# taz.de -- Kriminalroman von Eberhard Michaely: Miss Marple und der Hackenpors… | |
> „Frau Helbing und der tote Fagottist“ erinnert an den Stil von Agatha | |
> Christie. Michaelys Debüt eignet sich daher wunderbar als | |
> Gute-Nacht-Lektüre. | |
Bild: Dass Frau Helbing den Fall letzten Endes im Alleingang aufklärt, versteh… | |
An Bücher wie dieses muss der Textdichter Hans Bradtke gedacht haben, als | |
er einst den unsterblichen Schlagertitel „Ohne Krimi geht die Mimi nie ins | |
Bett“ schuf. Denn „Frau Helbing und der tote Fagottist“ ist wie ein Gruß | |
aus jenen unschuldigen Zeiten, als Kriminalromane noch als | |
Gute-Nacht-Lektüre geschrieben wurden. | |
Das ist nichts Schlechtes; es ist nur etwas anders, als wir es heute | |
gewohnt sind. Man könnte sich diesen Roman auch gut als Bühnenstück | |
vorstellen, als [1][Krimikomödie im Agatha-Christie-Stil], deren | |
hauptsächlicher Schauplatz die Wohnung einer alten Dame ist. | |
Denn die Kreise, welche die titelgebende Frau Helbing zieht, sind | |
überschaubar. Die ehemalige Fleischereifachverkäuferin lebt seit dem Tod | |
ihres Mannes, des Schlachters Hermann, allein, pflegt aber diverse | |
freundschaftliche Kontakte in ihrer Umgebung, darunter auch zu dem netten | |
Herrn in mittleren Jahren, der in der Wohnung direkt über ihrer wohnt und | |
der als Fagottist in einem Orchester spielt. | |
Da Frau Helbing den Lebenswandel dieses Herrn von Pohl mitunter durch den | |
Türspion verfolgt und dabei gewisse Anzeichen der Unsolidität feststellt | |
(verschiedene Frauen im Treppenhaus), ist sie nur leicht verwundert, als | |
der Nachbar eines Tages etwas derangiert bei ihr auftaucht und bittet, sein | |
Fagott in ihrer Wohnung unterstellen zu dürfen. Allerdings kommt er danach | |
nie wieder, um den Instrumentenkoffer abzuholen, sondern wird statt dessen | |
tot in seiner Wohnung gefunden – gestorben, wie man sehr schnell | |
feststellt, an einem anaphylaktischen Schock. | |
## Spaß am Schreiben und Lesen | |
Der Verstorbene war nämlich allergisch gegen Wespenstiche und hatte deren | |
an einem Fuß gleich drei. Aber da Frau Helbing die Einzige ist, die das | |
einigermaßen sonderbar findet, ist die alte Dame wohl oder übel gezwungen, | |
ganz allein die Ermittlungen aufzunehmen und zu beweisen, dass ihr Nachbar | |
in Wahrheit ermordet wurde. | |
So beschaulich und unspektakulär, wie das klingt, ist es auch. Doch | |
gleichzeitig besitzt es einen Charme, der zum einen vielleicht wirklich so | |
etwas wie Retro-Charme ist, der aber vor allem daher rührt, dass deutlich | |
zu spüren ist, wie viel Spaß der Autor beim Schreiben hatte (Eberhard | |
Michaely ist, wie der Klappentext verrät, von Hause aus eigentlich Musiker, | |
und dies ist sein erster Roman) – und sicher nicht zuletzt dabei, sich all | |
die markanten Nebenfiguren auszudenken, von denen die kleine Welt der Frau | |
Helbing bevölkert ist. | |
Da gibt es zum Beispiel Heide, die luxusgewohnte beste Freundin der Heldin, | |
ferner den kultivierten Herrn Aydin, der im ehemaligen Helbing’schen | |
Schlachterladen eine Schneiderei betreibt, Igor, den philanthropischen | |
einzigen Sohn des Verstorbenen, und die patente Klarinettistin Melanie. Auf | |
der Seite der Eher-ziemlich-Unsympathen stehen die PolizistInnen Frau | |
Schneider und Herr Borken sowie der schnauzbärtige beste Freund des | |
Verstorbenen und ein verwahrloster Kioskbesitzer. | |
Hell und dunkel halten sich also beim Romanpersonal einigermaßen die Waage. | |
Aber das helle Element ist eindeutig die führende Stimme in diesem | |
Gute-Nacht-Krimi, der sich auch deswegen gut als Bettlektüre eignet, weil | |
man keine Sekunde ernsthaft um Leib und Leben der Heldin fürchten muss – | |
selbst dann nicht, als Frau Helbing zu detektivischen Zwecken todesmutig | |
nachts in den Wald fährt. | |
Dass sie den Fall letzten Endes im Alleingang aufklärt, versteht sich von | |
selbst. Wir LeserInnen aber denken unsererseits natürlich von Anfang an, | |
dass es die Lösung des Rätsels deutlich erleichtern würde, wenn Frau | |
Helbing nur endlich auf die Idee kommen würde, den Instrumentenkoffer des | |
toten Herrn von Pohl zu öffnen. Aber hätte sie das gleich getan, dann hätte | |
es diese hübsche Geschichte ja nie geben können. | |
29 Mar 2021 | |
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## AUTOREN | |
Katharina Granzin | |
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