| # taz.de -- Nora Luttmers Krimi „Hinterland“: Kommissarin mit Schlafattacken | |
| > Nora Luttmer hat einen gelungenen Nord-Krimi über eine narkoleptische | |
| > Ermittlerin geschrieben, die lernen muss, mit ihrer Krankheit klar zu | |
| > kommen. | |
| Bild: Idylle unter dunklen Wolken: eine Landschaft in Ochsenwerder | |
| Kann sie nur ein Trick, ein wohlfeil retardierendes Element sein, diese | |
| Narkolepsie der Kommissarin? Dieses auch als „Schlafkrankeit“ bekannte | |
| Anfallsleiden, das Schlafattacken mit kurzfristigen Lähmungen der | |
| Gliedmaßen kombiniert, in diesem Fall der Hände? | |
| Man könnte es meinen, wenn man die Personnage von Nora Luttmers neuem Krimi | |
| „Hinterland“ überfliegt, aber das griffe zu kurz. Denn erstens ist es immer | |
| interessant zu erfahren, welche Leiden und Behinderungen es geben kann und | |
| wie die Betroffenen damit leben, zweitens setzt die in Köln geborene, | |
| inzwischen in Hamburg lebende Autorin die [1][Narkolepsie-]Anfälle im | |
| ersten Band ihrer neuen „Bette Hansen“-Reihe sehr dosiert und niemals | |
| plakativ ein. | |
| Die kürzlich ausgebrochene Krankheit ist untergründig ständig da – wie ein | |
| Wesen, das den Lebensrhythmus diktiert und Kräfte dosieren lehrt. Quasi | |
| zeitgleich mit Hansen gewöhnt sich der Leser daran zu kalkulieren, was sie | |
| noch erledigen kann in den drei Stunden vor dem nächsten Anfall. Die | |
| Krankheit wird so selbstverständlich, dass man sie – wie die Kommissarin – | |
| immer mal wieder vergisst und nicht begreift, warum sie plötzlich | |
| wegdämmert im Telefonat. | |
| Dabei war das Wegdämmern mitten im Verhör der Grund, bei der Kripo Hamburg | |
| den Dienst zu quittieren und aufs Land zu ziehen. Und obwohl sie stets mehr | |
| planen und bedenken muss als andere, geriert sich die 53-Jährige nie als | |
| Hadernde, sondern stets als Frau auf der Suche nach einer neuen Normalität. | |
| Deshalb ist sie aus der Hamburger Innenstadt nach [2][Ochsenwerder] an die | |
| Dove Elbe gezogen, eigentlich zu idyllisch für Verbrechen. | |
| Oder eben nicht. Denn kaum hat sie sich eingelebt, kriechen die Geister der | |
| Vergangenheit, sprich ihres letzten ungelösten Falls, hervor. Damals wurde | |
| auf einer Lichtung ein Paar erschossen, der Mann zusätzlich erstochen. Im | |
| Hochsitz hat der Täter ein Muschelkreuz-Emblem hinterlassen. | |
| Jetzt hat Bette Hansen einen Holzscheit mit demselben Muschelkreuz im | |
| Garten und bald auch Mails vom Täter, der sie beobachtet und alles über sie | |
| weiß. Er klingt wie ein Stalker, und Hansen reagiert wie ein | |
| [3][Stalking-Opfer.] Immer wieder reflektiert sie, ob ihre Panik berechtigt | |
| ist. Nur dass es hier um Mord geht, denn ihre inoffizielle Ermittlung | |
| zeigt, dass eins der vorigen Mordopfer auf dieselbe Art psychoterrorisiert | |
| wurde. | |
| Da wird sie wohl die nächste Tote sein, wenn sie nicht schnell genug | |
| ermittelt. Auch ohne Profiler ist ihr klar, dass da jemand Macht ausüben | |
| und sie hetzen will. Warum? Weil sie – sagt der Mörder per Mail – den | |
| damaligen Muschelmord nicht aufklärte. Dass sie es aus Krankheitsgründen | |
| nicht tat, zählt nicht für jemanden, der in Kategorien von Schwarz und | |
| Weiß, Macht und Ohnmacht denkt, der Genugtuung sucht und es „Gerechtigkeit“ | |
| nennt. | |
| Die Romankapitel sind wechselweise aus der Perspektive zweier Frauen | |
| geschrieben. Bette Hansen ist die eine von ihnen. Die andere ist eine | |
| gewisse Hannah, die mit einem Bücherbus durch Ochsenwerder fährt, ein | |
| unauffälliges Leben führt. Sie und ihr Bus stehen immer da. Man bemerkt sie | |
| schon gar nicht mehr. Wobei man angesichts der Hannah-Passagen irgendwann | |
| ungeduldig wird, weil man bis zur Hälfte des Buchs nicht erfährt, warum | |
| dieser blassen Figur so viel Aufmerksamkeit gilt. Und was sie überhaupt mit | |
| der Geschichte um Bette Hansen zu tun hat. | |
| Angesiedelt ist das Ganze in einer so angenehmen Landschaft, dass man | |
| selbst Lust bekommt, mal wieder nach Ochsenwerder in die Vier- und | |
| Marschlande zu fahren. Auch für Luttmers Krimis ist das Ambiente neu: Ihre | |
| vorigen Romane – etwa „Schwarze Schiffe“ und „Dunkelkinder“ – waren… | |
| Großstadt-Thriller, etliche davon in Vietnam verortet, wo die Autorin eine | |
| Zeit lang lebte. | |
| Jetzt ist es also die gehandicapte Kommissarin Bette Hansen geworden. Eine | |
| versehrte Kommissarin, die ihr Leben meistert und – der Schluss deutet es | |
| an – wohl weiter ermitteln wird, ist weit lebensnäher und | |
| identifikations-tauglicher als ein „Halbgott Kommissar“. | |
| 8 Apr 2021 | |
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| ## AUTOREN | |
| Petra Schellen | |
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