# taz.de -- Feministisches Vorbild Clara Zetkin: Emanzipation muss alle meinen | |
> Clara Zetkin dachte Feminismus stets ganzheitlich. Sechs Dinge, die | |
> Feminist*innen im Women’s History Month von ihr lernen können. | |
Bild: Frauen mussten 16 Stunden lang schuften und zugleich den Haushalt schme… | |
## 1) Feminismus muss antikapitalistisch sein | |
Im Jahr 1889 betonte Clara Zetkin in ihrer Rede vor dem Internationalen | |
Arbeiterkongress in Paris, wie wichtig es für die Emanzipation der Frau | |
ist, wirtschaftlich unabhängig von einem männlichen Partner zu sein. Zetkin | |
verdiente zeit ihres Lebens ihr eigenes Geld. Als junge Frau im Pariser | |
Exil hielt sie mit Wäsche waschen und gelegentlichen Zeitungsartikeln ihre | |
Familie über Wasser, als ihr Partner Ossip Zetkin tödlich erkrankte. | |
Mit 39 Jahren kam sie in Stuttgart mit einem 21-jährigen Kunststudenten | |
zusammen, den sie zunächst mit ihrem Redakteurinnengehalt aushielt. In | |
ihrer Rede in Paris sagte sie jedoch auch: „Aus einer Sklavin des Mannes | |
ward [die Frau] die des Arbeitgebers: Sie hatte nur den Herrn gewechselt.“ | |
Mit anderen Worten: [1][Eine Frau, die ihr eigenes Geld verdient], ist zwar | |
wirtschaftlich unabhängig von ihrem männlichen Partner und ihm | |
gleichgestellt – jedoch ist sie immer noch wirtschaftlich abhängig von | |
ihrem Arbeitgeber. | |
Zetkin analysierte eine doppelte Unterdrückung der Arbeiterin: Durch das | |
Patriarchat und durch kapitalistische Ausbeutung Auch die Vereinbarkeit von | |
Beruf und Familie machte Zetkin damals schon zum Thema: „Die | |
kapitalistische Gesellschaftsordnung macht aber in den meisten Fällen einen | |
Konflikt zwischen Berufspflichten und Familienpflichten unvermeidlich.“ | |
Für sie stand fest: Echte Frauenbefreiung konnte es deshalb nur im | |
Sozialismus geben. Gleichzeitig konnte die Revolution nicht einfach auf die | |
Hälfte der Bevölkerung verzichten, und um wirksam kämpfen zu können, | |
brauchten die Frauen im Hier und Jetzt Freiheit und Rechte. | |
## 2) Feminismus kämpft für alle Frauen | |
Keine Toleranz für Kompromisse, die nur bürgerlichen Frauen zugute kommen. | |
Clara Zetkin verteidigte stets den Standpunkt der Arbeiterinnen. Das | |
Wahlrecht nur für alleinstehende besitzende Frauen zu gewähren, sich aber | |
nicht für die Arbeitsbedingungen von Fabrikarbeiterinnen zu interessieren, | |
kam für sie nicht infrage. | |
Zetkin selbst war Tochter eines Dorflehrers und einer Frauenrechtlerin und | |
hatte immerhin eine höhere Schule besuchen können. Gleichzeitig wusste sie | |
aus ihrer Zeit im Exil genau, wie es war, hart zu arbeiten, sich um die | |
Kinder zu kümmern und trotzdem aus der Wohnung geschmissen zu werden, weil | |
man die Miete nicht zahlen konnte. | |
## 3) Wer mit Arbeiterinnen kämpft, muss ihre Realität kennen | |
Clara Zetkins Hauptanliegen war es, [2][eine proletarische Frauenbewegung] | |
aufzubauen. Das war nicht einfach. Nicht nur die Polizei und ihre eigenen | |
Parteikollegen legten ihr dabei Steine in den Weg. Viele Arbeiterinnen | |
konnten nicht lesen und schreiben, die herkömmliche gedruckte | |
Parteipropaganda erreichte sie also kaum. Frauen arbeiteten damals 14 bis | |
16 Stunden in den Fabriken und Werkstätten und mussten sich danach noch um | |
den Haushalt kümmern. Für lange Versammlungen am Abend blieb keine Zeit und | |
Energie. Selbst wenn Frauen kamen, trauten sie sich selten, sich vor einem | |
Saal voller Männer zu Wort zu melden. | |
Zetkin suchte die Arbeiterinnen deshalb direkt an ihren Arbeitsplätzen auf, | |
in kleinen, intimeren Runden. Sie hörte zu, egal ob es um Eheprobleme, | |
Erziehungsschwierigkeiten oder die Revolution ging. und half aus, wo sie | |
konnte. So entstanden Verbindungen, und nach und nach wuchs der Anteil der | |
Frauen in den Gewerkschaften, auf den Parteitagen und auf Demos. Zum ersten | |
Internationalen Frauentag im Jahr 1911 gingen in Deutschland, Dänemark, | |
Österreich und der Schweiz Millionen von Menschen auf die Straße. Allein in | |
Berlin gab es 41 Versammlungen. | |
## 4) Feminismus muss internationalistisch sein | |
Politisiert hatte sich Clara Zetkin mit Anfang zwanzig in Leipzig unter | |
politischen Geflüchteten aus Russland und verkehrte in Paris sowohl in der | |
russischen Exilcommunity als auch in der französischen | |
Arbeiter*innenbewegung. Internationalismus war also von Anfang an Teil | |
ihrer politischen Linie. Als sie merkte, dass sie in den männlich | |
dominierten Parteistrukturen mit ihren Forderungen nach dem Frauenwahlrecht | |
nicht weiterkam, organisierte sie vor jedem Internationalen | |
Sozialistenkongress eine Internationale Sozialistische Frauenkonferenz. | |
Die gemeinsamen Beschlüsse hatten im gemischtgeschlechtlichen Plenum mehr | |
Gewicht als die Stimmen einzelner Frauen. So schaffte sie es 1907, dass | |
sich die Internationale dazu verpflichtete, für das Frauenwahlrecht zu | |
kämpfen, und sie rief 1910 zusammen mit der Sozialistin Käte Duncker den | |
Internationalen Frauentag ins Leben. Bis zuletzt versuchte Zetkin gemeinsam | |
mit dem internationalen Frauenbündnis, den Krieg zu verhindern, als die | |
männerdominierte SPD längst den Kriegskrediten zugestimmt hatte. Dafür | |
landete sie zeitweise im Gefängnis. | |
Im internationalistischen Geiste hielt Zetkin zudem Kundgebungen ab und | |
kritisierte in Artikelserien den deutschen Kolonialismus, den Teile der SPD | |
ebenfalls befürworteten. Als 1932 in den USA neun junge Schwarze Männer | |
fälschlicherweise der Vergewaltigung weißer Frauen beschuldigt und zum Tode | |
verurteilt wurden, [3][rief sie zur Solidarität auf und verurteilte | |
Rassismus] und „weißen Terror“. | |
## 5) Feminismus muss antifaschistisch sein | |
Clara Zetkin analysierte früh am Beispiel Italiens, wie der Faschismus | |
allen Bevölkerungsgruppen – auch den Frauen – Versprechungen machte, sich | |
aber letztlich immer gegen sie und die Arbeiter*innen wandte. Sie war | |
sich dessen bewusst, was für eine tödliche Gefahr der Faschismus | |
darstellte. Schließlich war ihre beste Freundin Rosa Luxemburg von einer | |
rechten Bürgerwehr ermordet worden. Im Jahr 1932 wurde ein neuer Reichstag | |
gewählt, die NSDAP wurde stärkste Kraft. Zetkin hatte mit 75 Jahren als | |
älteste Abgeordnete das Recht, den Reichstag zu eröffnen. | |
Zu dieser Zeit lag sie schwer krank und fast erblindet in einem | |
Erholungsheim in der Nähe von Moskau. Die Faschisten veröffentlichten | |
Hassartikel und Drohungen gegen sie. Dennoch schrieb sie der KPD-Zentrale: | |
„Ich werde kommen – tot oder lebendig.“ Ihre Rede vor einem Plenarsaal | |
voller SS- und SA-Uniformen war ein flammender Aufruf zur Einheitsfront | |
aller Werktätigen gegen den Faschismus. | |
## 6) Feminismus muss die ganze Gesellschaft befreien | |
Clara Zetkin wollte nie nur Verbesserungen für Frauen, sondern die freie | |
Entfaltung für alle Geschlechter. Darunter zählte für sie auch die | |
Möglichkeit für Männer, sich mehr an der Kindererziehung zu beteiligen. Sie | |
strebte die Befreiung aller Ausgebeuteten an – das waren für sie alle, die | |
ihre Arbeitskraft verkauften, sowohl Fabrikarbeiter*innen als auch | |
die „geistig Schaffenden“, was sie „Bildungsproletariat“ nannte. Sie al… | |
wurden in dem Kampf für eine freiere, gerechtere Gesellschaft gebraucht und | |
würden davon profitieren. Da war sich Zetkin sicher. | |
25 Mar 2021 | |
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## AUTOREN | |
Lou Zucker | |
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