# taz.de -- 100. Geburtstag von Thelonious Monk: Der Gott des Jazz | |
> Thelonious Monk veränderte die Jazzmusik auf gleich zwei Kontinenten. Für | |
> den radikalen Künstler gab es „keine falschen Töne“. | |
Bild: Er kämpfte für die Freiheit, radikal zu sein: Monk, hier im Minton’s … | |
Eigentlich sollte er schon Ende November 1963 auf dem Titelbild des Time | |
Magazine zu sehen sein, doch die Ermordung von US-Präsident John F. Kennedy | |
durchkreuzte diese Planung. Erst im Februar 1964 war es dann soweit: | |
Thelonious Monk, der genialische US-Jazz-Pianist, dessen wie gehämmert | |
wirkenden Melodie-Verfremdungen das Klavierspiel des Jazz revolutionierten, | |
wurde endlich weltberühmt. | |
Mit Monks Wechsel zum Majorlabel Columbia Records war dem Künstler der | |
Durchbruch gelungen. Eines der sechs Alben, die allein 1964 erschienen | |
waren, trägt den bezeichnenden Titel „Monk’s Time“. Die Zeit war auf sei… | |
Seite. | |
Thelonious Sphere Monk wurde am 10. Oktober 1917 in Rocky Mount, North | |
Carolina, geboren, mit zwei Geschwistern wuchs er bei seiner Mutter in New | |
York auf. Im Apollo Theater war er bereits als 13-Jähriger mehrfacher | |
Gewinner des Piano-Amateurwettbewerbs, in Harlem trat er auch bei House | |
Rent Parties auf, halblegalen Privatparties, auf denen die Wohnungsinhaber | |
für ihre Miete Geldspenden sammelten. Der junge Monk begleitete auch seine | |
Mutter auf der Orgel, wenn sie in der Kirche sang. | |
Mit 17 verließ er die Schule und ging mit einer Wanderpredigerin auf Tour. | |
In „Minton’s Playhouse“ in Harlem war er der Hauspianist – ein | |
chinesischer Hut, eine schwarze Sonnenbrille und ein Ziegenbärtchen seine | |
Markenzeichen –, als dort Anfang der 1940er Jahre bei Jamsessions von | |
Charlie Parker und Dizzy Gillespie der Bebop erfunden wurde, jene ungestüme | |
wilde Art des urbanen Jazz. | |
## Es gibt keine falschen Töne | |
Monks Mutter, bei der er lange wohnte, ging arbeiten, während er im Hause | |
anderen jungen Musikern wie Miles Davis und Sonny Rollins seine | |
Kompositionen „Well, You Needn’t“, „Straight, No Chaser“ und „'Round | |
Midnight“ erklärte. Längst sind sie Standards, gehören zu den Klassikern | |
der Jazzgeschichte. Aufnahmen für das legendäre Blue Note Album „Genius of | |
Modern Music“ machte Monk bereits 1947, doch der Verkauf seiner Alben blieb | |
zäh. | |
Erst 1957, inzwischen beim Label Riverside unter Vertrag, leitete | |
„Brilliant Corners“ mit Sonny Rollins und Max Roach die Wende ein. Wichtige | |
Auftritte und Alben folgten. Die größten Erfolge feierte Monk schließlich | |
mit den Kompositionen aus seiner Anfangszeit, die er immer wieder neu | |
interpretierte. Eine Coverversion seines Songs „'Round Midnight“ machte | |
etwa den Kollegen Miles Davis 1957 zum Jazzstar. | |
Monks Freund und Kollege, der Schlagzeuger Max Roach (1924–2007), | |
problematisierte rückblickend die Folgen von Sklaverei und Segregation. „In | |
den USA gibt es Millionen von Schwarzen, die gewaltsam psychisch deformiert | |
wurden. Wir haben keine Vergangenheit! Fragtest du Thelonious Monk: ‚Monk, | |
woher kommst du?‘ Er sieht aus wie ein Afrikaner und antwortet: ‚Ich komme | |
aus North Carolina in den USA.‘ Welche Sprache sprichst du? ‚Hm, ich | |
spreche nicht gut Englisch.‘ | |
Auf verbreitete Vorurteile, Monk würde falsch spielen und die | |
Klaviertechnik nicht beherrschen, konterte er mit der Ansage, dass es gar | |
keine falschen Töne auf dem Klavier gibt. „Es sind nicht die Noten, es ist | |
der Sound, der swingt.“ Monks Kompositionen sind Harmonien, die man singt. | |
„Der Sound deines Herzens“, wie es der Trompeter Don Cherry (1936–1995) in | |
einem seiner letzten Interviews über seinen Kollegen liebenswert urteilte. | |
Der Maler Jackson Pollock und Monk saßen im Publikum, als Cherry 1959 mit | |
Ornette Coleman in New York den Jazz befreite, Freejazz wurde geboren; | |
einfach war das nicht. | |
## Die Freiheit, radikal zu sein | |
„Discrimination is important“ und „Stay in shape!“ lauteten einige von | |
Monks Merksätzen, die der Sopransaxofonist Steve Lacy (1934–2004) in seinem | |
Notizbuch festhielt, als er 1960 über einen Zeitraum von 16 Wochen täglich | |
mit Monk in einem New Yorker Club auftrat. Wenn man Lacy nach jenen | |
Anfangstagen der improvisierten Musik fragte, begannen seine Augen zu | |
glänzen. Eine irre Zeit damals. New York, Monk, Malcolm X. „Jazz ist für | |
uns vor allem eine Art zu leben, und erst dann kommt die Frage, wie man | |
davon leben oder besser gesagt überleben kann.“ | |
Auf den schwarzen Kulturkritiker und Dichter Amiri Baraka (1934–2014) | |
wirkte Monk, der zeitlebens als schwierig und unzuverlässig galt, zunächst | |
äußerst seltsam und bizarr: „In den frühen Sechzigern diskutierte man in | |
der Lower East Side New Yorks ähnlich über John Coltrane. Und Sun Ra galt | |
immer als verrückt. Thelonious kämpfte für die Freiheit, radikal zu sein, | |
und bemühte sich gleichzeitig, die Bedürfnisse der Menschen, die er | |
erreichen wollte, auszuloten.“ | |
Ein Konzertabend bei den Berliner Jazztagen geriet 1969 zu einem | |
Schlüsselerlebnis für viele Musiker in Europa, als Thelonious Monk im | |
Anschluss an Cecil Taylor live auftrat. „Taylor sah wunderhübsch aus in so | |
einem türkisen Glanzanzug und hat das Klavier zunichte gespielt. Danach hat | |
Monk an dem verstimmten Klavier ‚Blue Monk‘ und seine kleinen klirrenden | |
Dinge gespielt, mit so einer ganz ruhigen Mütze auf“, berichtet der | |
Multiinstrumentalist Rüdiger Carl. | |
Auch die Pianistin Irène Schweizer war im Publikum: „Als ich Free Music | |
gespielt habe, gab es wenig mehr als Cluster und Ellbogen, Technik war sehr | |
wichtig. Habe 1969 Monk in Berlin gehört, dadurch bin ich davon wieder | |
abgekommen. Sein Stil berührte mich so viel mehr.“ Ohne Monk, ohne jene | |
Tradition sei er nichts, resümiert auch der Wuppertaler Freejazz-Saxofonist | |
Peter Brötzmann. | |
## Über den Lebenden wachen | |
Den geschnorrten Joint, den Alexander von Schlippenbach einst für ihn | |
drehte, rauchte Thelonious, der Einzelgänger backstage. Aber allein! Das | |
hielt von Schlippenbach nicht davon ab, 59 Songs aus dessen Gesamtwerk | |
zusammen mit „Die Enttäuschung“ unter dem Titel „Monk’s Casino“ | |
einzuspielen. Richtig schwärmen kann der Berliner Musiker vom „rhythmischen | |
Drehmoment“, Monks Stil stehe wie ein „erratischer Block“ in der | |
Geschichte. | |
Für Schlippenbach ist „in den Kompositionen der Wiener Schule die | |
‚entwickelnde Variation‘ zu höchsten Ausformungen gelangt.“ Sie fände a… | |
auch in der Jazzimprovisation über Themen und Motive statt. „Monk ist | |
dafür das klassische Beispiel, denn hier heißt es für den Interpreten nicht | |
nur über die Changes zu improvisieren, sondern in erster Linie den | |
innersten Beweggrund des Themas zu erfassen und daraus weiterzuentwickeln.“ | |
Als die Baronin Pannonica de Koenigswarter (1913–1988), Vertraute und | |
Mäzenin vieler New Yorker Jazzmusiker, Monk nach seinen drei Wünschen | |
fragte, soll er geantwortet haben, dass er mit seiner Musik erfolgreich | |
sein, eine glückliche Familie und zudem eine verrückte Freundin wie sie | |
haben wolle. Als sie bemerkte, dass er das doch alles schon habe, soll er | |
nur gelächelt haben. In den letzten neun Jahren lebte Monk zusammen mit | |
seiner Frau Nellie, mit der er seit 1947 verheiratet war, völlig | |
zurückgezogen und psychisch leidend in der Villa von Koenigswarter, der er | |
einst seine Komposition „Pannonica“ gewidmet hatte. | |
Am 17. Februar 1982 starb Thelonious Sphere Monk in Weehawken, New Jersey. | |
Sein Sohn, der Schlagzeuger Thelonious Jr., gründete das „Thelonious Monk | |
Institute of Jazz“, das heute zu den weltweit renommiertesten | |
Nachwuchsfördereinrichtungen des Jazz gehört. Steve Lacy hatte Monk einst | |
als einen Gott des Jazz bezeichnet. Dessen Augen und Ohren würden nun über | |
die Lebenden wachen. | |
9 Oct 2017 | |
## AUTOREN | |
Christian Broecking | |
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