| # taz.de -- Bassist Hughes über das Leben als Jazzmusiker: „Das Ego ist wich… | |
| > Der Bassist John Hughes kam aus Baltimore nach Hamburg. Heute spielt er | |
| > alle paar Tage ein Konzert. Ein Gespräch über den eigenen Klang und das | |
| > Gemeinsame. | |
| Bild: Konnte in Hamburg anfangs gar keine Energie spüren: John Hughes | |
| taz: Herr Hughes, Sie spielen alle paar Tage ein Konzert. Manchmal ist das | |
| Publikum überschaubar. Wann haben Sie das Gefühl, erfolgreich zu sein? | |
| John Hughes: Ich bin fast nie zufrieden. Wenn ich als Bassist eine Funktion | |
| erfülle, kann ich beurteilen, an welcher Stelle ich gut war. Es ist aber | |
| sehr selten, dass alles sitzt. Das Schöne an der freien Musik ist, dass | |
| diese Maßstäbe ein bisschen wegfallen. Wenn du dann das Gefühl hast, dich | |
| mit den anderen Musikern verstanden zu haben und alle Beteiligten im Raum | |
| einbezogen waren, dann kann man vielleicht sagen, das Konzert war ein | |
| Erfolg. | |
| Wie wichtig ist es Ihnen, dass das Publikum Sie versteht? | |
| Ich glaube, es ist ganz falsch, als Musiker zu viel an das Publikum zu | |
| denken. In Situationen, die mir besonders am Herz liegen, ist es so, dass | |
| wir in einer Band Stücke interpretieren und ich versuche, mich | |
| wohlzufühlen. In einer Band spielen wir Stücke von Thelonious Monk, einem | |
| der ersten Jazzmusiker, der mich angesprochen hat und mit dem ich mich nun | |
| schon seit 25 Jahren beschäftige. Wenn wir spielen, muss ich das Gefühl | |
| haben, mich damit zu identifizieren. Beim Musizieren will ich nicht so viel | |
| denken, sondern ein Rezeptor sein. | |
| Wie viel Zeit verbringen Sie am Kontrabass? | |
| Ich versuche jeden Tag zu spielen, manchmal habe ich acht Stunden Zeit | |
| dafür und manchmal nur zwei. An manchen Tagen fange ich an, über eine | |
| längere Zeit nur einen Ton zu spielen, um zu schauen, wie der Sound des | |
| Instruments ist. | |
| Was ist Ihr Ziel? | |
| Ich versuche, meinen eigenen Klang und mein Gehör immer weiterzuentwickeln. | |
| Wenn du als Saxophonist modernen Jazz spielen willst, hörst du am Anfang | |
| John Coltrane rauf und runter und klingst vielleicht auch ein bisschen so. | |
| Obwohl ich Coltrane vergöttere, will ich nicht mit jemandem spielen, der so | |
| klingt wie er. Denn ihn gab es ja schon. | |
| Wie unterscheidet sich der Jazz in Deutschland von dem in den USA? | |
| Als ich nach Hamburg kam, konnte ich mich nicht wirklich gut mit der | |
| Jazz-Szene identifizieren. Das, was hier im Birdland und Dennis Swing Club | |
| lief, war für mich ein bisschen zu traditionell. Es war sehr streng und | |
| akademisch. Mittlerweile glaube ich, dass ich mich früher zu wenig für | |
| manchen traditionellen Jazz interessiert habe. Früher interessierte ich | |
| mich vor allem für die Jazztradition der Fire Music und des Free Jazz der | |
| späten 50er- und 60er-Jahre und Musiker wie Dolphy, Ornette Coleman und | |
| Cecil Taylor. Doch mit der Zeit habe ich gelernt, auch andere Protagonisten | |
| zu schätzen. Musikerinnen wie Sarah Vaughan oder Anita O’Day haben auch | |
| einen unverzichtbaren Beitrag geleistet. | |
| Was war in Baltimore anders? | |
| Dort hatte ich mehr Freiheit, mich in der Musik zu bewegen. Vielleicht | |
| konnte ich mich dort in einer utopischen, unrealistischen Situation | |
| austoben. Seit vielleicht fünf Jahren habe ich in Hamburg viel mehr | |
| Möglichkeiten, in unterschiedlichen Besetzungen zu spielen. Ich glaube | |
| allerdings, dass heutzutage ein Großteil der Jazz-Straight-Ahead-Musik | |
| akademisch ist. Das liegt daran, dass die Hochschule der Ort ist, an dem | |
| diese Musik weiterlebt. Und um als Jazzmusiker durchzuhalten, musst du dein | |
| Leben finanzieren. Die meisten Leute müssen deshalb Unterricht geben – | |
| privat oder an der Hochschule. | |
| Ist Baltimore wirklich so verroht, wie es in der US-amerikanischen | |
| Fernsehserie The Wire dargestellt wird? | |
| Es ist ja schon einige Jahre her, dass ich da war. Als ich nach Baltimore | |
| zog, wohnte ich in einer WG in einem Viertel namens Pig Town. Das hieß so, | |
| weil dort früher der Schlachthof war und die Schweine durch die Straßen | |
| liefen. Die Wohnung lag an einem Gleis im armen weißen Viertel, auf der | |
| anderen Seite war das arme afroamerikanische Viertel. Die Trennung war | |
| ziemlich extrem. In Baltimore kann man gut sehen, was in den Staaten alles | |
| schiefläuft: Es gibt dort sehr viel Armut, leere Häuser, Drogen und | |
| Arbeitslosigkeit. Viele afroamerikanische Väter sitzen im Gefängnis und die | |
| Kinder verkaufen Drogen. Ich arbeitete in einem Café, das mehrfach | |
| überfallen wurde. Das ist eine Erfahrung, die einem die Augen öffnet. | |
| Wie wirkt sich dieser Zustand auf die Musik aus? | |
| Ich hatte damals mehr mit der subkulturellen Postpunk- und Hardcore-Szene | |
| zu tun. Ich glaube schon, das hat etwas mit der Stadt zu tun. Diese | |
| destruktive Energie kommt aus der Stadt und landet auch in den Suburbs. | |
| Welche Energie hat Hamburg? | |
| Eine völlig andere als Baltimore. Ich konnte in Hamburg anfangs eigentlich | |
| gar keine Energie spüren. Die Spannung war völlig weg. Ich hatte aber | |
| gleichzeitig das Gefühl, dass ich zum ersten Mal frei rumlaufen konnte, | |
| ohne mich verfolgt zu fühlen. | |
| Warum zieht ein Jazzmusiker aus Baltimore nach Hamburg? | |
| Der Grund war nicht die Musik. Ich hatte in Baltimore jemanden | |
| kennengelernt. Sie war Deutsche und wir sind zusammen nach Hamburg gezogen. | |
| Ich wusste null über Hamburg – und auch wenig über Deutschland. Natürlich | |
| wusste ich, dass Musiker wie Eric Dolphy nach Europa gekommen sind, um hier | |
| zu leben und um mit der Musik, die ihnen am Herzen liegt, ihr Leben zu | |
| finanzieren. | |
| Und wie ist es Ihnen ergangen? | |
| Das größte Problem war für mich, dass die Möglichkeit zu spielen oft an | |
| irgendeinen Kommerz gebunden war. Wenn du spielen willst, brauchst du eine | |
| Band, die dienstleistet – im besten Fall auf einer Party. Da ist Jazz dann | |
| die Hintergrundmusik. Zum Ausgleich machen Musiker dann eine Session, bei | |
| der man mit anderen Musikern in einen Wettbewerb tritt. Auch das hat mich | |
| nicht interessiert. | |
| Was stört Sie daran genau? | |
| Eine Band, mit der man sich gut verkaufen kann und eine Session, auf der | |
| man sich musikalisch austoben kann, indem man die anderen runtermacht – | |
| beidem fehlt der Sinn von Gemeinschaft. Vielleicht ist es das, was bei mir | |
| vom Do-It-Yourself-Postpunk-Feeling übrig geblieben ist: Wir machen es | |
| besser, wenn wir es zusammen machen. Natürlich ist das Ergebnis deshalb | |
| nicht immer positiv. Aber es war mir immer wichtig, gemeinsam etwas Schönes | |
| zu gestalten. | |
| Hat der Umzug Sie als Musiker zurückgeworfen? | |
| Zunächst hatte ich nicht so viele Möglichkeiten, zu spielen. Aber dann | |
| hatte ich Glück, Musiker wie Heiner Metzger, Heinz-Erich Gödecke und Chad | |
| Popple kennenzulernen. Sie haben mich durch die kleine Welt der | |
| experimentellen Musik in Hamburg geführt. | |
| Was ist das für eine Szene, die zu Freejazz-Konzerten geht? | |
| Vielleicht ist Szene der falsche Begriff. Ich glaube, es gibt in Hamburg | |
| keine wirkliche Freejazz-Szene. Allerdings gibt es heute mehr Konzerte für | |
| freie Improvisation und Free Jazz. Das liegt daran, dass der Verband für | |
| aktuelle Musik, das Hamburg Jazz Büro und andere sich für Konzertreihen | |
| einsetzen. | |
| Es heißt, dass in Deutschland nur etwa hundert Musiker von Jazzmusik leben | |
| können. Gehören Sie dazu? | |
| Nein, ich kann nicht vom Konzertieren leben. Ich merke, dass es bei mir ein | |
| bisschen besser wird. Aber nur, weil ich mich öffne. | |
| Das heißt, Sie machen mehr Auftragsarbeit? | |
| Ich nehme auch Anfragen an, bei denen ich Musik mache, die ich selbst nicht | |
| auf die Beine stellen würde. Ich nehme aber nicht jeden Auftrag an. Es ist | |
| mir immer noch wichtig, dass ich dabei etwas lernen werde. Musik ist ein | |
| guter Arbeitsplatz dafür, sich weiterzuentwickeln. | |
| Was meinen Sie damit konkret? | |
| Ich arbeite in einem Inklusionsprojekt „Barner 16“, bei dem ich in einer | |
| Band mit Leuten mit und ohne Behinderung spiele. Da bin ich schon seit neun | |
| Jahren, immer zu festen Arbeitszeiten. | |
| Davon leben Sie? | |
| Ja, zu einem Teil. Ich gebe auch Musikunterricht. Aber ich hoffe, dass ich | |
| niemals zu dem Punkt komme, dass ich das zu viel machen muss. Die | |
| Industrie hat sich durch das Medium, das die Musik präsentiert, in den | |
| letzten Jahren gewaltig verändert. Die meisten Musiker verdienen heutzutage | |
| nur noch Geld durch das Konzertieren. Ein präsentierbares Produkt deiner | |
| Arbeit, das, was früher eine Platte war, das gibt es nur noch sehr selten. | |
| Allerdings wollte ich es früher unbedingt vermeiden, mit Musik Geld zu | |
| verdienen. Da wollte ich nur das machen, was mir am Herzen liegt. | |
| Nicht das, was dem Massengeschmack entspricht … | |
| Ich hatte in jeder Wohnung Probleme mit den Nachbarn. Das extremste war, | |
| als ich frisch hierhergezogen bin. Da hat eine Nachbarin auf die Tür | |
| gehämmert und mich angeschrien – ich habe kein Wort verstanden. | |
| Wie sehr verfolgen Sie, was andere Musiker aktuell so machen? | |
| Eine Aufgabe für mich als Musiker ist es zu wissen, was es für Musik gibt. | |
| Die Jazzmusiker, die mich am meisten interessieren, haben gewusst, was es | |
| in deren Zeit gab. So wie Charles Mingus, der sich mit der Zwölftonmusik | |
| von Arnold Schönberg auseinandergesetzt hat. | |
| Ist der Bassist der heimliche Star einer Band? | |
| Du hast als Bassist unglaublich viel Macht und Verantwortung. Man darf | |
| diese Macht nicht missbrauchen. Beim Bass spürt man, was passiert. | |
| Was ist das für eine Macht? | |
| Oft hat man eine Rolle zu erfüllen, aber wenn du genug Freiheit hast, | |
| kannst du alles beeinflussen. Du kannst über den Rhythmus und die Harmonie | |
| die Musik in eine andere Richtung führen. | |
| Das heißt, Egozentriker sollten lieber nicht zum Bass greifen? | |
| Du verbringst so viel Zeit allein mit dem Instrument. Es ist leider ein | |
| Nebenprodukt des Musizierens, egozentrisch zu sein. Das Ego ist wichtig, um | |
| seine Identität zu finden und sich zwischen so vielen Meinungen über die | |
| Musiktradition zu positionieren. Manchmal muss man sich auch vor anderen | |
| schützen, weil deren Meinung für dich giftig ist. Das Ego darf aber nicht | |
| die Musik übertönen. | |
| 11 Dec 2017 | |
| ## AUTOREN | |
| Lena Kaiser | |
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