesitz in Haft kam und somit für die Promotion ausfiel, ließ Atlantic
die Bänder in der Versenkung verschwinden – der ultimative Karriereknick
für den Pianisten, der in der Folge nie mehr richtig Tritt in der Jazzszene
fassen sollte.
In den Clubs seiner Heimatstadt [1][Philadelphia] war er schon zuvor
musikalisch unter- und sozial überfordert gewesen und fiel nun wieder in
seine eigenbrötlerische Stubenhocker-Existenz zurück. Dann und wann kamen
Kollegen zum Jammen vorbei, zunächst [2][John Coltrane], später McCoy
Tyner, am häufigsten aber Odean Pope. Und dieser kolossale, hierzulande
kaum bekannte Tenorsaxofonist ist, neben Art Davis (Bass) und Kalil Madi
(Drums), auf „Metaphysics“ dabei. Seine traumwandlerische Engführung mit
Alis Klavier ist die Frucht einer zehnjährigen gegenseitigen Vertrautheit.
Das Quartett spielt ausnahmslos Eigenkompositionen des Leaders, das
Titelstück paraphrasiert Charlie Parkers „Confirmation“. Hasaan Ibn Alis
pianistische Traditionslinie verläuft von Count Basie zu Elmo Hope, womit
Bud Powell und [3][Thelonious Monk] ebenfalls in Reichweite sind. Wie sie
geht auch Ali unerschrocken in die Abstraktion, stellt vertrackte Rätsel in
den freien Raum und entwickelt nachvollziehbare Lösungen.
## Technisch nie am Limit
Immer wird dabei eine Geschichte erzählt, und technisch scheint dieser Mann
nie ans Limit gehen zu müssen. Er bietet alle erdenklichen
Anschlagtechniken auf, ob erlaubt oder verboten, setzt die
Boogie-Woogie-Pranke ein, wetzt jede Kralle, rast über die Tastatur oder
klimpert sich einfach nur was. Welch unermesslicher Klangkörper ein
Klaviermöbel doch sein kann.
Auch ein Rahsaan Roland Kirk, ein Philly Joe Jones und weitere
Jazz-Koryphäen bewunderten Ali, dem sperrigen Charakter zum Trotz, für
seine wagemutige Originalität und setzten sich für ihn ein. Es half nichts.
1981 ist Hasaan Ibn Ali nach dem Wenigen, was überliefert ist, völlig
vereinsamt gestorben. „Metaphysics“ war seine unüberbietbare Sternstunde
und glitzert auch heute noch wie am ersten Tag. Kein Findling, vor dem man
ehrfürchtig erstarrt, sondern ein Lebenszeichen für immer, dank der
Wiederveröffentlichung durch das US-Indielabel Omnivore.
11 Jun 2021
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## AUTOREN
Andreas Schäfler
## TAGS
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