# taz.de -- Musiker Chad Popple über das Schlagzeug: „Jazz, Jazz und noch ma… | |
> Eine Tour mit einer US-Mathcore-Band führte Chad Popple Ende der | |
> 1990er-Jahre nach Hamburg. Seitdem bereichert er als Schlagzeuger in | |
> etlichen Bands das Musiktreiben. | |
Bild: Ist erst in Hamburg zum Jazzer geworden: Chad Popple | |
taz: Herr Popple, Sie spielen Schlagzeug, Vibrafon, Tabla und verschiedene | |
Percussion-Instrumente. Welches weitere Musikinstrument würden Sie noch | |
erlernen wollen? | |
Chad Popple: Ich habe gerade wieder angefangen, Trompete zu spielen. Als | |
ich zehn Jahre alt war, gab es an meiner Schule sogenannte Bandklassen, in | |
denen wir alle möglichen Instrumente ausprobieren durften. Die meisten | |
meiner Mitschüler haben sich damals auf das Schlagzeug gestürzt. Aber ich | |
trommelte ja schon, seitdem ich fünf war. Der Lehrer hat mir also eine | |
Trompete in die Hand gedrückt. Die habe ich ein paar Jahre lang gespielt, | |
dann aber beiseite gelegt, um mich ganz dem Schlagzeugspielen zu widmen. | |
Später habe ich mir ein Kornett gekauft. Das lag sehr lange in der Ecke | |
herum – bis zum Februar dieses Jahres. | |
Wie kommen Sie damit voran? | |
Sehr gut. Ich wollte immer schon ein Blasinstrument spielen lernen. Also | |
übe ich jetzt sehr viel. Ich will ja kein Meister darin werden. Aber es | |
macht mir großen Spaß, mit meinem Atem zu arbeiten anstatt mit Stöckern und | |
Schlegeln. | |
Was hat Sie als Kind dazu gebracht, sich für Beats und Rhythmen zu | |
begeistern? | |
„Animal“ von der „Muppet Show“. Ich habe ihn geliebt. Sein Duell mit Bu… | |
Rich, der Auftritt mit Harry Belafonte. „Animal“ hat wahrscheinlich ganze | |
Generationen von Schlagzeugern inspiriert. Mein erstes Schlagzeug war | |
jedenfalls das aus der „Muppet Show“, ein kleines Set für Kinder. Vorher | |
habe ich ständig auf Töpfen, Kästen und Tupperware herumgeklopft. | |
Und auf dem „Animal“-Schlagzeug haben Sie dann Ihre Familie terrorisiert? | |
Ja, und meine Eltern fanden das toll. So wussten sie immer, wo ich war. Ich | |
habe sozusagen meine Kindheit und Jugend im Keller verbracht, um mit | |
Freunden Musik zu machen. Bis ich auszog, habe ich dort mit all meinen | |
Bands geprobt. | |
Ihr Musikinteresse führte Sie schließlich nach Boston an das renommierte | |
Berklee College of Music. | |
Aber nur für drei Semester. Vorher habe ich regelmäßig Kurse am Milwaukee | |
Conservatory belegt, um mehr über Musik zu lernen, Theorie und ein bisschen | |
Klavier. In Boston habe ich Percussion und Schlagzeug studiert, danach bin | |
ich nach Minneapolis gegangen, um Musikwissenschaften und südostasiatische | |
Sprachen und Kulturen zu studieren. Außerdem wohnte dort mein Freund Ed | |
Rodriguez. Mit ihm hatte ich schon als Teenager eine Band. Er sagte: „Komm’ | |
nach Minneapolis, ich habe ein Haus mit riesigem Übungsraum.“ Das war | |
natürlich sehr einladend und es war der Anfang von unserer Band Behemoth. | |
Mit Ed Rodriguez arbeiten Sie heute noch zusammen. | |
Genau, beim Gorge Trio. Ed ist einer der besten Musiker, den ich kenne. Er | |
hat mir viel über Musik beigebracht und mir klar gemacht, dass man an | |
seinem Instrument nie auslernt. Als er mich damals mit Polyrhythmik und | |
13/8-Beats konfrontierte, dachte ich nur „Wow!“ und musste erst mal tief | |
durchatmen. | |
Wie verschlug es Sie Ende der 1990er-Jahre nach Hamburg? | |
Nach meinem Abschluss in Minneapolis wollte ich dort weg. Ich war 24, und | |
eigentlich hatte ich geplant, durch einen Uni-Job das nötige Geld für einen | |
Umzug nach New York anzusparen. Kurz danach ging ich mit meiner damaligen | |
Band Colossamite auf eine Europa-Tour, die in Hamburg endete. Dann bin ich | |
noch eine Woche in Hamburg geblieben, weil ich die Stadt sehr spannend | |
fand. Hier traf ich auf ein paar Amerikaner, unter anderem Jim von der | |
Gruppe Stau und den späteren Tocotronic-Gitarristen Rick, die in Hamburg | |
hängengeblieben waren. Da kam mir die Idee, das vielleicht auch zu | |
versuchen. Außerdem hatte ich noch eine sehr wichtige Person kennengelernt, | |
von der mir der Abschied sehr schwer gefallen wäre … | |
So hat sich der New-York-Plan in Luft aufgelöst? | |
Ja. Ebenso wie der Plan, nach Sizilien zu gehen. Eine dortige Band hatte | |
mir nämlich angeboten, als Schlagzeuger bei ihr einzusteigen. Aber ich habe | |
mich dann für Hamburg entschieden. | |
Fühlt sich ein Schlagzeuger, der seinen Wohnsitz wechselt, nicht erst dann | |
wieder zu Hause, wenn er einen Übungsraum findet, in dem er spielen kann? | |
Klar. Aber das ging ziemlich schnell. Ich hatte bald Kontakt zu vielen | |
anderen Musikern. Und schließlich war ich mit einer Schlagzeugerin | |
zusammen, die mir weiterhelfen konnte. Sie hat mich etwa an den | |
Hochschuldozenten, Buchautor und Bassisten Peter Niklas Wilson vermittelt, | |
der mich mit Heiner Metzger bekannt gemacht hat. Und über diesen Umweg bin | |
ich dann auf den Kontrabassisten John Hughes aus Baltimore gestoßen, der | |
seit Kurzem in Hamburg wohnte. Mit John hat es sofort gefunkt. Das war der | |
Anfang unserer „musikalischen Beziehung“, die bis heute anhält. | |
Und es war Ihr Einstieg in die „Hamburger Jazz-Szene“? | |
Das war ja das Lustige: In Amerika habe ich immer in Hardcore- und | |
Mathrock-Bands gespielt – niemals Jazz. Aber es gab damals eine Platte von | |
der Gruppe Jane’s Addiction, die ich am Schlagzeug komplett mitspielen | |
konnte. Bis auf ein Stück, das wahrscheinlich als alberner Witz gemeint | |
war, mit Swing-Anspielungen und jazzy Gitarrenakkorden. Das Stück war | |
vielleicht nur eine Minute lang, aber es hat mich völlig verwirrt. Ich | |
konnte zwar alle möglichen Rock-, Punk-, HipHop-Beats spielen, und Slayers | |
„Reign In Blood“ war eine meiner Lieblingsübungen. Aber dieses eine Stück | |
von Jane’s Addiction habe ich nicht verstanden. | |
Dann haben Sie doch Jazz gelernt? | |
Ich bin als 16-Jähriger zu meinem Lehrer am Konservatorium gegangen, und | |
der hat’s mir erklärt. Da habe ich zum ersten Mal von Jazz gehört, und | |
derselbe Lehrer hat mich auch mit Cage, Stockhausen und klassischer | |
indischer Musik vertraut gemacht. Ich habe dann also angefangen, | |
Jazz-Rhythmik und die dafür nötige Koordination zu üben, aber ohne dass ich | |
in Jazz-Bands gespielt hätte. Das hat sich erst später ergeben – auch durch | |
die Bekanntschaft mit John Hughes in Hamburg. | |
Der kam aus dem Jazz? | |
Nicht wirklich. Auch er kam eher vom Punk und Hardcore, aber er hatte als | |
Bassist gerade seine „elektrische Phase“ abgeschlossen und war auf | |
Kontrabass umgestiegen. Und das bedeutete ab sofort: Jazz, Jazz und noch | |
mal Jazz! Vor einigen Jahren besuchte mich ein alter Freund und Mitmusiker | |
aus Jugendzeiten in Hamburg. Als er ein Auftritt von John und mir sah, war | |
er ganz erstaunt: „Wow, ich wusste gar nicht, dass du Jazz spielst.“ | |
Sie spielen in mehreren Bands, neben Gorge Trio gibt es da noch Powerdove, | |
die im August 2018 auf Tour waren. Außerdem geben Sie regelmäßig | |
Jazzkonzerte in wechselnden Besetzungen. Wie weit sind Sie davon entfernt, | |
von Ihrer Musik leben zu können? | |
Mal näher, mal weiter. Es war immer schon mein Traum, als kreativ | |
arbeitender Musiker leben zu können, Konzerte spielen, Platten machen. Aber | |
das ist im Bereich von improvisierter und kaum kommerzieller Musik nicht | |
gerade leicht. Meinen Lebensunterhalt verdiene ich zum Großteil immer noch | |
mit Schlagzeugunterricht – und ich liebe meine Arbeit, sie macht mir großen | |
Spaß. Doch wer weiß, was die Zukunft bringt. Die Tour mit Powerdove in | |
England war toll. Im März 2019 geht es mit Powerdove erst mal nach New | |
York. Und mit dem Gorge Trio sind neue Aufnahmen und ein paar Auftritte in | |
den USA geplant. | |
Ihre aktuelle Veröffentlichung heißt „A Popple People“. Als instrumentales | |
Solo-Album eines Perkussionisten stellt es eine Seltenheit dar. Wie ist es | |
entstanden? | |
Die Entstehungsgeschichte des neuen Albums ist schnell erzählt: Das | |
US-Label Joyful Noise wählt jeden Monat einen Musiker einer der bei ihnen | |
etablierten Bands als Kurator, der wiederum einen seiner Lieblingsmusiker | |
vorstellt. Ich wurde von Matsuzaki Satomi, der Frontfrau der Gruppe | |
Deerhoof, angesprochen und bekam dadurch die Chance, mein Solo-Album zu | |
veröffentlichen. Die meisten Vinyl-Kopien werden für die Abonnenten der | |
Veröffentlichungsreihe reserviert, aber man kann die Platte auch online | |
finden. | |
Wie sind Sie bei der Zusammenstellung des Albums vorgegangen? | |
Das Album enthält 17 Stücke, die sehr unterschiedlicher Art sind. Darunter | |
Schlagzeugsoli, Marimba- und Vibrafon-Stücke, Percussion-Improvisationen, | |
Anlehnungen an Jazz, klassische indische Musik und Gamelan. Viele Aufnahmen | |
sind neu, so wie das Tabla-Solo, das ich auf ausdrücklichen Wunsch von | |
Satomi eingespielt habe. Andere Stücke sind schon etwas älter, wie zum | |
Beispiel zwei Drum-Tracks, vor Jahren mit dem Gorge Trio aufgenommen. Dem | |
Zeitdruck bei der Fertigstellung von „A Popple People“ kam das sehr | |
entgegen. | |
17 Oct 2018 | |
## AUTOREN | |
Michele Avantario | |
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