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# taz.de -- Debütalbum „Elaenia“ von Floating Points: Elektro mit analogem…
> Statt Limetten fliegen dem Londoner DJ Floating Points heute Komplimente
> zu. Sein Debütalbum schafft Räume, in denen Klänge atmen können.
Bild: „Ich habe versucht, mit dem Album Räume zu schaffen, in denen ich mich…
Sam Shepherd alias Floating Points spricht begeistert über Musik. Etwa,
wenn er erzählt, wie er auf alte Soul-Alben gestoßen ist. Dann steigert
sich die Geschwindigkeit seiner Worte, sodass sich Sheperds Stimme fast
überschlägt. „Soul“ ist ein zentraler Begriff in Shepherds Klanguniversum
als Floating Points; zentral auch für die Emotionen, die der Londoner als
DJ durch seine Musikauswahl erzeugt. Soul ist ein Schlagwort für
Lebendigkeit, in einem weltlichen Sinn spielt „die Seele“ eine Rolle für
die Tatsache, dass hinter jedem Stück Musik ein Mensch steckt, dessen Seele
wiederum im Körper der Musik auftaucht.
Auf die Produktion [1][seines Debütalbums „Elaenia“], das nun auf Shepherds
eigenem Label Eglo erscheint, hat der 29-Jährige viel Zeit verwandt. Sechs
Jahre lang hat er kontinuierlich daran gearbeitet und währenddessen ein
Studium der Neurowissenschaften absolviert, das Shepherd im vergangenen
Jahr mit einer Doktorarbeit abgeschlossen hat.
2009 tauchte sein Künstlername Floating Points zum ersten Mal auf einem
Cover auf. Die Debütsingle [2][“J&W Beat“] war jazzige, melodische und
gleichzeitig stolpernd vorantreibende Tanzmusik, ein wenn auch
verschwurbelter elektronischer Clubtrack, der tatsächlich auf den
Tanzflächen einschlug. Spätestens, nachdem 2011 die jazzigen, leichten
Rhodes-Klänge, vibrierenden Bässe und der schwingende 4/4-Beat seines
Tracks [3][„Arp3“] von der EP „Shadows“ die Soundsystems der Clubs zum
vibrieren brachte, ist Floating Points ein Star der britischen
Elektronikszene geworden, angesiedelt im Grenzbereich irgendwo zwischen
House und Broken Beats.
Auch als DJ genießt Sam Shepherd einen hervorragenden Ruf. Gerade weil er,
statt durchgängig linientreu Techno oder UK Garage aufzulegen, das Publikum
immer aufs Neue herausfordert. Sei es mit Jazz, Soul, oder Minimal Music.
„Wenn man mich auflegen hört, muss man aufs Schlimmste gefasst sein!“, sagt
er und lacht ausgelassen. „Ich finde es spannend, unterschiedlichste Tracks
in neue Kontexte zu bringen, die zunächst abwegig wirken. Ich mag die Idee,
Steve Reich und Pharoah Sanders in Clubs zu spielen, in denen man das nicht
erwartet.“
## Intuition statt Ordnung
Allerdings stieß Shepherd mit dieser Strategie das Club-Publikum zunächst
vor den Kopf: Er liefert nicht ausschließlich das, wofür der Name auf den
Covern seiner Platten steht. „Jemand hat eine Limette nach mir
geschmissen!“, erzählt Shepherd über eine Erfahrung, die er in Mailand
gemacht hat. „Seit einiger Zeit sind die Clubgänger mir gegenüber offener.
Inzwischen kann ich Kraut und Rüben spielen und meistens funktioniert es
auch.“
Shepherd schätzt seine Sammlung auf 10.000 Schallplatten. Ordnung gebe es
darin nicht, die Platten stapeln sich verstreut in einem Raum, erzählt er.
Eine Art Archiv ohne Struktur, indem Intuition Genre-Einteilungen ersetze.
Diese Herangehensweise macht ihn zu einem schwer berechenbaren, aber doch
geschätzten DJ, der mit exzellenter Technik und durch eklektizistische
Musikauswahl gleichermaßen überzeugt.
Damit steht Shepherd exemplarisch für eine Reihe von DJs, die sich auf
Wurzelsuche begeben haben. Ähnlich dem Detroiter Produzenten Theo Parrish,
verweist Shepherds kontingenter Umgang mit der Dancefloor-Historie auf die
Wurzeln von Jazz. Wie bei Shepherd rücken auch bei Parrish beatgenaue
Übergänge in den Hintergrund, wenn er Chicago-House, Funk und Jazz mischt
und auf eine ihm eigene Weise Brüche und Spannungsbögen erzeugt. Auch
Floating Points arbeitet, euphorisch vor- und zurückschwingend, mit den
Knöpfen und Reglern eines Mixers, den er selbst entworfen hat. Wenn er
Bässe aus einem Track zieht, sodass ein Gitarrensolo im Mittelpunkt steht,
und wieder einfadet, flippen TänzerInnen aus.
Der Londoner Club Plastic People war für Shepherd ein prägender Ort und
Inspiration für Experimente. Er hat dort regelmäßig aufgelegt, wie auch
Theo Parrish. Dessen DJ-Sets waren etwa für den Kollegen Dan Snaith alias
Caribou eine Motivation, unter dem Namen Daphni verstärkt aufzulegen.
Snaith und Floating Points sind miteinander befreundet und tauschen sich
regelmäßig über Musik aus. Das gilt auch für Kieran Hebden alias Four Tet,
mit dem Sam Shepherd ein knapp sechsstündiges Set am Abschlussabend vom
Plastic People spielte.
Damals spannten die beiden einen Bogen von Jazz über Soul, Disco und HipHop
zu House. Inzwischen brennen Nachtschwärmer auf den analogen Soul von
Floating Points, gerade auch in Clubs, in denen ansonsten strenge
elektronische und straight preschende Tracks die Setlisten dominieren.
Statt Limetten fliegen ihm heute Komplimente zu, die Clubs sind voll, wenn
ein DJ-Engagement des Londoners angekündigt wird.
## Erwartungen kontern
So geschah es auch, als sein Debütalbum „Elaenia“ angekündigt wurde. Wied…
kontert er die Erwartungshaltungen der Fans mit ungewöhnlichen Ideen: Statt
dem erwartbar feingliedrigen House, der seine volle Gestalt mithilfe
großer, tieftöniger Anlagen von Clubs entfaltet, liefert der Track
„Silhouettes (I, II & III)“ zum Auftakt mit seiner dreitaktigen Anordnung
zwischen Jazz, Post-Rock und Funk den Eindruck einer Abkehr von Clubsound.
Hört man genauer hin, ergibt sich aber ein Klangbild, das Shepherds
konsequenten Ausdruck von Soul als Perspektive der Floating-Points-Musik
zeigt.
Seine Tracks haben meist eine analoge Schlagseite. Häufig steht der
charakteristische warme, weiche und volle Klang des Fender-Rhodes-Pianos im
Zentrum, darunter laufen von Sheperd live eingespielte Drums, mal rudernd,
bisweilen auch fehlerhaft und nie maschinell streng. Unterkühlte und
überdigitalisierte Klänge waren eh nie Shepherds Ding. Und die
Ein-Mann-Computer-Produktion auch nicht sein Ziel. Mit der
Persönlichkeitsvervielfachung zum 16-köpfigen Floating Points Ensemble, das
zum Jubiläum des Londoner Labels Ninja Tune im Jahr 2010 zwei Tracks
einspielte, ging er den Schritt zur Komposition, an dem er mit „Elaenia“
nun anknüpft.
Mithilfe professioneller MusikerInnen setzte er die aus
Piano-Improvisationen entstandenen Stücke für das Album um. Er erzählt
euphorisch von der Arbeit mit Band, die sich auf den Klang von „Elaenia“
ausgewirkt hat. „Es ist mir wichtig, dass ich das Gefühl habe, die
einzelnen Instrumente reagieren aufeinander“, betont Sheperd. Sein
Debütalbum bildet eine zurückhaltende Collage aus auf- und abschwellenden
Flächen, quirligen Klängen, den für Floating Points charakteristischen
dynamischen, mal sehnenden, mal gelösten Tönen des Rhodes-Pianos.
„Elaenia“ ist keine Werkzeug-Sammlung von Tracks für die Tanzfläche. Und
trotzdem erzeugt diese Musik das Gefühl, dass sich die Hörer zu ihr bewegen
müssen. [4][„Nespole“] entwickelt mit sich wiederholenden Melodiemustern
und einer pulsierenden Bassline sogar den Drive eines Clubtracks ohne den
Einsatz von Beats. Drums sind auf drei der sieben Stücke zu hören und
klingen nicht klinisch-steril wie oft bei digitaler Tanzmusik, sondern rau
und verfrickelt. Bei „Peroration Six“ arbeitet sich der Drummer an Breaks
ab und steigert sich zusammen mit Piano, Synthesizer und Gitarre in einen
tosenden Sturm, der am Finale plötzlich abschwächt. Das kontrastieren die
beruhigend schillernden, leisen Momente wie bei „Elaenia“ und „Argenté�…
Floating Points spielt mit Lautstärken und Räumen, in denen Klänge atmen
können. Genau dies sucht er auch in elektronischer Musik. „Ich möchte die
Seele der Person spüren, die Musik macht, ich möchte durch die Maschinen
hören und näher zum Kern des Menschen kommen“, meint er. „Ich habe
versucht, mit dem Album Räume zu schaffen, in denen ich mich wohlfühle.
Wenn ich am Klavier oder Synthesizer sitze und spiele, empfinde ich es
manchmal, als ob ich an einen anderen Ort reise.“
30 Oct 2015
## LINKS
[1] http://www.kraftfuttermischwerk.de/blogg/album-stream-floating-points-elaen…
[2] https://www.youtube.com/watch?v=VbypLcnFax8
[3] https://www.youtube.com/watch?v=d38xbAFnCSQ
[4] https://www.youtube.com/watch?v=kfYP7uTZX8Y
## AUTOREN
Philipp Weichenrieder
## TAGS
Elektro
Soul
DJ
Musikgeschichte
Wald
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